Die Gejagte

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So oft geübt. 

Stunden, Tage, Monate. Das Fliehen.

Wie oft hatte sie den Fluchtweg absolviert, falls was passieren sollte. Springen, Laufen, Klettern und auch das Verstecken hatte Julia für sich selbst perfektioniert. 

Innerhalb Sekunden schnallte sie ihren Rucksack fest, sprintete los und erreichte ein verlassenes Haus mit der Hausnummer 47. Da die Tür von innen blockiert ist und aus massivem Eisen besteht, klettert sie auf ein Van, stieß sich ab und griff elegant nach dem oberen Ende der Laterne. Mit einem gekonnten Schwung stürzte sie in ein offenes Fenster des Obergeschosses und rollte sich aufm Boden ab. Halb stolpernd rennt Julia die Treppe runter und schiebt sich durch die Hindernisse, um in den Keller zu gelangen. Sie nimmt die Eisenstange und versucht die Tür zum Keller von innen einzuklemmen. Ihre Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, da die Sonnenstrahlen kaum durch die dichte Atmosphäre überhaupt scheinen, weshalb Schatten zur Seltenheit geworden sind. Und die Laternen funktionieren sowieso nicht.

Im Keller war es zudem feucht.Undichte Rohre schmücken die Decke und tropfen kontinuierlich auf Julias braun leuchtende Haare. Ohne es weiter zu beachten, kramt sie ein Art Messgerät aus der Seitentasche, welches die radioaktive Strahlung misst. Die Zeiger sind zwar voller Risse, jedoch funktionieren sie immer noch. Dafür ist Julia immer noch so unendlich dankbar. Nachdem sie überprüft hatte, dass die Flüssigkeit frei von Radioaktivität ist, füllt sie eine rostige Thermoskanne bis zum Rand und trank direkt einen großzügigen Schluck. Dann verstaut sie diese wieder in den Rucksack. Sie öffnet ihren Overall, der ihr schon lange zu klein ist und beim Sitzen drückt. An der Tür lauscht sie und hofft, nichts Verdächtiges zu hören. Doch nur die Tropfen hallen durch den ramponierten Keller.

Sie beschließt, die Nacht hier zu verbringen.

Vor Jahren hatte sie schonmal mehrere Tage hier verbracht und die damals noch frische Decke liegt immer noch so zusammengeknautscht. Sie nimmt das Laken in die Hand, schüttelt es aus und kuschelt sich ein. Vor Staub muss Julia laut aufhusten und merkt, dass es fatal wäre krank zu werden. Bislang war sie in den letzten 28 Jahren nur zweimal krank gewesen und ist jedes Mal mit einer leichten Erkältung davongekommen. Menschen mit Grippe mussten mit dem Tod rechnen. Da erinnert sie sich an eine Geschichte, die sie von Maremys Onkel erzählt bekommen hat.

Westlich des Zentrums am Rathaus gab es einen zentralen Marktplatz, der mit einem Stacheldrahtzaun versehen war, Truppen mit Maschinenpistolen patrouillierten, und als der sicherste Ort in der ganzen Stadt galt. Jedoch steckte sich jemand mit dem Terminus- Virus an, der kurze Zeit später den ganzen Platz befallen hat. Niemand konnte heil aus der Sache rauskommen und Menschen haben sich quälend versucht, vor lauter Verzweiflung zu erschießen. Seitdem faulen Leichen vor sich hin, da der Virus langsam sich in den Körper frisst. Mythen zufolge befinden sich heute noch die Waffen der Truppen in einem funktionsfähigen Zustand, was viele Leute dazu bewegt hat, sich zum Marktplatz durchzuschlagen. Keiner kehrte zurück.

Mit diesen Gedanken schlief Julia langsam ein. Sie hat aber gelernt, in einem Art Halbschlaf die Ohren wach zu halten, um bei Gefahr schneller aufzuwachen. Diesmal ist sie aber so erschöpft, dass Julia in einen Tiefschlaf fällt und schnell anfängt von Dicey und wie sie sein Vertrauen gewonnen hat zu träumen. 

Eines Tages kam ein Bekannter mütterlicherseits vorbei, der dafür bekannt war, besser mit Tieren als mit Menschen umzugehen. Alle Tiere liebten ihn und manche Menschen sagtem ihm Zauberkräfte nach, was natürlich völliger Quatsch ist. Doch es gab ein jungen Welpen, der niemanden gehorchen wollte, nicht mal dem großen Tierflüsterer. Man hatte beschlossen, den Welpen zu erschießen und kurz bevor dies durchgeführt werden sollte, hörte Julia von dem Fall. In Windeseile spurtet sie dahin, und wirft sich vor den Hund, kurz bevor der Söldner abdrücken konnte. Seitdem sind die beiden unzertrennlich, niemals waren sie zu einer Zeit getrennt gewesen. Bis eines Tages, damals war Julia 29 Jahre alt, eine fremde Sektion ihr Heimatgebäude überfallen hatte. Eiskalt gingen sie vor, die Männer getötet, die Frauen vergewaltigt und die Kinder verschleppt. Kranke und Behinderte wurden für überflüssig gehalten und sofort erschossen. Julia hatte den Angriff relativ früh gemerkt, und sich mit Dicey in einen dunklen Raum im Dachboden zurückgezogen. Noch nie vergangen Minuten so langsam wie damals. Als die Schüsse aufgehört hatten und sie erschließen konnte, dass sie weitergezogen sind und schon wieder runter Klettern wollte, bemerkte sie ein Mann. Dunkler Umhang und ein Gewehr in der Hand war das erste, was Julia bemerkte. Ohne zu ahnen, was jez passiert, rief er Verstärkung und zwei andere Männer kamen dazu. Der eine fing schon an, am Gurt zu spielen, als Dicey aus dem Versteck stürzt und den ersten Mann anfällt. Innerhalb von Sekunden "bearbeitete" er den nächsten, während der dritte Mann geschnallt hatte, was passiert ist. Er richtet den Lauf des Gewehres auf Dicey. Aus Julia kam nur ein krächzendes "NEIN" und zückte ihr Messer. Ein lautes Aufjaulen vibrierte in der Luft und traf Julia mitten ins Herz. Tief.

Stille.

Vor ihr drei tote Männer, einer davon erstochen. Der erste Mensch, den sie getötet hat. Und es nicht bereut. 


After 28 years                       (feat. MCL)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt