Leseprobe 3

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Da waren sie also nur noch zu Dritt, stellte Nadine fest und spürte, wie die Nervosität sie packte. Rafael neben Corinna auf der einen Seite und sie auf der anderen Seite des Feuers. Vorsichtig stellte sie ihre Tasse neben sich ab, so als wolle sie diesen Platz für ihren imaginären Freund frei und die anderen beiden von sich fern halten und streckte ihre Hände den Flammen entgegen. Genüsslich saugte sie die Wärme in sich auf und versuchte angestrengt, die andere Seite nicht zu offensichtlich anzustarren.

Corinna hatte Rafael eine Tasse Glühwein organisiert und sich eine weitere Portion nachgeschenkt. Es dauerte nicht lange, da fing sie bereits an zu lallen. Nadine konnte erkennen, wie ihre Augenlider gegen die Schwerkraft kämpften. Die Schwerkraft lag punktemäßig klar vorne, stellte sie besorgt fest und schob sich unbewusst ihren Schal vom Gesicht und eine Haarlocke zwischen die Lippen.

Rafael schien ihre Veränderung ebenfalls zu bemerken, denn er erkundigte sich interessiert, während er tröstlich seinen Arm um sie legte:

„Wie geht's dir Corinna? Besser als letzte Woche?"

Das hätte er lieber nicht fragen sollen, denn Corinnas Selbstbeherrschung löste sich mit dieser Frage in depressives Nichts auf.

„Er fehlt mir so", gab sie kopfschüttelnd zu und die ersten Tränen rollten über ihr Gesicht. Rafaels Blick huschte flüchtig über Nadines peinlich berührtes Gesicht. Beide wussten nicht, was sie darauf erwidern sollten und es entstand eine Pause betretenen Schweigens. Rafael zog eine Packung Taschentücher aus seiner Gesäßtasche und reichte sie Corinna. Diese schnäuzte sich geräuschvoll, bevor sie erzählte:

„Jan hat mir all das gegeben, was ich bei Philip so schmerzlich vermisst hatte, ohne es wirklich vorher gemerkt zu haben, verstehst du? Ich hatte das Gefühl, dass er mich gesehen hat, wie ich wirklich bin. Er hat meine Seele auf eine Art und Weise berührt, die ich nicht mit Worten beschreiben kann. So, als könnte ich seine Anwesenheit erspüren und gleichzeitig das fühlen, was er fühlt. Beinahe so, als könnten unsere Herzen unabhängig von unseren Körpern miteinander kommunizieren."

Nadine, die gerade in Corinnas Worten verpackt, ihre eigenen Gefühle präsentiert bekam, blickte mit offenem Mund und ungeschminkter Fassungslosigkeit zu ihrer Schwägerin hinüber. Das traf den Kern der Sache mit einer derartigen Präzession, dass Nadine hörbar schlucken musste.

„Durch ihn habe ich mich so vollständig gefühlt", fuhr Corinna fort, ohne zu merken, was sie mit ihren Worten bei den anderen auslöste.

„Es herrschte so eine innere Ruhe, so eine tiefe Zufriedenheit, wenn wir zusammen waren. Zeitlos, bedingungslos, wertfrei. Es relativierte einfach unsere komplette Gegenwart, wenn wir Zeit miteinander verbrachten." Gedankenversunken starrte sie in die Flammen, während Rafaels Blick in dem von Nadine sein Ziel fand. Für eine perfekte Sekunde lang verschwanden sie in den Augen des anderen. Rafaels Augen wanderten zärtlich über Nadines Gesicht und blieben schließlich begehrlich glänzend an ihrem Mund hängen. Nadine leckte sich bei dieser intensiven Berührung, die im Grunde keine war, über die Lippen. Es war wie ein Kuss mit den Augen und sie konnte spüren, wie ihr die Hitze in die Wangen schoss.

Ohne den Blick von Nadine abzuwenden fragte Rafael seine Freundin:

„Soll ich dich nach oben bringen?"

Nadines Augen weiteten sich erschrocken. Als sie hilflos mit ansah, wie sich Rafael und Corinna von der Bank erhoben, sich mit knappen Worten verabschiedeten und anschließend die Treppen zum Haus hinauf verschwanden, da war sie derart verwirrt, dass sie weder wusste, was sie jetzt denken, noch was sie fühlen sollte.

Sie seufzte tief und griff nach ihrer fast leeren Tasse. Gedankenverloren atmete sie den Geruch von Wein und Zimt ein und starrte gebannt in die Flammen vor sich. Ihre Nerven vibrierten vor Anspannung als sie an den intensiven Moment zwischen ihr und Rafael zurückdachte.

SchneeglöckchenzauberWhere stories live. Discover now