Ich lies meinen Wagen an und fuhr auf dem direktesten Weg zum Bowlingcenter. Langsam fuhr ich am Gebäude vorbei und versuchte einen guten Blick auf den Ort des Geschehens zu werfen, doch das einzige was ich sah, war das Flatterband in Gelb und Schwarz, was sich im Wind hin und her bewegte. Ganz klar. Es war ein Tatort. Würde ich ihn betreten, war das eine Straftat. Doch er dieses eine Mal würde ja wohl nichts passieren. Ich würde schnell sehen, ob etwas interessantes dort war und so schnell wie es ging wieder weg sein, ohne auch nur eine kleine minimale Spur zu hinterlassen. Aber, es war verboten. Und zwar nicht zu knapp. Aber mein Fuß ruhte schon auf der Bremse. Eine kleine Bewegung und der Wagen würde auf dem gegenüberliegenden Parkplatz des Restaurants stehenbleiben und ich müsste nur aussteigen.
Meine Hände krallten sich um das Lenkrad und ich beschloss einfach weiter bis nach Hause zu fahren. Schimpfend mit mir selbst fuhr ich die Straßen entlang, bis zu mir nach Hause. Den Kopf schüttelnd ging ich die Treppe zu unserem Haus hoch und schloss auf. Ein riesiges graues Wollknäuel sprang mir entgegen und riss mich fast zu Boden. So eine Begrüßung hatte ich nicht erwartet und tätschelte deshalb verwirrt den Kopf von unserem Hund Buster, der sich allmählich wieder beruhigte und zurück in die Küche rannte, in der Hoffnung, dass meiner Mum durch ihre tollpatschige Art etwas runterfiel und er schnell genug war.
Ich schmiss meine Chucks in die Ecke und warf meine Jacke einfach achtlos hinterher. Meine Mutter hasste das, dass wusste ich. Aber ich war einfach zu hibbelig wegen der Leiche. Hier passierte nie etwas spannendes. Nie. Im. Leben. Und dann sowas. Dass konnte doch unmöglich noch nicht in den Nachrichten sein. Ich sah schnell in die Küche, wo sich meine Mutter gerade am Fleisch zu schaffen machte. "Hei Mum. Schade, dass du schon angefangen hast, ich wollte dir wirklich helfen. Dieses Mal.", sie zog eine Augenbraue hoch und sagte "Jaja. Ist schon ok, ich glaube ein Vollpfosten in der Küche reicht. Deck doch bitte den Tisch, ja?" Wiederwillig nahm ich Teller und Besteck heraus und ging in unser Wohnzimmer, in dem auch unser kleiner Esstisch stand.
Der Fernseher stand ruhig in der Ecke und schien mir regelrecht zuzuflüstern, dass ich ihn doch anschalten solle... Meine Finger zuckten schon bei dem Gedanken daran und ehe ich mich versehen konnte, hatte ich den Fernseher angestellt und auf den lokalen Nachrichtensender gezappt. Eine junge Frau stand vor der Bowlingbahn und hielt ihr Mikrophon vor ihren rot geschminkten Mund. "Ich stehe hier live vor der Bowlingbahn einer kleinen unscheinbaren Stadt und berichte Ihnen unglaubliches: Hinter mir auf dem Parkplatz wurde ein unbekannter Mann regelrecht zerfetzt. War es ein Tier oder ein kranker Mensch?! Bleiben Sie dran und erfahren Sie alles, was es zu dieser Horrortat zu wissen gibt."
Meine Mutter legte mir ihre Hand auf die Schulter und ich schreckte nicht unwesentlich zusammen und meine Hand schnellte auf die Fernbedienung zu um den Fernseher auszuschalten. Das schlechte Gewissen übermannte mich irgendwie und ich wich ihr mit meinem Blick aus. Sie wusste genau, dass ich, wenn es noch weitere Opfer geben würde, wie besessen sein würde und mich in meinem Zimmer für Tage einsperren würde. Das war schon fast typisch für meine Familie, dennoch hassten wir dieses Eigenart bei jedem. Meine Schwester war nun seit drei Tagen nur aus ihrem Zimmer aufgetaucht um zu essen oder das Bad zu benutzen. Das war typisch für sie, wenn sie wieder an einem Bild zeichnete.
"Max. Denk nicht einmal daran.", sagte meine Mutter, als wenn sie meine Gedanken hätte lesen können, dass ich mich heute Nacht aus dem Haus schleichen würde. Genau dann, wenn alle schlafen würden und über unserem Städtchen eine unheimliche Stille liegen würde. Sie nahm ihre Hand von meiner Schulter und verschwand in Richtung des Zimmers meiner großen Schwester Annabelle um sie daran zu erinnern, dass sie auch etwas zu sich nehmen musste und leider nicht von Luft leben konnte. Schlurfend betrat sie das Esszimmer und machte sich gleich über ihren Salat her, anscheinend hatte sie wirklich lange nichts gegessen. Kurz sah sie auf und griff nach dem Dressing und murmelte "Max. Haste das schon gehört? Mit dem Junkie? Krass oder? Als wenn das ne Bestie war...", unsere Mom sah uns böse über ihre Brillengläser an, was Ann zum verstummtem brachte.
Das Essen verlief wie immer etwas zu schweigsam für eine Familie, die sich eigentlich viel erzählen sollte. Wir zogen es vor zu schweigen, anstatt dass es zu einem Thema kam, bei dem eine Diskussion entbrannte, die sich nicht mehr stoppen lies und bei der sich am Ende alle fast die Köpfe einschlugen. Langsam aber sicher näherten wir uns dem Ende des Essens. Familienabende liefen immer so ab: jeder stierte sein Essen an, als würde es ihm etwas zuflüstern wollen, darauf konzentriert so wenig Geräusche wie möglich zu machen um sich dann vor dem Abwasch zu drücken und in das eigene Zimmer verziehen.
Zum Glück kam es auch so. Ich stand schnell genug auf, machte einen Satz über Buster, der verwirrt guckte und zu spät realisierte, dass es in mein Zimmer ging um hinterherzulaufen, nahm zwei Treppenstufen auf einmal und schnellte durch die Tür, die ich von innen verschloss. Ein wenig außer Atem lies ich mich auf meinem Bett nieder und schaltete meinen Laptop an. Er gab ungewöhnliche Töne von sich, vibrierte regelrecht um dann leise vor sich hin zu dudeln (ich brauchte definitiv einen neuen...).
Ich surfte im Internet, lud Musik herunter und wartete Busses ein wenig Stiller im Haus wurde. Buster kratzte an meiner Tür, bis ich ihn hereinließ um ihn dann als 'elendes, nutzloses Vieh' zu bezeichnen, was er mit einem grummeln und schief gelegtem Kopf seinerseits quittierte. Er legte sich auf mein Bett und war bald darauf sabbernd eingeschlafen. Ich würde es tun. Ich musste nur unbemerkt auf die Garage springen und dann von der Garage herunter.
Draußen war es dunkel und ich stand an meinem offenen Fenster. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich hatte jetzt schon einen ganz trockenen Mund. Das Fenster ließ sich ohne großen Mühen öffnen und langsam setzte ich mich auf mein Fensterbrett, drehte meinen Oberkörper herum und krallte mich mit meinen langen, dünnen Fingern in den Rahmen, um bloß nicht unkontrolliert auf die Garage zu fallen. Langsam schob ich mich in den winzigen Abgrund und versuchte so elegant wie es ging auf der Garage zu landen, ohne Geräusche zu verursachen. Bei einem Dach aus Blech nicht ganz einfach, aber irgendwie schaffte ich es doch in den meisten Fällen. Ich schlug mir an den Kopf, ich hatte eine Taschenlampe vergessen. Naja, vielleicht ganz gut, so konnte mich zumindest niemand entdecken, wenn ich mir den Tatort ansah.
Katzengleich ließ ich mich in den Hinterhof herab und schloss die Garage auf um an mein Fahrrad zu kommen. Ich hatte es zu Weihnachten bekommen und wäre meiner Mutter am liebsten um den Hals gefallen, als es mit einer kleinen Karte an eben diesem Platz stand und ich endlich meinen alten Drahtesel wegwerfen konnte, bei dem weder Licht noch Bremse richtig funktionierten. Fest entschlossen zum Parkplatz des Bowlingcenters zu fahren umklammerte ich den Lenker und stieg auf. Es war merklich abgekühlt und der Fahrtwind machte das es mir nicht gerade nicht einfacher mich warm zu fahren. Es war einfach verdammt klamm für Ende September.
Ich richtete mich auf meinem Fahrrad auf und zog mir die Kapuze über den braunen Haarschopf und versteckte meine Hände in meinem Sweater, damit sie mir nicht abfielen (egal ob vor Kälte, oder weil sie mir durch die Feuchtigkeit anschimmelten). Mein Herz schlug wie verrückt, ich hörte das Blut leicht in meinen Ohren rauschen und ich musste zugeben, dass ich dem Erbrechen näher war als der Vorfreude. Einen Tatort hatte ich noch nie gesehen und dazu noch einen ganz frischen? Auf Beerdigungen hatte ich Tote gesehen, wie sie in ihren Särgen ausgestellt waren wie Exponate einer besonders bizarren Ausstellung.
Je näher ich dem Parkplatz kam, desto aufgeregter und langsamer wurde ich. Trotz der Dunkelheit konnte man dank der Straßenlaternen etwas erkennen. Ich schob mir meine Brille ein Stück höher und stieg ab. Mit schweißnassen Händen schloss ich mein Fahrrad an eine Laterne gegenüber der Bowlinghalle und atmete tief durch. Zweimal. Oder Drei. Oder Zwanzig. So unschlüssig war ich noch nie gewesen. In meinem ganze Leben. Und ich hatte schon einige Entscheidungen in meinem Leben treffen müssen.
Dann ging ich den ersten Schritt von Bürgersteig und dass sollte mein gesamtes Leben auf den Kopf stellen.

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Dead Days
Mystery / ThrillerWas wäre, wenn dein Leben sich einfach ändert. Von jetzt auf gleich, als wenn jemand einen Lichtschalter umkippt und ihr von eurer hellen, heilen Welt in eine ungewisse Dunkelheit voller Angst und Schrecken kommt? Ich konnte mir so eine Welt bis vor...