Schlaflos

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Jane.

Ich konnte ihre leisen Schluchzer hören, auch wenn sie vermutlich versuchte, sie zu unterdrücken. Wie gern wäre ich einfach in ihr Zimmer gegangen und hätte sie getröstet. Ich hatte ihr keinen Kummer bereiten wollen. Aber ich hatte sie einfach sehen müssen. Und es war so schön gewesen. Ich breitete die eine Wolldecke aus und legte mich darunter, während ich die andere als Kissen benutzte. Ich vergrub meine Nase darin. Hmh, roch nach Lisbon. Alles hier duftete nach ihr. Nach dem Vanilleshampoo und dem Magnolienduschbad und dem Waschpulver, das einen leichten Duft nach Lavendel verströmte. Hier würde ich sicher gut schlafen. Ich dachte daran, wie sie aus ihren grasgrünen Augen zu mir hochgeschaut hatte und daran, wie ich sie endlich in die Arme hatte schließen können. Ich mochte sie. Ich mochte sie vielleicht sogar sehr. Ich wusste nur nicht so richtig, wie ich damit umgehen sollte. Sie mochte mich auch, das konnte ich ihr ansehen. Aber was war mit meiner Frau? Meiner Tochter?
Sie sind tot, rügte ich mich selbst in Gedanken. Aber konnte ich es wagen, neue Gefühle für eine Frau zuzulassen? Was würde geschehen, wenn sie mir wieder jemand nehmen würde? Oder was wäre, wenn ich mich täuschte und sie meine Gefühle nicht erwiderte?
Ich wälzte mich herum. Lisbons Schluchzer waren verstummt. Hoffentlich war sie eingeschlafen. Es war irgendwie ein schönes Gefühl, zu wissen, dass sie da war und dass ich sie jetzt immer sehen konnte, wann ich wollte. Langsam dämmerte ich weg.

Lisbon.

Als ich am nächsten Morgen durch das lästige Piepen meines Weckers geweckt wurde, wusste ich zunächst nicht, woher der stechende Kopfschmerz kam, der mich quälte. Doch nach ein paar Sekunden fiel es mir wieder ein: ich hatte mich in den Schlaf geweint. Wegen Jane. Ich seufzte leise und schaltete den Wecker aus. Dann schwang ich die Beine aus dem Bett und machte mich auf den Weg ins Badezimmer, um zu duschen.
Das prasselnde, warme Wasser verscheuchte den beißenden Kopfschmerz ein wenig und als ich aus der Dusche stieg, fühlte ich mich gleich besser. Ich zog mich an- eine elfenbeinfarbende Satinbluse, einen schwarzen Blazer und eine Jeans- und ging in die Küche, um Kaffee zu machen.
Jane schlief noch und sehr zu meinem Ärger durchflutete mich eine seltsame, angenehme Wärme, als ich ihn sah. Er hatte sich die Wolldecke bis unter die Nase gezogen, seine Haare waren völlig zerzaust. Sein Mund stand leicht offen.
"Jane!", sagte ich laut und er schrak auf und guckte mich verwirrt an.
Ich unterdrückte ein Grinsen. "Tee?"
Er nickte. "Morgen, Lisbon." Dann schlug er die Decke beiseite und stand auf. Er trug noch immer die Anzughose und das Hemd vom Vortrag. Immerhin seines Jacketts und seiner Schuhe hatte er sich offenbar vor dem Schlafengehen entledigt, denn beides lag vor der Couch. Er reckte sich ausgiebig und ich konnte nicht umhin, kurz seinen flachen, braungebrannten Bauch zu betrachten, der dadurch ein wenig entblößt wurde. Schnell schaute ich wieder weg.
Er begann dann, die Decke zu falten und fragte fröhlich: "Gut geschlafen?"
"Ja." Tatsächlich hatte ich gar nicht so schlecht geschlafen. "Und sie?"
"Erstaunlich gut. Heute ist ein wunderbarere Tag, Lisbon."
Ich gab nur ein Grummeln von mir, während ich das heiße Wasser aus dem Wasserkocher, den ich vor einigen Augenblicken eingeschaltet hatte, in eine Tasse goss. Die Kaffeemaschine gluckerte vor sich hin und ich sah aus meiner Wohnzimmerfenster. Jane hatte Recht, der Tag schien wirklich wunderbar zu werden. Der Himmel war strahlend blau und die Sonne schien jetzt schon sehr kräftig.
"Wollen Sie duschen?", fragte ich in einer plötzlichen Eingebung.
"Gern. Danke, Lisbon!" Jane grinste mich an. "Sie sind die Beste." Ich wurde rot wie eine überreife Tomate, doch glücklicherweise drehte er sich in dem Moment um und wühlte in der Reisetasche, die er dabei hatte. Er kramte Haarwäsche und Shampoo, offenbar frische Boxershorts und Socken daraus hervor.
"Hätten Sie vielleicht ein Handtuch für mich?", fragte er etwas zerknirscht.
Ich nickte nur und bedeutete ihm, mir zu folgen. Wir gingen ins Badezimmer und ich öffnete den Hängeschrank schräg über dem Waschbecken, in dem ich Handtücher aufbewahrte. Ich nahm eins heraus, schloss den Schrank, drehte mich um und erschrak. Jane stand dichter hinter mir, als ich es erwartet hatte.
"Danke, Lisbon." Er grinste verschmitzt und nahm mir das Handtuch ab. Ich wurde wieder rot und ging schnurstracks an ihm vorbei. Was war nur los mit mir?

The MentalistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt