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Seit der Sache mit Sude waren schon einige Tage vergangen und ich hatte das Gefühl, dass es Sude immer schlechter ging. Ihr Zustand würde sich wahrscheinlich erst nach paar Wochen verbessern, das hoffte ich zumindest.

Serhat hatte mich schon einige male angerufen, doch ich bin nie ran gegangen, für ihn hatte ich weder die Zeit noch die Lust.
Ich wollte in der Zeit nur für Sude da sein, bis es ihr wieder gut gehen würde. Ich hatte oft versucht sie auf andere Gedanken zu bringen, doch nichts half. Im Gegensatz zu mir hatte Mete überhaupt keine Schuldgefühle, ganz im Gegenteil, er war überglücklich.
Ich fragte mich wirklich wie er so gechillt sein konnte. Schließlich war das was wir gemacht haben mehr als nur schlimm.

Sude: ich gehe jetzt nach Hause, danke für alles

Selin: kommst du morgen wieder in die Schule?

Sude: nein erst nächste Woche

Selin: du hast eh schon genug Stoff verpasst, komm bitte die Woche!

Sude: ich hab echt keine nerven dafür, ich werde irgendwie schon alles nach holen

Selin: na gut pass auf dich auf

...

"Guten morgen!" begrüßte uns Herr Wagner und startete motiviert den Unterricht.
Ich kramte mein Block und ein Kulli aus meiner Tasche und legte es auf das Tisch.

Selin: wir haben ein Fehler gemacht

Mete: nein haben wir nicht

Selin: Sude geht es kaum besser seit dem Tag, wir durften es nie so weit bringen Mete

Mete: mach dir keine Sorgen darüber das wird schon mit der Zeit, versprochen.

Total müde versuchte ich mich auf den Unterricht zu konzentrieren, doch es funktionierte nicht. Meine Gedanken schwirrten alle durcheinander in meinem Kopf, ich konnte sie nicht ordnen.
Seit Tagen hatte ich Schlafprobleme und immer mehr Alpträume.
Es war wie eine Last die ich mit mir trug, eine Last die ich los werden musste.

Mete: Selin sie wird wie früher glaub mir

"Mete, Selin es reicht! Ich warne euch das letzte mal!"

Ertönte die wütende Stimme von Herr Wagner, der uns angespannt anfunkelte. Er war kurz vorm ausrasten, da es schon das dritte mal war, dass er uns warnte.
Die Kreide in seiner Hand hatte er so fest zusammen gedrückt, dass es in der Mitte brach und auf den Boden fiel.
Fluchend widmete er sich wieder dem Tafel zu und schrieb das Hefteintrag über die Alkene weiter. Chemie war eindeutig mein Lieblingfach, doch mir war aufgefallen, dass sich meine Noten nur noch verschlechterten.

Erst jetzt sah ich, dass die Tafel voll geschrieben war. Ein Blick auf mein Heft verriet mir, dass ich nicht einmal die Hälfte davon aufgeschrieben hatte. Ich würde das wohl nach holen müssen.

Mete: Selin was ist verdammt nochmal los mit dir? Du hast dich verändert, ich will die alte Selin zurück.

Bei diesen Worten musste ich lachen. Doch dieses Lachen war ein Lachen aus reiner Wut.
Ich wusste wirklich nicht ob ich lachen oder eher weinen sollte.
Doch eins wusste ich, die alte Selin wird es erst dann wieder geben, wenn es die alte Sude gibt.
Ehrlich gesagt hatte ich nicht erwartet, dass mich das alles so sehr mitnehmen würde.
Essen tat ich auch nicht mehr viel, sodass ich etwas abgenommen hatte, doch das alles war mir egal.

Mete: ich meine es ernst!

So gern würde ich die Zeit zurück drehen, so gern würde ich einfach von hier abhauen, so gern hätte ich alles anders gewollt. Vielleicht war das mein Schicksal, mein Leben, vielleicht ein Spiel Allahs, ein Spiel dass ich schon längst verloren hatte.
Alles war schlimm doch ich hätte nicht gedacht, dass alles schon bald so viel schlimmer seien würde..

Mete: wieso weinst du Selin?

Verwundert strich ich mir über die Wangen und tatsächlich spürte ich die Nässe. Ich zuckte mit den Schultern, denn ich wollte in dem Moment Mete überhaupt nicht sehen, geschweige denn mit ihm reden.
Ich wollte für mich alleine seien, ich musste neben Sude sein und sie aufmuntern, ich durfte überhaupt nicht in die Schule kommen.

