Liebes Tagebuch! Ich lebe, aber so fühle ich mich nicht...

26 3 3
                                    

Es ist zwar schon 6 Monate her, aber mein Alltag ist jeden Tag der gleiche. Ich stehe um 6 Uhr auf. In der Hoffnung, dass mein Mann neben mir liegt und mich mit einem liebevollem Kuss weckt. Dass meine Kinder noch in ihrem Bett liegen und nur darauf warten von mir geweckt zu werden. Aber jeden Morgen werde ich enttäuscht. Ich stehe auf, ziehe mich an, fahre zur Arbeit, komme nach Hause, lege mich hin und warte bis es draußen dunkel wird. Einmal in der Woche fahre ich noch zum Blumenladen und kaufe Blumen für die Gräber meiner Familie. Normalerweise bin ich 1 oder 2 Stunden auf dem Friedhof, aber heute hat es mich so sehr geschmerzt bei ihnen zu sitzen, dass ich schon nach einer halben Stunde nach Hause gefahren bin. Ich wusste nicht was mit mir los war. Jetzt, wo ich so über mein Leben nachdachte, fiel mir auf, dass ich in den letzten 6 Monaten alle meine Freunde verloren habe, weil ich sie nicht einmal mehr angerufe habe. Auch nicht mit meinen Eltern. Ich habe sie nach dem Tot meiner Familie nur einmal gesehen. Und das war bei der Beerdigung. Ich zog mir meine jacke an und stieg in mein Auto. Ich wollte meine Eltern überraschen. Sie waren ein wenig verängstigt, weil sie mich so lange nicht gesehen haben, aber sie haben sich darüber gefreut, dass ich gekommen bin.

Obwohl ich schon so lange nicht mehr da gewesen war, kannte ich den Weg ganz genau. Ich erkannte auch den Ort, wo der Lastwagen... Nein! Ich durfte nicht daran denken! Es war einfach zu schrecklich. Ich errinnerte mich wieder an die schönen Momente meines Lebens und der Drang, einfach loszuschreien, legt sich wieder.

Da stand ich. Vor der Tür meiner Eltern. Ich war sehr aufgeregt und meine Hand zitterte, als ich sie zur Klingel hin bewegen wollte. Ich hörte ein Schellen. Und da gab es kein Zurück mehr. Da ging die Tür auch schon auf. Meine Mütter sah mich mit Tränen in den Augen an. Ich wollte etwas sagen, aber ein dicker Kloß steckt mir im Hals fest. Sie kam auf mich zu und umarmte mich. Aber es war keine Umarmung wie die von früher. Sie war viel besser. So standen wir eine ganze Weile einfach nur da und umarmten uns. Bis mein Vater kam. Er hatte ein Telefon in der Hand und telefonierte gerade. Aber in diesem Moment, als er mich sah, sagte er nichts. Er schaute mich einfach nur an und war ruhig. Ich ging einen kleinen Schritt auf ihn zu, aber fast gleichzeitig mit mir ging er einen viel größeren Schritt zurück. Ich sah meine Mutter fragend an und ging noch einen Schritt auf meinen Vater zu. Dieses mal geht er einen noch größeren Schritt zurück. Wir standen einfach nur da, sahen uns in die Augen und gaben keinen Laut von uns. Ich wollte gerade etwas sagen, aber da lief er auch schon die Treppe hoch. Ich wollte ihm hinterherlaufen, aber meine Mutter hielt mich zurück. Sie bat mich in die Küche um mit ihr in Ruhe einen Kaffee trinken konnte. Wir saßen eine ganze Weile schweigend da. Da fing sie an zu erzählen:,,Als Anton", also mein Mann ,,und die Kinder gestorben sind, hat sich dein Vater die Schuld dafür gegeben." ,,Was? Aber wieso?", fragte ich schockierend. ,,Weil er euch an diesem Abend zu uns eingeladen hat. Und wenn er das nicht getan hätte, dann wäre dieser Laster nicht in euch hineingefahren." ,,Das ist totaler Quatsch!", entgegnete ich. ,,Aber ich verstehe nicht, warum Papa gerade eben Abstand von mir gehalten hat." ,,Er hält nicht Abstand von dir, sondern vor seinen Albträumen, die er jede Nacht hat." ,,Was für Albträume?", fragte ich. Sie seufzte. ,,Jede Nacht träumt er davon, dass du wieder kommst. Aber statt ihn zu umarmen bringst du ihn um, weil du auch denkst, dass er daran Schuld hat, dass deine Familie tot ist." ,,Ich werde mit ihm reden." Mein Entschluss stand fest. Ich ging die Treppe hoch und suchte meinen Vater. In seinem Schlafzimmer lag er auf seinem Bett und schaute nur zur Decke hinauf. ,,Papa?", fragte ich ganz ruhig ,,Das hier ist kein Traum. Das hier ist die Wirklichkeit. Und ich gebe dir keine Schuld an dem Unfall. Niemand hat hierbei Schuld. Das hätte jedem passieren können." Er lag einfach nur da und starrte zur Decke. ,,Papa? Hörst du mich? Papa, was ist mit dir?" Aber er bewegte sich nicht. Er zuckte nicht einmal zusammen, als ich ihn anstoßte. Ich rufte meine Mutter:,, Mama, kommst du bitte einmal hoch. Irgendetwas stimmt nicht mit Papa." ...

The women of the dead FamilyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt