Schutzengel

Kapitel 1

"Hey, Maggie! Du bist die Einzige, die ich noch nicht gefragt habe. Weißt du was uns Frau Schwarz in Englisch aufgegeben hat?" Ich seufze und drehe mich zu Leon um. Muss der immer stören? "Aber ja. Seite 57 Nummer 3." " Okay", sagt er, wirbelt herum und rennt wieder weg. Das ist immer so. Die Leute unterhalten sich nie länger als nötig mit mir. Aber das ist in Ordnung. Es muss so sein. Ich habe im Moment auch andere Sorgen. Ich schaue über den Rand meines Buches Why its not my fault, hinüber zu Sean. Er sitzt in der Aula, umgeben von mindestens sechs Mädchen und Jungen und lacht. Er ist so ziemlich das krasse Gegenteil von mir, die immer nur alleine herumhockt und in Büchern liest. Doch es muss sein. Ich heiße eigentlich nicht Maggie. Ich heiße Gnade, aber das wäre für Menschen ein seltsamer Name. Ich bin nämlich keiner. Sean ist mein 204ter Schützling in meiner gesamten Schutzengel-karriere. Ich bin komplett in schwarz angezogen mit einem Stachelhalsband um dem Hals. Ich habe schwarze, lange Haare, dunkelbraune Augen und eine blasse Haut. Ich bin die Größte in meiner Klasse und eine der Magersten. Ich sehe gerne so Eigen wie möglich aus. Denn dann wollen die Leute nicht mit mir sprechen und das verhindert, dass ich für einen von ihnen so etwas menschliche Gefühle entwickle. Denn nichts ist für einen Schutzengel hinderlicher, als mit einem Menschen Freundschaft zu schließen oder sich gar zu verlieben! Ich habe es immer geschafft, das zu vermeiden. Ich habe keine Freunde. Keine menschlichen. Nur alle Schutzengel auf dieser Welt und die anderen göttlichen Wesen. Ich mag es. Jeder ist nett und jeder hilft jeden, wenn er in Not ist. Ich liebe sie. Ich schaue wieder zu Sean. Noch ist alles gut. "Hey!", ertönt plötzlich eine Stimme hinter mir. Es ist Cassiel. Er ist auch ein Schutzengel. Er sieht wie ein ganz normaler Mensch aus, doch er schafft es irgendwie trotzdem sich die Menschen vom Hals zu halten. Wir zwei sind leider die einzigen Engel an der Schule. "Und, wie geht es mit deinem Schützling? Hast du heute schon was tun müssen?", fragt er, ohne mich jedoch anzusehen. Er konzentriert sich nämlich auf sein Schäfchen. Lili, aus der 11c. Ich überlege kurz:"Einmal ist er einfach über die Straße gerannt. Ich konnte das Auto gerade noch anhalten."Cassiel schüttelt verständnislos den Köpf."Die Menschen werden aber auch immer leichtsinniger. Das können sie sich, vorallem in der Krise im Moment gar nicht leisten." Ich nicke zustimmend. Im Moment hat der Himmel echte Probleme neue Schutzengel aufzutreiben. Die meisten Töten wollen im Himmel nur noch ihre Ruhe haben und sich ins Paradies führen lassen. Das Paradies, auf das ich, den Menschen zuliebe verzichtet habe. Doch die Menschen verlieren immer mehr den Glauben an uns und den Herrn. Wenn jemand einen schweren Unfall hatte und überlebt hat, glauben nur noch ganz wenige an uns Schutzengel. Die meisten halten uns für "glückliche Zufälle" oder "gute Reflexe". Ich weiß auch nicht. Aber wenn jemand stirbt, dann sind wieder wir Schuld. Dann behauptet man, wir hätten sie verlassen. Doch das stimmt nicht. Auch wir Engel können sterben. Aber das ist schwer, das muss durch die Hand eines anderen Engels oder eines Dämonen passieren. Ja, es gibt Dämonen, aber zur Zeit schaffen wir es, sie hinter einem Tor in der Hölle zu halten. Es passiert hin und wieder, dass einer ausbüxt, doch den haben wir dann schnell wieder eingefangen oder gleich getötet. Meistens letztere. Doch auch Engel bringen Engel um, aber davon spreche ich nur wirklich ungern. Und wer jetzt ein schlechtes Bild von uns hat, soll sich lieber selbst ansehen!! Auf jeden Fall werden wir Schutzengel immer weniger und dass, obwohl es uns sowieso nur noch so selten gibt. Cassiel und ich sind zwei von den wahrscheinlich letzten paar...
"Glaubst du, dass es irgendwann wieder besser wird?", frage ich ihn und er lacht."Irgendwann. Was ist das schon?" Wieder gebe ich ihm Recht. Im Vergleich zu meinem jetzigen Dasein als Engel, war ich nur einen Wimpernschlag lebendig. "Also glaubst du das Cas-" "Schschsch!", unterbricht er mich. " 'tschuldigung. Victor" " Ich weiß nicht, aber gerade sieht es nicht so gut aus." Ich nicke und werfe wieder einen prüfenden Blick zu Sean, der gerade mit einem blonden Mädchen redet. Gott, der Typ ist einem der größten Idioten, die ich je gesehen habe und ich lebe seit über 10.000 Jahren! Ich würde alles geben, wenn mein Schützling jemand anderes wäre, aber wir dürfen sie uns nicht selber aussuchen. Wir bekommen Sie von oben zugeteilt und erkennen Sie an unserem speziellem Engelsinstinkt. Wir gehen einfach weiter, der Nase nach und wenn wir sie finden, fühlen wir uns sofort zu Ihnen hingezogen. Leider ist mein 204ter Schützling ein Trottel hoch achthunderttausent! Zum Beispiel beim S-Bahn surfen neulich. Ich musste eine Frau vorbeikommen lassen, die dann gedroht hat, die Polizei zu rufen. "Oh", macht Cassiel plötzlich, "Ich muss los, sonst verliere ich Lili aus den Augen." Er hebt die Hand zum Abschied und geht davon. Auch Sean steht auf. Kein Wunder, die Pause ist gleich vorbei. Ich seufze. Na dann ab ins Vergnügen...