1. Kapitel

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1. Kapitel

Das Gras auf meiner Haut fühlt sich angenehm an. Gemütlich sitze ich in diesem Beet und strecke die warmen Füße in die frische Kälte des Wassers. Die Geräusche der Tiere aus dem großen Weizenfeld in der Nähe sind nur ein weiteres Hintergrundgeräusch. Genauso wie das leise Flattern eines Schmetterlings, als dieser an mir vorbeifliegt. Anschließend bleibt er auf einem längeren Grashalm sitzen und zeigt mit seinen Fühlern in meine Richtung. In letzter Zeit ist mir aufgefallen, dass ein weißer Schmetterling in der Nähe ist, wenn ich in die Natur gehe. Seit vier Monaten ist er oder sie ein Teil von mir und ich konnte mir dieses wunderschöne, kleine Insekt nicht mehr wegdenken. Das Internet konnte mir nicht weiterhelfen mit der Suche nach dem Geschlecht, da es leider keine Unterschiede gibt. Was ich herausfinden konnte, ist die Art des Schmetterlings, da sein Lebensraum genau in unserem Gebiet ist und hier weitläufige Graslandschaften zu finden sind. Daher ist er höchstwahrscheinlich ein 'Pontia Edusa'. Ich habe mich so sehr nach der Suche der Art des Schmetterlings gemacht, dass ich ihn ebenfalls benannt habe. Er heißt Wing, wie der Flügel. Daraufhin fliegt er einen großen Kreis um meine Schenkel herum, die im Liegen aufgestellt sind. Ich strecke langsam einen Zeigefinger aus, damit er darauf landen kann. Zu meiner Überraschung tut er es sogar. 'Wahrscheinlich spürt er meine innere Ruhe', denke ich mir mit halb geschlossenen Augen. Mit zusammengekniffenen Augen schaue ich ihn mir genauer an, denn von Nahem sieht er sogar noch schöner aus. Ich beobachtete ihn ein bisschen, dann fliegt er nach einer Weile weg. Seit ich ihn das erste Mal gesehen habe, hat er mich draußen nicht allein gelassen, außer andere Menschen kamen in die Nähe. Ich lege meine Hand wieder auf den Bauch, als plötzlich jemand meinen Namen ruft: "Dakota, wo bist du?" Erschrocken drehe ich mich von meiner Position um. Meine beste Freundin Erin bahnt sich langsam ihren Weg durch das hohe Gras bis ans Ufer, an dem ich halb aufgestützt liege. Sie ist Mal wieder ganz in weiß gekleidet, was einen leicht irritierenden Eindruck auslösen kann. Auf der Straße könnte sie als Patientin einer psychiatrischen Einrichtung durchgehen, wenn man in Klischees denkt. In der Mittagssonne scheint sie dadurch zu glänzen und eine andere Aura zu bekommen. „Hi, was machst du hier?" frage ich ein wenig atemlos. Sie lächelt verhalten: "Ich wollte mal schauen wo du bist, wir wollten uns doch verabreden. Schon vergessen?" In ihrer Stimme liegt ein kleiner Unterton, den jeder eindeutig wahrnehmen könnte. Da ich ihre Forderung oder eher gesagt Frage etwas unfair finde, verdrehe ich die Augen. Vor einiger Zeit hat sie sich verändert. Am Anfang ist es mir nicht aufgefallen, als wir immer weniger Kontakt hatten, da wir ganz vertieft in unsere Prüfungen waren. Erst als der Stress allmählich nachließ, verschanzte sich Erin in ihrer eigenen Welt. Von jetzt auf gleich änderte sie nicht nur ihren Kleidungsstil (auf den ich sehr neidisch war), sondern auch einen Teil ihrer Persönlichkeit. Die selbstbewusste Absolventin verwandelte sich in ein sorgenvolles Schäfchen, welches Stressfalten zwischen den Augen bekam. Obwohl wir uns zuvor quasi jeden Tag getroffen haben und wir alles übereinander wissen, kam es mir zunehmend so vor, als ob ich sie verlieren würde. Dann aus heiterem Himmel fragte sie mich jeden Tag, ob wir etwas unternehmen möchten. Ich wollte nicht mit mir Spielen lassen, weswegen ich dann die Initiative der nicht-unterstützenden Freundin übernahm. Die zwei Extreme trafen aufeinander ohne jegliche Vorwarnung. Und hiermit sind wir am heutigen Tag angekommen, an dem ich es nur noch nervig finde, sie jeden Tag ohne Erklärung zu sehen. Wegen diesem Verhalten habe ich angefangen mehr in die Natur zu gehen und die warme Sommerluft einzuatmen, die mich zu erden scheint. Auch jetzt beruhigt mich der aufkommende Wind und ich atme vor meiner Antwort tief ein: „Erin, ich habe gar keine Verabredung vergessen, weil es keine gibt. Es tut mir leid, aber ich weiß gar nicht mehr wer du bist. Erst ignorierst du mich und jetzt das. Was hat es mit dem ständigen Kontakt auf sich?" Ich versuche dem Ton die Schärfe zu nehmen, jedoch hört sich meine