Lisbon
"Lisbon!", rief Abbott einige Stunden später und ich sprang von meinem Stuhl auf. "Es wurde eine Leiche gefunden im tiefsten, verschneiten Wald in den Bergen von Utah. Keine Reifenspuren, weit und breit keine Menschenseele, nur ein verlassenes Haus. Sie und Jane machen sich sofort auf den Weg dorthin. Nehmen Sie genügend Vorräte mit, man weiß ja nie. Sie schauen sich die Leiche und den Fundort an und verbringen die Nacht in der Hütte. Morgen früh nehmen Sie den ersten Flieger hierher. Ihr Flieger geht in drei Stunden."
Ich nickte nur, doch ich spürte das Unwohlsein in mir aufsteigen. Aber ich fuhr zurück nach Hause und packte dort meine Sachen. Noch eine Nacht mit Jane in einem Haus. Ich seufzte. Dann rief ich Marcus an und erzählte ihm davon. Er war ganz ruhig und wünschte mir viel Glück. Jane hatte Recht, er war so ein guter Mann.
Ich traf Jane am Flughafen, sagte jedoch kein Wort. Wir schwiegen, bis wir nach einem langen Flug und einer anschließenden langen Autofahrt in einem geliehenen Geländewagen am Fundort ankamen. Der tote Mann war ungefähr Anfang 60 und hatte drei Einschusslöcher in der Brust. Seine Beine und Arme standen in komischen Winkeln von seinem Körper ab.
"Er wurde aus einem Hubschrauber fallen gelassen", sagte Jane, der am Boden kniete und den Mann begutachtete. Er schnupperte an ihm, schien aber nichts Nennenswertes festzustellen.
"Wie kommen Sie darauf?"
Jane schaute verwirrt zu mir auf. "Na wie soll er denn sonst hierher gekommen sein?"
Da hatte er auch wieder Recht. Ich seufzte und machte mich auf den Weg in Richtung der kleinen Hütte, in der wir die Nacht verbringen sollten. Am Fundort gab es nichts weiter zu sehen. Die Leiche musste mitgenommen, die Spuren, die es vielleicht gab oder vielleicht auch nicht, gesichert werden, doch das war nicht unsere Aufgabe.
Ich holte mein nicht sehr umfangreiches Gepäck aus dem Auto und brachte es in die kleine Hütte, wo ich entsetzt feststellte, dass es nur ein Bett gab. Um Gottes Willen, dachte ich, und errötete schon wieder. Und Jane war nicht einmal in der Nähe. Aber immerhin gab es noch eine Couch. Und Jane schlief sowieso immer auf Sofas, also trug ich meine Sachen zu dem Bett und ließ mich darauf fallen. Es war sehr kalt in der Hütte, doch es gab einen Kamin und Feuerholz und ich hoffte, dass Jane vielleicht ein Feuer machen würde, wenn er hereinkam. Es dauerte auch gar nicht lange, bis er durch die Tür stolperte und einen Windstoß mit hereinließ.
"Huh, ist das kalt draußen. Und es hat zu schneien begonnen", sagte er und lächelte mich an. Ich versuchte derweil, eine Wolldecke, die auf dem Bett lag, zu entfalten, um mich zuzudecken.
"Frieren Sie?", fragte Jane und sah mich durchdringend an.
Ich nickte verlegen und zog mir die Decke bis unter die Nase.
Er nickte und kicherte dann: "Dann werd ich mal ein Feuer machen. Wie bei den Höhlenmenschen, Lisbon."
Ich schüttelte den Kopf, konnte aber ein Lächeln nicht ganz unterdrücken.
Während Jane sich also daran machte, ein Feuer zu entfachen, nickte ich ein...Jane.
Als ich es endlich geschafft hatte, Feuer zu machen und mich triumphierend zu Lisbon umdrehte, bemerkte ich, dass sie eingeschlafen war. Sie hatte sich die Decke bis unter die Nase gezogen, aber ihr würde sicher trotzdem bald kalt werden, da das Feuerholz sehr begrenzt war. Also nahm ich die Wolldecke, die für mich auf der Couch bereit lag, denn ich würde mich sowieso erst einmal darum kümmern müssen, dass das Feuer weiterbrannte. Ich brachte die Decke zum Bett, entfaltete sie und deckte sie vorsichtig über Lisbon.
Dann setzte ich mich auf die Kante und beobachtete sie ein paar Minuten lang. Sie sah auch im Schlaf wunderschön aus. Ich lächelte und unterdrückte den Drang, über ihre Wange zu streichen. Ich stand auf und machte mich daran, das Feuer in Gang zu halten. Über die nächsten Stunden hinweg beobachtete ich besorgt, wie der Schnee in immer dickeren Flocken vom Himmel fiel und wie sich aus dem Wind langsam ein Schneesturm entwickelte. Wenn wir Pech hatten, würden wir wahrscheinlich ein paar Tage hier gefangen sein. Schon nach einigen Stunden war das Holz aufgebraucht und als ich versuchte, von draußen neues zu holen, ließ sich die Tür nicht mehr öffnen. Ab jetzt würde es immer kälter werden, denn der Wind drückte immer stärker gegen das alte Holz des Hauses.
Kurz nach Mitternacht wachte Lisbon auf. Ich saß auf der Couch und blätterte in einem Buch.
"Jane? Warum sind Sie wach?", fragte Lisbon verwirrt.
Ich legte das Buch beiseite, ging zu ihr und setzte mich auf die Bettkante. Sofort stieg ihr eine sanfte Röte ins Gesicht.
"Teresa, wir sind eingeschneit und kommen nicht raus. Wir werden abwarten müssen, bi s der Sturm vorbei ist, dann werden wir sicher sofort befreit. Aber bis dahin wird es kalt hier drin werden, sehr kalt. Sie werden frieren und ich werde frieren und wir werden uns gegenseitig wärmen müssen."
"Das ist jetzt ein schlechter Scherz, oder?", fragte Lisbon entsetzt, die schon zu zittern begann.
"Ich wünschte es wäre einer", sagte ich leise.
Sie seufzte. "Warum passiert sowas immer mir?"
"Kommen Sie, wir werden nur Rücken an Rücken liegen." Es verletzte mich, dass sie offenbar nicht dasselbe für mich empfand wie ich für sie. Aber warum sollte sie auch? Sie war verlobt.
Sie nickte nur und wandt sich von mir ab.
Ich streifte meine Schuhe, mein Jackett und mein Hemd ab, um ihr die größtmögliche Wärme zu spenden, dann legte ich mich zu ihr, während mein Herz mir aus der Brust zu springen drohte. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal so nervös gewesen war. Ich rückte näher an sie heran, bis ich ihren Körper an meinem spürte, und zog die Decke sanft über mich, um sie ihr nicht zu entreißen. Ich spürte ihr Körperwärme und mir wurde sofort wohlig warm, aber schlafen konnte ich nicht. Ich war viel zu aufgeregt. Irgendwann drehte ich mich auf den Rücken und starrte an die Decke. Ich musste der Versuchung widerstehen, sie mit den Händen zu berühren, ihr Gesicht zu streicheln, sie an mich zu ziehen. Und plötzlich drehte sie sich und schlang die Arme um mich, während sie ihren Kopf auf meiner Brust positioniere. Ein Bein legte sie über meine. Um Gottes Willen.
"Lisbon?", fragte ich leise. "Lisbon?" Doch sie antwortete nicht. Vermutlich schlief sie. Natürlich schlief sie. Ansonsten würde sie sich sicher nicht so an mich kuscheln. Etwas unbeholfen schob ich meinen Arm unter ihrem Körper durch und zog sie sanft an mich. Ich lag ein paar Minuten so da, dann vergrub ich mein Gesicht in ihrem Haar und inhalierte ganz tief ihren Duft. Hmh, Vanille. Vanille und Lisbon. Kurze Zeit später war auch ich eingeschlafen...Lisbon.
Ich wurde wach und blinzelte leicht, schloss die Augen jedoch wieder. Es war kein abruptes Erwachen gewesen, eher ein sanftes Gleiten aus meiner schönen Traumwelt. Mir war wohlig warm. Meine Wange lag an einer muskulösen Männerbrust und die Finger meiner linken Hand strichen sanft durch vereinzelte Brusthaare. Starke Arme zogen sich fester um mich. Ich lächelte und inhalierte tief den Duft, der von dem Mann, auf dem ich lag, ausging. Er roch wunderbar.
"Morgen, Teresa", murmelte jemand. "Gut geschlafen?"
Ich sprang auf und starrte Jane voller Entsetzen an. Mein Gesicht glühte. "Wie kommen Sie dazu, mich derart hinterhältig-" Mir fiel nichts weiter ein.
Jane setzte sich auf. Er sah irgendwie verstört aus. "Aber Sie haben sich doch an mich gekuschelt! Ich habe quasi nur... zurückgekuschelt."
Oh Gott, konnte er Recht haben? Mein Kopf schwirrte. "Ich geh duschen", murmelte ich leise und war nicht einmal sicher, ob er es verstanden hatte.
"Ich denke nicht, dass das Wasser warm sein wird", meinte Jane, der mich offenbar gehört hatte, doch ich ignorierte ihn, kramte ein Handtuch, Kleidung und eine Kulturtasche aus meiner Tasche und ging schnell in das winzige Badezimmer. Mein Gesicht glühte immer noch. Ich hatte Janes Brust gestreichelt. Und wer weiß, was noch alles! Ich vergrub mein Gesicht kurz in den Händen und schüttelte den Kopf, dann stieg ich in die wackelige Duschkabine.
Jane hatte Recht gehabt, das Wasser war kalt. Aber irgendwie schaffte ich es, mir die Haare zu waschen und sogar, mich zu rasieren. Das tat ich allerdings nur, um möglichst lange von Jane weg zu sein. Was war das nur zwischen uns? Seit wann war unsere Beziehung so angespannt?
Ich kletterte aus der Dusche, trocknete mich ab, cremte mich ein, lackierte mir die Fuß- und Fingernägel, putzte mir gründlichst die Zähne, kämmte meine Haare und war dann leider fertig. Was jetzt? Ich musste irgendwann das Bad verlassen. Zum Glück hatte ich wenigstens in meinen Klamotten geschlafen. Reiß dich zusammen, Lisbon, dachte ich. Du warst mal sein Boss. Benimm dich gefälligst so. Ich atmete tief durch, dann trat ich durch die Tür. Jane war nirgends zu sehen, doch es roch unheimlich gut. Ich legte meine Sachen zurück in die Tasche und schloss sie wieder.
Ich hörte es in der Küchenecke brutzeln, also machte ich mich auf den Weg dorthin. Und tatsächlich- Jane stand dort am Herd und winkte mir grinsend mit einem Pfannenwender zu.
"Hey Lisbon! Ich serviere Ihnen gleich die weltbesten Rühreier."
Ich verdrehte nur die Augen. Wie konnte man dermaßen selbstverliebt sein?
"Hat Abbott sich bei Ihnen gemeldet? Mein Handy liegt im Auto", gab ich zerknirscht zu.
Jane atmete tief ein. "Es ist leer. Das Aufladegerät liegt... im Auto."
Ich seufzte und ließ mich auf einen der beiden Stühle am winzigen Esstisch sinken. Ich hätte am liebsten geheult.
"Hey, kommen Sie schon, es hätte schlimmer kommen können", sagte Jane und grinste mich an.
"Ach ja? Wie hätte es denn bitte noch schlimmer sein können? Ich bin gefangen! Mit ihnen! Es ist kalt und wir sind völlig abgeschnitten von jeglicher Zivilisation!", rief ich.
Jane nickte nur und rührte weiter in der Pfanne. Kurze Zeit später stellte er mir einen Teller mit Rührei und zwei Toastscheiben darauf vor die Nase. Er selbst setzte sich auf die Couch. Warum setzte er sich von mir weg?
Ich schnupperte. Es roch köstlich und so schmeckte es auch, wie ich wenige Augenblicke später feststellte, als ich zu essen begann. Vielleicht waren das tatsächlich die weltbesten Rühreier.Der Tag verging, ohne dass uns jemand befreite. Natürlich. Jane las die ganze Zeit und sprach kaum ein Wort, was ziemlich untypisch für ihn war. Ich wusch erst ab, dann legte ich mich auf mein Bett und starrte an die Decke. Man konnte nicht einmal mehr nach draußen sehen, weil die Fenster zugeweht waren. Irgendwann nahm ich mir ebenfalls ein Buch und las. Am späten Abend hatte ich das ewige Schweigen schließlich satt: "Jane, haben Sie eigentlich schon eine Idee zu unserem Fall?"
Er sah von seinem Buch auf und es schien, als müsste er erst aus einer anderen Welt auftauchen, denn seine Antwort kam sehr verzögert: "Ich denke, es hatte etwas mit der Mafia zu tun."
"Wie kommen Sie darauf?", fragte ich verwirrt.
"Siegelring. Haben Sie den nicht bemerkt? Er war schon sehr klobig." Nein, hatte ich nicht. Vielleicht verließ ich mich inzwischen zu viel auf Janes Fähigkeiten.
"Und wissen Sie noch mehr?", fragte ich, um vom Thema abzulenken.
"Na hören Sie mal, Lisbon, ich bin doch kein Hellseher", sagte er und zwinkerte mir grinsend zu.
Ich musste lächeln. "Natürlich nicht."
Wir schwiegen kurz. Dann fragte ich leise, weil es mich tatsächlich interessierte: "Fühlen Sie sich befreit, jetzt, wo Red John tot ist?"
Jane, der schon wieder in sein Buch geblickt hatte, sah auf, sein Blick ernst und traurig. "Ein wenig. Aber der Mord an ihm hat meine Frau und meine Tochter auch nicht zurückgebracht."
Ich nickte. In diesen kurzen Momenten konnte man Jane ansehen, wie verletzlich er tatsächlich war. Denn er wusste es gut zu verbergen. Die meiste Zeit über war er fröhlich und seltsam und nervig, aber manchmal, da gab es diese kleinen Momente, in denen er sein Innerstes nach außen kehrte.
Und in diesen Momenten tat er mir so unglaublich leid, weil ich seinen Schmerz förmlich sehen konnte. Und mich überkam das starke Bedürfnis, ihn zu umarmen, doch ich blieb einfach liegen.
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The Mentalist
RomanceJane kommt nach Austin, wo Lisbon und das Team schon beim FBI arbeiten, und geht einen Deal ein- Arbeit beim FBI gegen Straffreiheit vom Mord an Red John. Lisbon freut sich eigentlich, dass Jane wieder da ist. Oder doch nicht? Sie ist sich selbst n...