Kapitel 08

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Mystic Falls, 2009:

"Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass du mich damit töten kannst, oder?", fragte Katherine mit einem abfälligen Ton in ihrer Stimme und machte eine wegwerfende Handbewegung in Richtung des Holzpfahls, den Stefan in der Hand hält.

Mit verschränkten Armen ging sie auf ihn zu und zog missbilligend die Mundwinkel nach oben, als Stefan ganz gelassen sagte: "Nein, aber er kann es."

Mit den Kopf deutete er hinter Katherine, wo Damon aus einem Nachbarzimmer kam und mit einem zufriedenen Lächeln auf sie schoss. Der Holzpflock landete mitten zwischen ihren Schulterblätter und sie schrie vor Schreck und Schmerz auf.

Voller Wut, die sich in all den Jahren in ihm aufgestaut hatte, rammte Stefan ihr einen weiteren Pflock in den Oberarm. Ab dem Augenblick, als der jüngere Salvatore sie ein weiteres Mal angreifen wollte, begann Katherine sich zu verteidigen.

Amaranta sah gespannt von ihrem Platz aus zu, wie ihre Doppelgängerin sich gegen die beiden Brüder behauptete. Die Ältere wollte Katherine nicht tot sehen, denn sie hatte sie nie belogen, benutzt oder manipuliert. Nein, sie wollte ihre Doppelgängerin umbringen, weil sie Amaryllis an ihre Schwester erinnert. Beide hatten sie alles dafür getan, um ihr Ziel zu erreichen. Sie waren skrupellos und hatten keinen Respekt für menschliches Leben. Sie beide verdienten es nicht, weiterhin am Leben zu sein, während andere dafür mit Blut bezahlen mussten.  

(Sie war nur aus einem Grund hier: eine Lüge aufdecken, die vor langer Zeit erzählt worden war, damit Amaryllis nicht mehr mit ihrer Doppelgängerin verbunden ist. Der heutige Abend war ein geeigneter Zeitpunkt dafür.)

Amaryllis sah, wie Katherine am Boden lag, von Stefan festgehalten und Damon über sie gebeugt. Bereit, ihr im nächsten Augenblick einen Holzpfahl ins Herz zu rammen. Neugierig stellte sie sich auf die Zehnspitzen, um besser über den umgefallenen Ohrensessel sehen zu können.

Zwar hatte sie gesagt, dass sie die Doppelgängerin umbringen wollte, doch als sie in Damons Augen gesehen hatte, wie er voller Verlangen sich nach ihrem Tod sehnte, hatte sie es ihm überlassen, Katherine zu töten, während sie mit Freuden dabei zusah.

"Stopp! Ihr verletzt Elena! Alles, war ihr ihr antut, verletzt Elena!"

Erschrocken drehte sich Amaranta zu Jeremy um, der keuchend in der Tür stand. Auch Damon wandte sich verwirrt von Katherine ab und blickte zu dem jüngsten Gilbert-Sprössling. Dann senkte er die Hand, die den Holzpflock hielt, und richtete sich auf.

"Glaubt ihr etwa, dass ihr die einzigen seid, die die Hilfe einer Hexe haben? Falsch! Und irgendetwas sagt mir, dass meine Hexe viel besser als eure ist."

Den Kopf hoch erhoben und die Arme in die Seite gestemmt ging Katherine an Damon vorbei, nahm ihm den Pflock ab und setzte sich auf das Sofa, das während des Kapfes unbeschädigt geblieben war.

Die Sorge um Elena war in dem Moment größer, als das Verlangen, Katherine töten zu wollen und für eine Sekunde vergaß Stefan die jüngere Doppelgängerin, die es sich auf dem Sofa bequem gemacht hatte: "Jeremy, geh zu Elena! Sieh nach, ob alles okay ist. Na los!"

"Genau, lasst uns alle sehen, ob es der armen Elena auch gut geht", sprach Katherine gehässig.

Damit lenkte sie die Aufmerksamkeit der beiden Brüder wieder auf sich.

"Nur ein bisschen mehr Druck!"

Gewaltvoll ritze sie sich mit dem Pflock über die Handfläche, während sie sprach und sah die Salvatores herausfordernd an, als Stefan ihr das Holz aus der Hand schlug.

"Okay, das wird ihr wirklich weh tun!"

Katherine hatte den Pflock wieder aufgehoben und war drauf und dran sich diesen mit voller Wucht in den Bauch zu stoßen.

"Warte!"

Damon sah die Doppelgängerin an. Da begann sie zu lächeln.

"Gut, wie wäre es dann mit dem Mondstein?"

Katherine hatte sich wieder aus das Sofa gesetzt und spielte in einer Hand mit dem spitzen Holzpflock, während sie Stefan und Damon abwechselnd abwartend anblickte.

Daraufhin sagten die Brüder nichts, sondern wandten sich einzig von ihr ab. Stille beherrschte das kleine Zimmer, in dem sie durch Bonnies Zauber gefangen waren.

"Wir drei zusammen. Ganz wie in alten Zeiten!", sagte die Doppelgängerin entspannt. Damon probierte, ob Bonnies Zauber wirklich funktioniert hatte und sie tatsächlich in dem Raum eingesperrt waren, und Stefan stand in der Mitte des Zimmers, Katherine keine Sekunde aus den Augen lassend.

Amaranta stand noch immer in der Tür -von Katherine unbemerkt.

"Der Bruder, der mich zu sehr liebte, und der Bruder, der mich zu wenig liebte." Verbitterung schwang in ihrer Stimme mit, als sie sprach.

"Und die üble Vampir-Schlampe, die nur sich selbst liebte!", warf Damon ein, während er sich umdrehte und Katherine ansah.

"Und die nette Zwillingsschwester, die von allen geliebt wurde!"

Amaryllis war es Leid, dem Gezanke von Katherine und Damon weiter zuzuhören. Sie stieß sich von dem Türrahmen ab und trat ein paar Schritte in den Raum hinein.

"Was ist denn los, kleine Schwester? Warum siehst du mich so verdutzt an? Erkennst du mich etwa nicht mehr?", fragte die Unsterbliche, als sie Katherines überraschten Gesichtsausdruck sah, der jedoch eine Sekunde später wieder ihrer üblichen gelangweilten Miene wich.

"Ich hätte wissen müssen, dass du dich irgendwo in der Nähe der Salvatores aufhältst. Du hast dich damals mit ihnen angefreundet und da du dich für eine lange Zeit nicht mehr bei ihnen aufgehalten hast, wärst du so oder so bald wieder hier aufgetaucht. Es war nur noch eine Frage der Zeit, meine Liebe!"

"Freust du dich denn nicht, dass du mich nach all den Jahren wieder siehst?", fragte Amaranta gespielt beleidigt und schob schmollend ihre Unterlippe vor.

"Welche Schwester möchte, dass ihr Zwilling ermordet wird, und hilft den Mördern? Wie heißt es so schön? Familie über alles!"

Aha, du willst also die Geschwister-Karte ausspielen. Kluges Ding, das vor den Salvatores zu sagen, aber leider Gottes ist es genau das, was ich will, Katherine!

"Schade nur, dass wir keine Schwester sind, Katherine!", sagte Amaranta laut.

Sie musste nicht zu Damon und Stefan sehen, um zu wissen, was in ihnen vor sich ging. Stattdessen sah sie weiterhin mit einem kleinen, verschmitztem Lächeln Katherine an, die die Augenbrauen nach oben gezogen hatte, als wolle sie fragen, warum sie die Wahrheit ans Tageslicht gebracht hatte, dass die beiden braunhaarigen Schönheiten, die wie ein Ei dem anderen glichen, keine Zwillinge waren.

"Was?" Mehr brachte Damon nicht heraus.

"Du hast mich schon verstanden, Damon", sagte Amaranta mit weicher Stimme, "Ich bin nicht Katherines ältere Schwester. Ein paar Jahre, bevor wir euch beide in Mystic Falls im Jahre 1864 kennengelernt haben, haben wir uns zum ersten Mal getroffen."

"Um genau zu sein, habe ich sie aus einem uralten Sarkophag geholt. Aber sie hat mir nicht verraten, warum sie dort eingeschlossen war. Und bis heute hütet sie ihr kleines Geheimnis. Also, versucht euer Glück." 

Katherine sprach mit Verbitterung in der Stimme. Fast einhundert-fünfzig Jahre waren vergangen, seit sie das Gefängnis der unbekannten Unsterblichen geöffnet hatte, in der Hoffnung, dass sie mit deren Hilfe nie wieder vor den Ur-Vampiren flüchten muss. Doch sie hatte feststellen müssen, dass die Unbekannte noch nie etwas von der Ur-Familie, geschweige denn von Vampiren gehört hatte.

Als sie Amaranta daraufhin ihrem Schicksal überlassen wollte, hatte diese sie mit Kräften, die Katherine noch nie zuvor gesehen hatte, gezwungen, sich -so lange es der Älteren beliebte- als ihre Zwillingsschwester auszugeben und die Doppelgängerin hatte getan, was man von ihr verlangt hatte.

Bis heute hatte sie kein einziges Mal irgendjemanden die Wahrheit erzählt, doch nun verrät Amaranta selbst, dass sie die gesamte Zeit lang gelogen hatte.

Da fragte sich Katherine: Jetzt, wo sie die Wahrheit laut ausgesprochen hatte, würden die Brüder nur Fragen stellen, die sie nicht zu beantworten gewillt war. Warum also hatte sie genau das getan?

***

Amaryllis [Klaus Mikaelson]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt