|13. Kapitel|

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Am nächsten Tag fing die zweite Phase unserer Initiation an. Wir saßen alle in einem Flur und warteten darauf, unsere Ängste mit Hilfe des Angstserums zu überwinden. Four saß in einem Raum, dessen Tür am Flur angrenzte und rief uns nacheinander zu ihm. Als Four dieses Mal jemanden aufrief, war es Tris. Sie kam allerdings nach circa drei Minuten wieder aus dem Raum und sah überraschenderweise so aus wie immer. Nicht so wie Molly, sie war vor Tris dran gewesen und kam völlig geschockt und zitternd aus dem Zimmer.

"Jess.", sagte Four als er erneut in den Flur trat.

Ich ging in den Raum und setze mich auf den Zahnarztstuhl, welcher mich erwartete.

"Ich initjiziere dir jetzt ein Serum, das den Teil in deinem Gehirn anregt, der Angst verarbeitet. Es ruft eine Halluzination hervor und der Transmitter zeigt mir die Bilder in deinem Kopf.", sagte Four.

Er setzte die Spritze an meinen Hals und stach vorsichtig zu. Ein brennender Schmerz ließ mich zusammenzucken. Ich schloss die Augen und versuchte mich zu beruhigen.

Ich stand auf einem Feld, dürres Gras reichte mir bis zur Hüfte. Die Luft roch nach Rauch und in der Ferne erkannte ich den Zaun, welcher unsere Stadt von der Außenwelt trennte. Dort musste ich mich also befinden. Der Himmel über mir war gelbgrün und wirkte wirklich ekelerregend. Ich sah mich weiter auf dem Feld um und entdeckte ein Feuer, welches ein Stück von mir entfernt entflammt war. In der Ferne konnte ich hundeartige Wesen erkennen, die immer größer wurden. Ich wollte weglaufen, doch meine Füße schienen wie angewurzelt im Erdboden festzustecken. Ich schrie, als die hundeartigen Wesen mich umzingelten. Sie kratzten auf mich ein und bissen mir gelegentlich auch mal in mein Fleisch. Ich musste noch mehr schreien, ich konnte nicht anders. Die Schmerzen, welche die Wesen erzeugten, waren unerträglich. Ihre Krallen bohrten sich unter meine Haut und schnitten sie qualvoll auf. Ich schluchzte und rollte mich auf dem Boden zusammen. Meine Haut brannte wie Feuer und ich blutete. Außerdem war das Heulen und Knurren der Wesen so laut, dass es in meinen Ohren hallte. Doch dann erinnerte ich mich daran, dass dies alles nicht wirklich war, obwohl es mir so vorkam, es kam mir so schrecklich vor. Als ich atmen wollte, konnte ich es nicht, da sich hunderte von Haarbüscheln in meiner Kehle angestaut hatten. Und dann nahm ich all meinen Mut zusammen, schlug um mich, in der Hoffnung eines der Wesen zu erwischen. Ich zwang mich dazu die Bisse und alle Schmerzen auszublenden und mich aufzurichten, mich an irgendetwas hochzustemmen. Eines der Wesen starrte mich mit seinen gelben, giftigen Augen an und stieß darauf ein Knurren aus. Ich ballte meine Hand zur Faust und schlug dem Wesen wortwörtlich aufs Maul. Es wich zwar zurück, doch der Rest der Bande fiel erneut über mich her. Ich rollte mich wieder auf dem Boden zusammen und schlang meine Arme um meinen Körper. Ich wollte hier raus, raus aus dieser Simulation. Die Wesen bissen erneut auf mich ein. Einer nach dem anderen stieß mir seine scharfen Zähne in die Rippen, in die Waden und sonst wo hin. Der Schmerz war überall. Sie würden mich zerfleischen, sie würden nicht aufhören, sondern weitermachen bis ich starb. Aber ich starb nicht. Ich schloss die Augen und holte mit meinen Händen die Fellknäule aus meinem Mund heraus. Dann öffnete ich die Augen - und saß wieder auf dem Metallstuhl. Ich fasste mir an den Kopf und massierte meine Schläfen, die Simulation war vorüber, ich lebte.

"Zum zweiten mal, unglaublich.", sagte Four erstaunt.

Ich schloss aus diesen Worten, das es bei Tris genauso abgelaufen war. Hatte es etwas damit zu tun, das wir Unbestimmte waren?

"Was glaubst du, wie lange hat die Halluzination gedauert, Jess?", fragte Four.

"Keine Ahnung.", ich schüttelte den Kopf. "Zwanzig Minuten?"

"Nein. Drei Minuten. Du warst dreimal so schnell wie die anderen.", antwortete er. "Morgen wirst du noch besser sein, du wirst schon sehen."

"Morgen?"

Doch Four lotste mich einfach zum Hinterausgang und schubste mich hinaus. Ich verstand nur Bahnhof und war völlig am Ende. Langsam setzte ich meinen Weg in den Schlafraum fort, doch mir war so schwindlig und unwohl, dass ich immer wieder an eine Wand krachte oder stolperte. Irgendwann reichte es mir, ich konnte kaum denken und gleichzeitig laufen. Also lehnte ich mich an eine Wand und ließ mich auf den Boden gleiten, alles um mich herum drehte sich. Ich stützte meinen Kopf mit den Händen und schloss die Augen. Bisse, Kratzer, Krallen, überall um mich herum. Da war ein Wesen, nein, ein Wolf. Was um Himmels Willen war ein Wolf? Das Wesen. Gelbe Augen, etwas berührte mich am Arm. Ich fuhr hoch und hätte fest aufgeschrien, als ich Eric kniend neben mir entdeckte.

"Ist alles gut bei dir? Du siehst...fertig aus.", stellte er besorgt fest.

"Ja...Nein, alles gut. Ich muss nur...", stotterte ich.

Eric reichte mir seine Hand und meinte: "Komm, ich helf' dir."

Ich ergriff seine Hand und ließ mich von ihm hochziehen.

"Du warst in deiner Angstlandschaft, nicht wahr?", fragte er.

Ich nickte benommen und trat meinen ersten Schritt, welcher überraschend gut ging.

"Ich hätte nicht gedacht, dass du überhaupt vor etwas Angst hast.", sagte Eric.

"Oh, doch. Da gibt's ne' ganze Menge, glaub mir.", antwortete ich.

Ich lief in Richtung Schlafsaal, drehte mich allerdings noch einmal zu Eric um, welcher mich aufmerksam beobachtete.

"Weißt du, was ein Wolf ist?", fragte ich.

Eric schüttelte unwissend den Kopf.

"Ich auch nicht.", murmelte ich und verschwand in den Schlafsaal.

Dort saßen bereits die anderen in ihren Betten und starrten mich an, als ich in durch die Tür schlenderte und mich auf mein Bett fallen ließ. Die Kopfschmerzen waren zu meinem Entzücken verschwunden.

"Tris, Jess, ihr hattet dabei gar kein Problem, oder?", fragte Christina, als ich mich hinlegte.

"Doch.", antworteten wir gleichzeitig.

Ein ziemlich großes sogar, wenn ich weiterhin so gut wäre, würde Four Fragen stellen.

"Wie macht ihr das? Was ist euer Trick?", fragte Peter, als er den Schlafsaal betrat.

"Wie bitte?", fragte ich etwas erschrocken.

"Was ist euer Trick? Nur ihr beide habt es so schnell geschafft.", antwortete Peter.

"Es gibt keinen Trick.", sagte Tris.

Peter musterte uns. Schöpfte er Verdacht?

"Dann erzählt es wenigstens euren Freunden.", sagte er und ging wortlos zu seinem Bett.

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