Kapitel 1

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Was wäre, wenn dein Leben sich einfach ändert. Von jetzt auf gleich, als wenn jemand einen Lichtschalter umkippt und ihr von eurer hellen, heilen Welt in eine ungewisse Dunkelheit voller Angst und Schrecken kommt? Ich konnte mir so eine Welt bis vor kurzem nicht vorstellen. Nicht in meinen kühnsten Albträumen. Aber am besten fange ich ganz am Anfang an...

Der Wind pfiff durch die Auffahrten und Straßen in unserem Viertel. Die Sonne stand schon etwas tiefer und tauchte den Weg vor mir in ein leuchtendes Orange, in dem die bereits gefallenen Blätter der Bäume vom Straßenrand wie graubrauner Dreck umherwirbelten. Im Radio wurde wieder irgendwelche Musik gespielt, auf die ich aber nie hörte. Es interessierte mich in der Regel auch nicht, was die Reporter sagten, schließlich kam gab es bei uns nicht viel, was das Interesse eines 18-jährigen Jungen erregen konnte.

Es veränderte sich hier eigentlich nie etwas. Das spannendste war hier wohl oder übel ein neuer Hausanstrich (der erst von allen "ganz schrecklich" gefunden wurde, denn "wie konnte man einem so schönen Gebäude eine so hässliche Farbe antun?!", der dann aber als "wirkliche Verbesserung gegenüber der alten Fassade" abgesegnet wurde, denn "es war ja schon so lange nötig gewesen...") oder, wenn mal wieder ein Igel auf der Hauptstraße überfahren wurde.

Doch etwas regte dann doch noch meine Aufmerksamkeit auf meinem Weg zu meinem besten (und einzigen) Freund Lio. Ein Streifenwagen mit Blaulicht stand hinter der alten Bowlingbahn und ein zweiter kam gerade angefahren, hinter ihm ein Krankenwagen. Der alte Parkplatz, auf dem sich sonst immer nur Jugendliche meiner Schule trafen um sich Marihuana zu kaufen war schon mit Flatterband abgesperrt.

Was zur Hölle konnte in einem Ort wie diesem passiert sein, dass ein regelrechtes Großaufgebot aufgefahren wurde? Lio's Dad würde als Polizist eine Antwort darauf haben. Ich bog rechts ab und fuhr an unserer Schule vorbei. Sie lag still da, als würde sie nichts von all den Qualen wissen, die sie ihren Insassen fast täglich antat. Jeden morgen schluckte und jeden Nachmittag erbrach sie Tonnen von Leuten, von denen einige fast flüchteten, andere sogar freiwillig blieben um sich noch mit ihren Gruppen zu treffen oder sich ernsthaft selbst an heißen Nachmittagen auf dem Sportplatz auszupowern.

Ich drehte das Radio ein wenig auf, da eine Eilmeldung hereinkam und ich hoffte, dass ich etwas über den Vorfall an der Bowlingbahn erfahren könnte... Doch nichts dergleichen. Es ging darum, dass in New York während eines Kindergeburtstages einer der Erwachsenen verschwand und zwei Stunden später blutüberströmt wieder aufgefunden wurde. Nicht tot, aber noch schwebte er in Lebensgefahr. Insgeheim hoffte ich auf einen spannenden Vorfall, der mich auch beschäftigen könnte. Mord und vor allem Massen- und Serienmord faszinierten mich. Die Geschichten hinter dem Menschen. Niemand ist zum Killer geboren, sein Umfeld macht ihn dazu, ob sie wollten, oder nicht.

Langsam lies meinen Wagen langsam in die Auffahrt der Walsons rollen und sah schon vom weiten, wie Lio mit seiner kleinen Schwester Clara auf der Veranda saß und ihr beim zeichnen zusah. Ihr waren die Haare ins Gesicht gefallen und in ihrer Stirn waren schon richtige Furchen zu erkennen. Den Stift zwischen ihre dünnen Finger geklemmt stierte sie auf ihren Block und lies Linie um Linie darauf erscheinen. Als ich näher kam, hört ich, wie Lio sie liebevoll kritisierte und sagte, dass der Hund zwar süß aussehen würde, er aber nicht glaube, dass er so böse dreinblicken sollte. Die sonst so stille und schüchterne Clara sah ihn durchdringend an, packte ihre Sachen und stiefelte wütend ins Haus zurück.

Lio grinste mich an, stand auf und boxte mich in den Arm "Ey Alter, alles fit?", während ich mir meinen Arm rieb ließ ich mich auf der großen Bank nieder und sagte nur kurz und knapp "Bis du mir den Oberarm gebrochen hast ja, da war alles fit...", und blickte kurz zur Seite, wo Pirate saß, die einäugige Katze der Walsons. Sie war mir nicht geheuer, ich ihr ebenfalls nicht, also ignorierten wir uns. Soweit es eben ging.

"Oh Hallo Max. Wie schön dich auch mal wieder zu sehen!" Lios Mutter kam mit einer großen Karaffe Wasser mit einigen Zitronenspalten auf die Veranda und stellte uns Gläser hin. Sie goss sie mit bedacht voll und lächelte uns unbekümmert an. Höflich bedankte ich mich und Trank einen Schluck. "Ihr werdet wichtiges zu besprechen haben, da muss ich euch ja nicht belauschen. Max, bleibst du zum essen?" Fragte sie schon fast beiläufig und ich lehnte dankend ab. Heute Abend war unser Familienabend. So gern ich auch bei den Walsons war, Menschen waren für mich trotz allem eine große Herausforderung, selbst bei meiner Familie zerbrach ich mir das ein oder andere Mal den Kopf.

Gespräche mit Lio waren immer auf das gleiche Schema ausgelegt und das war gut so. Max stellte eine Frage, ich antwortete, von ihm kam ein 'Mhm', 'Aha' oder 'Cool' und es folgte schweigen, bis zur nächsten Frage. Wir besprachen, wie wir unseren Vortrag in Geschichte vorbereiten sollten zu dem Thema "Personen, die die Welt bewegten" und dass war eine der Sachen, die mich wirklich beschäftigten und sogar mitreißen konnten. Anderen etwas über meine Leidenschaft zu erzählen. Lio wusste das nur zu gut und wollte nur zu gern einen von seinen Comichelden oder einen ihrer Erschaffer ins Rampenlicht rücken.

Doch dieses eine Mal würde ich gewinnen wollen. Dieses eine Mal wollte ich versuchen meine Mitschüler für Täterprofile, Nachforschungen, Ermittlungsergebnisse und Psychologie begeistern. Mein Ziel war es einen Serienkiller vorstellen zu dürfen. Für mich DAS Thema schlechthin. Doch Lio hielt dagegen, bis zu letzten Atemzug. Er würde gewinnen, dass wusste ich, denn leider gab es keinen Comiczeichner, der rein zufällig mehrere Menschen immer nach dem gleich Muster umgebracht hatte. Leider. "Wir lassen einfach Mr. Grump entscheiden. So einfach.", sagte Lio und er war sich seines Sieges bewusst, genauso wie ich. Doch es gab rein gar nichts, was ich dagegen tun konnte. Leider.

Genau in diesem Moment fuhr Mr. Walson die Auffahrt hinauf und winkte uns aus seinem schwarzen Van heraus zu. Ich hob kurz die Hand und Lio ging ihm entgegen. Für ihn war sein Dad der größte Held von allen. Der Ritter der Gerechtigkeit und Rächer der Geschädigten. In keiner Hinsicht konnte jemand etwas besser oder wusste mehr als sein Vater, der jetzt hinein ging um seine Tochter und Frau zu begrüßen, damit er sich zu uns vorn auf die Veranda setzen konnte, mit einem kühlen Bier und einer Hand voll Erdnüsse.

"Na Jungs, was gibt es neues bei euch?", fragte Mr. Walson eher der Höflichkeit halber auch mich, denn sein Sohn plapperte wie immer drauf los und überschüttete ihn mit Informationen über seinen Tag, die sein Vater geflissentlich abnickte und hier und da ein Brummen von sich gab. Als Lio endlich verstummte nahm sein Vater einen tiefen Zug aus der Flasche und atmete langsam aus. Mrs. Walson kam und setzte sich neben ihren Ehemann, der einen Arm um die schlanke, zierliche Frau legte und anfing, wenn auch zögerlich, von seinem Arbeitstag zu erzählen

"Alles war ruhig, bis wir einen Anruf bekamen von einer vollkommen verstörten Frau. Da beim Bowlingcenter... Der Parkplatz sei voll Blut gewesen hat sie gesagt. Also wir hin. Und da lag wirklich einer. Son Junkie. Aber vollkommen zerfetzt. Das eine Auge hat gefehlt und der Bauch war aufgerissen. Keine Ahnung, was mit dem passiert ist. Jeff und sein neuer Kollege kümmern sich um den Abtransport. Ich hatte zum Glück Schluss." Ungläubig saßen wir auf der Veranda und verarbeiteten das gehörte. Es juckte mir in den Fingern fragen zu stellen, wie einstellt die Leiche war, ob man schon wusste wer oder was ihn angegriffen hatte. Doch ich ließ es und nahm mir vor einfach zu warten, bis die Presse etwas herausfand und die Nachrichten damit überspülte und ich mir meine eigenen Gedanken machen konnte.

Ich schaute auffällig auf die Uhr und sagte, dass ich jetzt aber doch los musste. Auch wenn es für einen Freitag ziemlich früh war, hatte meinen Mutter darauf bestanden, dass ich ihr beim Abendessen helfen würde. Die Begeisterung hielt sich in Grenzen beiderseits. Auf dem Weg nach Hause würde ich an der alten Bowlingbahn vorbei fahren, dass hatte ich mir zumindest fest vorgenommen.

Dead DaysWo Geschichten leben. Entdecke jetzt