Part III

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Part III:

"Was hast du heute geträumt, Noah?", fragt Thomas, als Es aufgegessen hat. Natürlich hat er auf den Monitoren die Gehirnströme gesehen und die Analysewerte haben dazu ein Bild gefertigt, einen etwas verwirrten Film mit Dinosauriern, einem sprechenden Tisch und einem freundlichen Kokon. Noah-6 kennt sein Gesicht nicht und daher auch nur die Gesichter im Traum projizieren, die Es besucht haben, was nur Thomas Jansen und drei weitere Wissenschaftler je getan haben. Es mussten mindestens drei sein, um dem Gehirn eine Abwechslung zu geben und manchmal trugen die Wissenschaftler auch Perücken oder eine Glatze, Bärte oder lange Haare. Daraus konnte sich das Gehirn der Klone eigene Projektionen ausdenken. Auch Thomas trägt heute einen Bart, was hauptsächlich durch seine lange Schicht kommt und keine Brille, die er sonst immer mit Fenstergläsern trägt. Thomas muss ganz kleinlich darauf achten, dass er stets sein rechtes Auge zucken lässt, damit Noah-6 einen Wiedererkennungswert zu ihm aufbauen kann. Jahre lang macht Thomas dieses Zucken schon und es ist bei ihm schon fast zu seiner Natur geworden. Deshalb fürchtet er auch, dass er bald in Frührente gehen muss, weil er bei sich selbst bemerkt, dass er sich geklont und manipuliert fühlt. Wenn das so weitergeht, wird ihn Christian Macher, der Leiter des Experiments seit drei Jahren, entlassen. Er hat schon oft beobachtet, dass sich Thomas verwirrt verhält, was dieser nur schwer als eine Folge von Schlafmangel entschuldigen konnte. Thomas ist so sehr in seinen Gedanken versunken, dass er erst auf auf 6 reagiert, als Es anfängt vor seinem Gesicht zu schnipsen.

„Äh, hörst du mir zu, oder wolltest du selber noch ein bisschen träumen, Herr Professor?" Thomas schüttelt den Kopf und ist plötzlich wieder voll da. Er liebt es, wenn 6 ihn „Herr Professor" nennt. Er lächelt und sagt entschuldigend: „Tut mir leid, ich hatte wohl zu wenig Schlaf, wegen -" Thomas hält inne. Fast hätte er gesagt „wegen Nummer-7", aber er darf selbst nicht die Nummer der Klone sagen, 6 muss glauben, der Einzige zu sein, der in dem Experiment ist, wobei das Wort Experiment auch nie gefallen ist. Bei Noah-6 hat Thomas einfach dieses vertraute Gefühl, das er nicht los wird und ihm am liebsten sein ganzes Leben erzählen würde. „-wegen meiner Frau", fügt Thomas dann also nach einer kurzen Pause an. Noah-6 kann etwas mit dem Begriff „meine Frau" als Synonym für „Ehefrau" anfangen: eine weibliche Person, die in ehelicher Verbindung ein gemeinsames Leben verbringen wollen. Es ist nicht das erste Mal, dass Thomas seine „Frau" erwähnt, die er natürlich nicht hat, aber es soll Noah-6 die typischen sozialen Voraussetzungen verdeutlichen.

„Gab es Streit?" Noah-6 verzieht mitleidig das Gesicht. Es weiß, dass Streit eine oftmals schmerzliche Methode ist, bei der zwei oder mehrere Menschen über ein Thema diskutieren, was durch Unstimmigkeiten zu einem emotionalen Chaos wird. Alle Klone weisen eine grundlegende Hypersensibilität gegenüber den eigenen und Emotionen anderer. Man spricht von einer „Dominaten Über-Reizempfindlichkeit". Viele Klone sterben in jungen Jahren, weil sie entweder nicht mit ihren eigenen Emotionen oder den wahrgenommen Emotionen der Wissenschaftler klarkommen. Manche Forscher nennen diese Kinder oft eher scherzhaft „Superhelden mit der Gabe Emotionen zu spüren". Diese Kinder leiden darunter, niemand „Lebendiges" stets bei sich zu haben, ein emotionales Wesen, das ssich um sie kümmert. Liebe fehlt diesen Kindern. Ganz einfach Liebe."

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