Ich packte mein Kulli und Heft in meine Tasche, wobei ich die irritierten Blicke von Mete auf mir spürte. Als nächstes stand ich auf und gab meinem Lehrer Bescheid, dass es mir nicht gut ginge, als er nickte verlas ich das Klassenzimmer.

Doch nachdem ich die Tür hinter mir schloss, fielen nacheinander die Tränen. Ich hielt das alles nicht mehr aus. Wann würde das alles ein Ende haben? Wann konnte ich wieder wie früher ein Leben ohne Sorgen führen können? Würde es denn noch lange dauern? Denn ich hatte kaum noch die Kraft zu leben, so hart es auch klingen mag, das war die Wahrheit.

Ich war zu einem schrecklichen Menschen geworden, zu einem Menschen die ich niemals seien wollte. Ich versuchte etwas leiser zu schluchzen, was mir sehr schwer fiel, denn am liebsten würde ich so laut schreien und alles aus mir raus lassen.
Ich war wirklich an einem Punkt angelangen, an dem ich lernte, was es hieß, sich selber zu hassen, enttäuscht von sich selber zu sein.
Mühevoll versuchte ich die Toilette zu finden, doch meine Tränen ließen es nicht zu, sodass ich alles verschwommen sah.

Mete: Selin!

Ich drehte mich um und sah wie Mete aus der Klasse raus kam.
Ich wollte ihn jetzt wirklich nicht sehen! Ich hatte alles nur wegen ihm gemacht, nur wegen der Liebe zu ihm! Wie dumm und blind konnte ich nur sein?
Ich drehte mich wieder um und rannte die Treppen runter, doch hörte die Schritte von Mete dicht hinter mir.

Mete: warte doch mal!

Unten angekommen war ich total aus der puste. Das Atmen viel mir schwer und ich versuchte wieder regelmäßig zu atmen.
Dadurch, dass ich durch meinem Mund atmete spürte ich die Trockenheit und mein Körper verlangte nach Wasser.

Mete hielt mich an meinem linken Arm fest und drehte mich in seine Richtung. Er zwang mich in seine Augen zuschauen, indem er mein Kinn etwas hoch hob.
Wieso konnte es ihm so gut gehen? Hatte er denn überhaupt keine Schuldgefühle?
Wie lange war es her, dass ich so lange in seine Augen gesehen hatte? Diese Augen die mich jedesmal verzaubert hatten, hatten ihren Zauber verloren.
Ich konnte ihn nicht mehr so wie vor paar Tagen ansehen.

Mete: Selin kendine gel! Yeter artik! (Selin komm zu dir! Es reicht langsam!)

Ich schüttelte mein Kopf und ging einige Schritte zurück.
Metes sorgevollen Blicke, verwandelten sich in wütende Blicke.

Selin: yapamiyorum Mete, böyle yasayamiyorum.
(Ich kann nicht Mete, so kann ich nicht leben.)

Mete fuhr sich einmal über seine gestylten Haare und wurde immer ungeduldiger.
Auch heute sah er verdammt gut aus, doch diesmal interessierte es mich nicht. Ich wollte nicht einmal vorstellen wie schrecklich ich aussehen müsste.
Wahrscheinlich hatte ich die schlimmsten Augenringe überhaupt, war komplett ungeschminkt und an meine Haare wollte ich erst gar nicht anfangen zu denken.

Mete: wie wäre es wenn du heute Abend einfachmal wieder zu mir kommst und wir nach langer Zeit uns einen schönen Abend machen. Das würde dir bestimmt gut tun.

Selin: Mete ist das dein Ernst? Denkst du wirklich das ich gerade Lust dazu habe!?

Mete: ich habe dich vermisst Selin

Er kam mir so nah, dass ich den Billiarttisch hinter mir spürte und somit nicht weiter nach hinten konnte. Mete wischte meine Tränen weg und legte anschließend seine Hand auf meine Wange, die sofort pochte.

Mete: hemde cok özledim

Selin: simdi degil Mete
(Nicht jetzt Mete)

Mete: o güzel dudaklarini özledim (ich habe deine schönen Lippen vermisst)

Je näher sein Gesicht kam, desto schneller schlug mein Herz, desto schlechter fühlte ich mich.

"Selin!"

Genau in diesem Moment blieb mir für einige Sekunden mein Herz stehen und ich vergaß das Atmen. Ich konnte die Stimme nicht genau zuordnen zu wem sie gehörte, doch eine Vermutung hatte ich.
Genau als ich mich in die Richtung der Stimme drehen wollte, presste Mete seine Lippen auf meine...

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Wem denkt ihr gehört die Stimme? Was wird wohl als nächstes passieren?
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