Aussage giftig an. Sie wirkt traurig: „Ich möchte mich mit dir verabreden, um es wieder gut zu machen. In letzter Zeit hat sich einiges verändert, aber ich werde dir davon erzählen. Versprochen!" Sie schaut betroffen in den Himmel und flüstert eine Entschuldigung, als sie mich doch ansieht. Aus Vergebung heraus, klopfe ich mit der Hand neben mich auf das Gras, damit sie sich zu mir setzt. Ich bin zwar immer noch enttäuscht und verwirrt, aber vielleicht ist es an der Zeit die Wogen zu glätten. Genervt darf ich ja zum Glück trotzdem noch sein. Vorsichtig und sanft fängt sie an zu erzählen: „Ich wollte dir etwas erzählen, weil du meine beste Freundin bist und ich dich vermisst habe. Du kennst doch noch Harry aus der anderen Klasse, oder?" Ich denke kurz nach und erinnere mich an einen gutaussehenden Jungen, der im Biokurs in der Nähe von uns saß. Dabei schaue ich Erin an und nicke. Sie wird rot und kann nicht mehr an sich halten und strahlt wie ein Honigkuchenpferd: „Er hat mich ins Kino eingeladen!" Stirnrunzelnd erwidere ich: „Ich wusste gar nicht, dass du einen Crush auf ihn hast." Ihre Miene verdunkelt sich, als ich ihre Freude nicht teile: „Ich habe angefangen Harry Nachhilfeunterricht zu geben nach der Schule. Ich weiß, dass es sich jetzt echt doof für dich anhören muss, weil wir uns ja eine ganze Weile nicht gesehen haben. Naja... wir haben uns gesehen aber aneinander vorbeigeredet. Ich hoffe, dass wir zu dem Punkt ankommen, bei dem es nicht mehr so schwierig zwischen dir und mir ist, Dakota." Diese ganze Situation fühlt sich surreal an. Ich bin eine Befürworterin für zweite Chancen, vor allem weil es um meine beste Freundin geht. Trotzdem möchte ich sie spüren lassen, dass der Rückzug und das Ignorieren nicht in Ordnung war. Immer wieder stand ich vor ihrer Tür und habe so oft geklingelt, als schließlich ihre Eltern aufmachten und mich genervt nach Hause schickten. Andererseits möchte ich sie nicht verlieren und wenn ich ehrlich bin möchte ich auch, dass es wieder so wie früher wird. Sie hat sich wirklich bemüht den Kontakt aufzubauen. Erin schaut erwartungsvoll in meine Richtung: „Ja, ich sehe es auch so wie du. Und ich bemerke auch, dass du dir Mühe gegeben hast den Kontakt wieder aufzubauen. Es könnte aber noch eine Weile dauern, bis ich nicht mehr angepisst bin. Aber lass uns dieses Thema einfach langsam angehen, in Ordnung?" In Erin's Augen glänzen Tränen, die sie mit einem vorgetäuschten Hustenanfall vor mir verstecken möchte. Ich sage mir, dass bessere Zeiten kommen werden, als die Sonne ein klein wenig wärmer auf uns herabscheint und der Wind sanfter wird. Mit bemühter Zuversicht ergreife ich das Wort: „Und was Harry angeht bin ich glücklich, wenn du glücklich bist. Ihr würdet rein äußerlich echt gut zusammenpassen. Welchen Film möchtet ihr denn anschauen?" Sie scheint sich zu freuen, da sie ein Stück näher zu mir rückt. In der nächsten halben Stunde erzählt sie mir wie alles angefangen hat und welche überaus positiven Eigenschaften Harry an sich hat. Sie erzählt mit so einer Zuversicht und Freude, dass sie mich glatt dazu bringen könnte mich in Harry zu verknallen. Wird natürlich nicht passieren aber genau diese Art an ihr mag ich besonders gern. Sie hat so eine positive Ader, dass sie alle in ihren Bann ziehen kann. Fast ist es so, als ob unser 'Krisengespräch' nie stattgefunden hätte. Als sie sich mit dem Oberkörper erschöpft ins Gras plumpsen lässt, tue ich es ihr gleich und halte Ausschau nach Wing. Erin's braune Augen mustern mich: „Erwartest du noch jemanden?" Ohne nachzudenken bejahe ich: „Also nicht so wie du denkst. Ich habe oft Gesellschaft von einem Schmetterling. Er oder sie lässt sich aber nicht blicken, wenn andere Personen in der Nähe sind. Ich habe nur gedacht, dass er vielleicht die Ruhe spürt und trotzdem kommt." Es könnte auch nur Einbildung sein, als Erin auf einmal schneller zu atmen scheint. Auch sie schaut sich nun um und wirkt dabei wie ein aufgeschrecktes Reh. Wieso mache ich nochmal diese Tiervergleiche? Egal. Erin flüstert, sodass ich kaum verstehe, was sie sagt. Was ihre Worte nicht weniger merkwürdig machen: „Es ist also soweit. Sie ist bereit." Daraufhin verdunkelt sich der Himmel. Ganz so, als ob die Sonne heute nie geschienen hätte.

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