Das Rauschen des Meers

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Lisbon.

Liebe Lisbon,

ich hoffe, Sie langweilen sich nicht allzu sehr ohne mich. Ich genieße das wunderbare Wetter hier und das Meer. Es ist immer noch so warm, dass man darin baden kann. Die Leute hier sind ganz anders als in Kailfornien. Entspannter, glücklicher. Vielleicht sollten Sie auch herkommen, es würde Ihnen gefallen. Wahrscheinlich sitzen Sie gerade am Schreibtisch und sehnen sich nach Ihrem alten Job. Tut mir leid, dass ich es Ihnen versaut habe. Zum Trost schicke ich Ihnen diese Muschel. Im Gegensatz zu mir kann sie wirklich zaubern. Halten Sie sie an Ihr Ohr und schließen die Augen. Und dann stellen Sie sich einfach vor, Sie wären hier bei mir am Strand.

Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder. Ich vermisse Sie.

Jane.


Ich seufzte und faltete den handgeschriebenen Brief wieder zusammen. Jane. Er trieb mich selbst in den Wahnsinn, wenn er weiß- Gott- wie- viele tausend Kilometer von mir entfernt war. Ich hob die große Muschel aus dem Karton und stellte erstaunt fest, dass sie mir sehr gefiel und dass mich eine angenehme Wärme durchströmte bei dem Gedanken, wie er am Strand entlanggelaufen war, sie gefunden und extra für mich abgeschickt hatte. Unwirsch schüttelte ich den Kopf. Doch ich hielt sie trotzdem an mein Ohr und schloss die Augen, wie er geschrieben hatte. Und tatsächlich- man konnte es rauschen hören. Ich atmete tief ein und meinte, das Salz des Meeres zu riechen und den leichten Gestank von verwesendem Seetang. Und ich konnte spüren, wie der Wind die feinen Sandkörner an meine Haut wehte und wie der Sand an meinen nackten Füßen kratzte. Kratzig und doch irgendwie weich. Meine Füße versanken darin. Und ich konnte Jane riechen, sein Aftershave. Konnte sein verschmitztes Jane- Lächeln vor meinem geistigen Auge sehen. Und ich seufzte genüsslich. Und schrak gleich darauf zusammen.
Um Gottes Willen, was war das denn gewesen? Heiß schoss mir das Blut in die Wangen. Schnell legte ich die seltsame Muschel zurück in den kleinen Karton, in dem sie gekommen war, und klappte ihn zu. Was fiel ihm überhaupt ein, einfach zu verschwinden und mir dann eine bescheuerte Muschel zu schicken? Zum Trost? Warum sollte er mich trösten? Ich war doch glücklich. Oder doch nicht?
Jane. Und wenn ich ganz ehrlich zu mir selbst sein sollte, vermisste ich ihn auch. Sehr sogar. So sehr, dass es weh tat.

"Lisbon, haben Sie von Jane gehört?", fragte Abbott, der mich am nächsten Tag gleich am frühen Morgen in sein Büro beordert hatte.
"Nein", log ich. In den vielen Jahren mit Jane hatte ich gelernt, besser zu lügen. Allerdings fragte ich mich in diesem Moment, warum ich das überhaupt für ihn tat. Sollten sie ihn doch fassen und für den Rest seines Lebens einsperren. Immerhin hatte er einen Menschen umgebracht. Zwar war der ein Serienkiller gewesen, aber Gesetz war nun einmal Gesetz. "Warum?"
"Wir haben Meldungen von Sichtungen ganz in der Nähe erhalten", sagte er.
"Ach ja?" Mein Herz begann in meiner Brust zu rasen und ich ärgerte mich sofort darüber.
"Wenn Sie etwas von ihm hören oder sehen, benachrichtigen Sie mich bitte umgehend. Alles andere würde Sie selbstverständlich den Job kosten", sagte Abbott streng. Ich schluckte und nickte. Ich war froh darüber, dass das FBI uns übernommen hatte. Den Job würde ich sicher nicht riskieren. Aber warum sollte Jane sich ausgerechnet bei mir melden?

Ich parkte den Wagen in der Auffahrt des winzigen Hauses, das ich gekauft hatte. Immerhin konnte ich mir ein Haus leisten. Beim FBI verdiente man tatsächlich ziemlich gut. Erschöpft stieg ich aus, ging langsam zum Haus und schloss die Tür auf. Ich drückte sie hinter mir wieder zu und schloss ab. Mich würde sicher sowieso niemand mehr besuchen.
"Hey Lisbon", sagte eine fröhliche Stimme hinter mir und ich ließ vor Schreck die Schlüssel fallen, dann wirbelte ich herum. Jane saß dort auf meiner Couch mit einer meiner Tassen auf dem Schoß und grinste mich verschmitzt an.
Ich atmete tief ein und versuchte verzweifelt, meine aufkeimende Wut zurückzudrängen. "Jane. Beantworten Sie mir eine Frage. Sind Sie bei mir eingebrochen?" Nur mit Mühe konnte ich eine zu hysterische Stimmlage unterdrücken.
"Lisbon, ich bitte Sie. Also als Einbruch würde ich das jetzt nicht klassifizieren."
"Aber genau so nennt man es, wenn jemand unbefugt in das Haus eines anderen eindringt. Und ich besitze keinen Tee. Haben Sie sich Ihren eigenen mitgebracht?", fragte ich aufgebracht.
"Na ich wusste doch, dass Sie keinen haben", sagte er und guckte mich mit gespielter Unschuld an.
Ich starrte ihn wütend an.
"Ach so, ich wollte Sie fragen, ob ich vielleicht auf Ihrer Couch nächtigen könnte. Vielleicht für ein paar Tage?", fragte er hoffnungsvoll.
Ich atmete tief durch. "Verschwinden Sie. Raus aus meinem Haus!"
Das schien ihn zu irritieren und auch zu verletzen, denn er sagte kleinlaut: "In Ordnung, es tut mir leid, dass ich bei Ihnen eingebrochen bin. Aber ich wusste nicht, wo ich sonst hin sollte."
Ich starrte ihn immer noch wütend an und er stand auf, kam auf mich zu, blieb kurz vor mir stehen und fügte dann ernst hinzu: "Gut, das war gelogen. Aber ich wollte Sie sehen. Und ich muss sagen, es ist wirklich gut, sie zu sehen, Teresa."
Plötzlich war all die Wut verraucht. Die Art, wie er meinen Namen aussprach, ließ mir das Blut in die Wangen schießen. Oh Gott, was sollte das denn schon wieder? Warum passierte das ständig mit mir?
"Tut mir leid, aber ich erwarte Besuch", murmelte ich.
Ein verschmitztes Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. "Ach ja, wer besucht Sie denn bloß zu solch später Stunde?"
"Mein Verlobter", fauchte ich spontan. Natürlich wusste er, dass ich log.
"Lisbon, Sie haben keinen Verlobten."
"Und wenn ich Ihnen erzähle, dass mich der verdammte Präsident auf einem Shetlandpony besuchen kommt, sollten Sie trotzdem den Anstand besitzen und mein Haus verlassen!", keifte ich wütend, doch er grinste nur amüsiert.
Und dann schloss er mich plötzlich in seine Arme und drückte mich fest an sich. "Sie haben mir sehr gefehlt", murmelte er und es klang überraschend sanft und ehrlich.
Ich atmete ein und roch sein Aftershave, das erst gestern in meinem Tagtraum vorgekommen war. Und ich fühlte mich wohl in seinem Arm. Beschützt und geborgen. Und am liebsten hätte ich geheult, weil er mir auch so sehr gefehlt hatte. Sogar sein ewiges Generve hatte ich vermisst. Doch ich tätschelte ihm nur unbeholfen den Rücken.
"Gut, bleiben sie für ein paar Tage hier. Aber wenn einer meiner neuen Kollegen davon Wind bekommt, bin ich meinen Job los", sagte ich.
Jane lachte leise und löste sich von mir. "Keine Sorge, ich werde mich gleich morgen bei Abbott melden. Er hat mir einen Deal vorgeschlagen."
Verwirrt sah ich ihn an und er beantwortete sogleich meine noch ungestellte Frage: "Er will mich als Berater für das FBI, im Gegenzug erhalte ich Straffreiheit."
Ein unbestimmtes Glücksgefühl durchströmte mich. Und ich wurde wieder rot, weil ich mich ertappt fühlte, da ich wusste, dass Jane jede Gefühlsregung an meinem Gesicht ablesen konnte.
Ich ging zügig an ihm vorbei in mein Schlafzimmer, das wirklich winzig war, und öffnete den neuen, weißen Schrank, in dem ich einige Wolldecken aufbewahrte. Ich holte zwei daraus hervor und schloss die Schranktür wieder. Dann sammelte ich mich kurz und trat nach draußen, wo Jane stand und mich erwartungsvoll ansah. Ich warf ihm die Decken zu.
"Gute Nacht."
"Nacht, Lisbon. Schlafen Sie gut", sagte er freundlich und ich spürte, wie mir die erste Träne über die Wange lief, als ich gerade die Tür hinter mir schloss. Ich warf mich auf mein Bett, vergrub mein Gesicht im Kissen und weinte einfach vor mich hin. Vor Wut auf Jane und Wut auf mich selbst, weil ich seltsame Gefühle zu entwickeln schien. Und auch, weil ich so erleichtert war, dass er wieder da war.
Ich hoffte, dass Jane nicht hören konnte, wie ich seinetwegen heulte wie ein kleines Mädchen.

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The MentalistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt