Leseprobe 1

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Prolog

April 2014

Nadine tigerte aufgewühlt in der Personaltoilette des „Peppino" auf und ab und fuhr sich mit gespreizten Fingern durch ihre wilden Locken. Ihr Spiegelbild blickte ihr vom Badezimmerschrank verängstigt aus großen Augen entgegen.

„Du wirst Mutter", wisperte sie ungläubig dieses Spiegelbild an und ihre Stimme klang dabei seltsam fremd in ihren Ohren. Sie griff nach dem weißen Stäbchen, das sie auf der Ablage vor sich geparkt hatte und warf erneut einen prüfenden Blick darauf. Der zweite blaue Strich, der sich dort selbst eingeladen hatte, glotzte hämisch grinsend zurück. Er dachte gar nicht daran, wieder zu verschwinden. Nadine ließ den Schwangerschaftstest durch ihre zittrigen Hände gleiten und starrte ihn an, wie ein unbekanntes Insekt. In ihrem Kopf breitete sich eine lähmende Leere aus und sie ließ sich erschöpft auf den Toilettendeckel sinken.

Ein Baby ..., dachte sie fassungslos.

Und dann auch noch von Torsten.

Wo sie doch noch nicht einmal genau wusste, was das zwischen ihr und Torsten überhaupt sein sollte. Ihrer beider Leben hatten sich so zufällig gekreuzt und waren dabei irgendwie aneinander kleben geblieben, wie ein Kaugummi an einem Turnschuh. Und jetzt sollten sie gemeinsam die Verantwortung für ein Kind übernehmen? Schwer atmend pfefferte sie den Test in den Mülleimer neben der Toilette und rieb sich ratlos über die Stirn. Hier ging es um ein unschuldiges Menschenleben. Das war nicht einer ihrer unzähligen Kakteen, die ihre Fensterbretter zierten und die mit ein paar Tropfen Wasser alle zwei Wochen auskamen. Ein Kind brauchte viel Zeit und Liebe und geordnete Verhältnisse. Kann ich einem Kind das geben, was es braucht? Könnte ich eine gute Mutter sein? Nadine versuchte die Panik, die in ihr aufzusteigen drohte, herunterzuschlucken.

Angestrengt begann sie, sich mit den gegebenen Fakten auseinander zu setzen, in der Hoffnung, sie würden sie beruhigen. Sie war mit ihren 23, fast 24 Jahren alt genug, Torsten verdiente in seinem Job als Artdirector ordentlich und ein Dach über dem Kopf hatten sie auch.

Fuck, sie war mitten im Studium! Sie stampfte energisch mit dem Fuß auf den ausgeblichenen Laminatboden. Einem extrem hart erkämpften Studium! Die Zeit zwischen Arbeit, Abitur nachholen und anschließendem Studieren war so belastend und schwer gewesen. Sollte sie das jetzt alles einfach so aufgeben?

Ein tiefer Seufzer entfuhr Nadines Kehle und sie begann erneut, verzweifelt in dem beengten Raum hin und her zu wandern. Ihr Studium hatte von einer Sekunde auf die andere jegliche Bedeutung verloren. Jetzt galt es, sich auf Wichtigeres zu konzentrieren. Nämlich auf das kleine Wunder in ihrem Bauch. Alles andere würde eben warten müssen, dachte Nadine entschieden und blickte dabei auf ihren so harmlos wirkenden Unterleib.

Sie hatte keine Wahl. Bei Kindern konnte man nicht einfach die Reset-Taste drücken. Man hatte nur diese eine Chance und wenn man die versaute, dann waren es diese kleinen Geschöpfe, die ein Leben lang darunter zu leiden hatten. Nadine wusste das nur zu gut und sie war nicht bereit, diese Schuld auf sich zu laden. Sie würde dieses Kind bekommen und sie würde ihm all das geben, was es brauchte, um groß und glücklich zu werden.

Schützend hielt Nadine ihre Hand vor ihren Bauch und flüsterte leise aber entschlossen:

„Ich freue mich auf dich."

Ein lautes Klopfen an der Tür ließ sie verschreckt zusammenzucken.

„Nadine, bist du in die Kloschüssel gefallen, oder was? Hier draußen ist ganz schön was los. Ich könnte ein wenig Unterstützung gebrauchen." Es war Gino, ihr neuer Arbeitskollege. Er klang gestresst und erinnerte Nadine an ihre gegenwärtigen Pflichten als Servicekraft eines kleinen Imbissstandes.

SchneeglöckchenzauberWhere stories live. Discover now