Die Wochen vergingen, die Blätter fielen von den Bäumen und bald war die ganze Landschaft von einer dicken, weißen Schneeschicht überzogen. >>Der Winter in diesem Jahr wird hart.<< sagte Cole >>Geht bitte für mich in die Stadt und besorgt und Vorräte. Ich möchte bei einem Schneesturm nicht draußen herumlaufen müssen und es ist gerade ruhig.<< Er gab Kazue einen Beutel voll mit Münzen. Sie trug dicke Fellstiefel, eine Lederhose sowie ein dickes Stoffwams und schwarze Handschuhe. Darüber hatte sie einen warmen Pelzmantel mit Kapuze an. Kaba trug die gleiche Kleidung nur, dass er seine Kapuze nicht auf hatte. An ihren Hüften trugen die Beiden ihre Schwerter. Der Junge hatte außerdem Lucys Silberdolch in seinem Stiefel versteckt und das Mädchen hatte in ihrem Mantel mehrere Messer und Wurfmesser versteckt. >>Verbringt die Nacht in der Stadt.<< meinte Lucy zu ihnen bevor sie loszogen. >>Kommt aber morgen wieder bevor es dunkel wird.<<
Nun stapften die beiden Gefährten durch den Schnee. Kazue hatte ihre Kapuze so weiter runtergezogen, dass man ihre Augen nicht sehen konnte. Gegen Mittag erreichten sie die Stadt Kallu. Es war eine recht befestigte Stadt mit einem Nord- und einem Südtor und einer Mauer rings herum. Neben jedem Tor standen zwei Wachtürme und vor jedem Tor zwei Wachen. Diese ließen die beiden Freunde jedoch unbehelligt passieren. Von innen war die Stadt sehr geordnet aufgebaut – die Häuser standen in Reih- und Glied nebeneinander, zwischen ihnen immer wieder kleine Straßen und eine große Straße die vom Nordtor zur Zitadelle in der Mitte und vor dort aus zum Südtor führte. Auf den ersten Blick sah es dort recht friedlich aus doch je genauer Kaba hinsah, desto mehr Hunger und Leid erkannte er in den Augen der Leute, die unnatürlich häufig in den Gassen saßen. Plötzlich kam wie aus dem Nichts ein Mann aus einer der Gassen gerannt, packte Kazue am Arm und zerrte sie zurück zwischen die Häuser. >>Du kommst mit mir, Süße.<< flüsterte er ihr ins Ohr. Das Mädchen schrie um Hilfe doch niemand riskierte auch nur einen Blick in ihre Richtung. Kaba wollte dem Mann gerade hinterher rennen, da hörte er ein lautes knacken gefolgt von einem Schrei aus der Ecke, in die der Entführer seine Freundin geschleppt hatte. Dann kam sie auf ihn zu mit einem breiten Grinsen auf den Lippen und einem Beutel in ihrer linken Hand. >>Sieht so aus,<< sagte sie mit sichtlich Amüsiert, >>als hätte der Kerl uns gerade unsere Übernachtung bezahlt.<< Er blickte sie verdutzt an. Dann musste er lachen >>Du bist wieder ganz die Alte!<< Sie hob etwas Schnee auf, formte ihn zu einem Ball und warf ihn auf ihren Freund >>Was soll das denn heißen?<< schnaubte sie mit gespielter Verärgerung. >>Das soll heißen,<< entgegnete der Junge >>Dass du die letzten Wochen kaum da warst.<< >>Lass uns später darüber reden. Wir haben einen Einkauf zu erledigen.<< Der Junge war überglücklich. Endlich war er wieder mit seiner besten Freundin zusammen unterwegs. Sie zogen durch die Stadt und taten das, was sie von klein auf am besten konnten – Händler über den Tisch ziehen. Gemeinsam waren sie nicht aufzuhalten.
Als es allmählich dunkel wurde, machten sie sich auf die Suche nach einem Gasthaus. >>Zur tänzelnden Meid.<< las Kazue vor. >>Hört sich nicht gerade vertrauenerweckend an.<< merkte Kaba an. >>Lass uns rein gehen!<< rief das Mädchen, packte ihren Gefährten am Arm und zog ihn ins Haus. Sie ging zum Tresen und legte das ganze Geld des Mannes der sie vorhin überfallen wollte vor den Wirt hin. >>Ein Zimmer bitte.<< sagte sie freudig. Der der Besitzer des Gasthauses – er hatte sehr kurzes graues Haar, fettige Haut und einen dicken Bauch – sah verstohlen zu ihrem Anhängsel hinüber. >>Ein oder zwei Betten?<< fragte er mit einem verschmitzten Lächeln. >>Eins reicht uns.<< entgegnete sie mit einem breiten, katzenartigen Lächeln und warf dabei ihre schneeweißen Haare zurück. Sichtlich verblüfft überreichte der Mann ihr einen Schlüssel und begann das Gold zu zählen. Die Gaststätte war sehr schäbig aufgebaut. Im unteren Stockwerk war eine kleine Taverne eingerichtet mit einer Theke und vielen Tischen und Stühlen. Im oberen Stockwerk waren die sehr dürftig eingerichteten Zimmer. Die Einrichtung bestand lediglich aus einem alten Bett, einem Tisch, zwei Stühlen und einer fast gänzlich abgebrannten Kerze. Der untere Teil des Gebäudes war – da es die einzige Taverne der Stadt war – sichtlich überfüllt. Dies hielt die Beiden jedoch nicht davon ab, sich an einen Tisch zu setzen und über die anderen Leute zu lästern. Es war bereits spät als Kabas Blick auf eine Frau in einem schwarzen Umhang fiel. Unter der Kapuze blitze ein Paar gelber Augen hervor. Sie war umringt von drei hoch gebauten Männern. Als er zu seiner Gefährtin hinüber sah stellte er fest, dass auch sie die Frau beobachtete. Keiner der Beiden konnte hören, was sie sagten aber als einer der Männer sich zu der mysteriösen Gestalt vorbeugte und sie am Arm packte, brach er plötzlich zusammen. Sie stand auf und verließ die Taverne. Das Mädchen sprang auf, packte ihren Freund am Arm und rannte ihr hinterher. Als sie auf der Straße ankamen sahen sie nur noch, wie die Gestalt in ein Haus nahe der Zitadelle ging. So schnell sie konnten rannten sie ihr hinterher. >>Was ist sie?!<< fragte der Junge panisch während er versuchte der Geschwindigkeit seiner Freundin schrittzuhalten. >>Gefährlich.<< zischte das Mädchen und rannte schneller. Vor dem Haus angekommen zogen sie ihre Schwerter. >>Du zuerst.<< sagte sie. Ohne ein weiteres Wort zu sprechen trat Kaba vor, öffnete die Tür und rannte in das Haus. Es war leer. Keine Möbel, kein Kamin, nicht einmal Fenster hatte das Haus. Aber eine Falltür. >>Wo das wohl hinführt?<< >>Finden wir es heraus.<< knurrte sie und sprang in das Loch – man konnte den Boden nicht sehen – hinein. Fluchend sprang der Junge ihr hinterher. Sie fielen. Sie fielen unnatürlich lange, hinab in die Dunkelheit. Nach einigen Sekunden, die ihm wie Stunden vorkamen, landete Kaba im Wasser. >>Wo sind wir? Kazue? Wo bist du? Ich sehe nichts!<< Plötzlich legte jemand von hinten seine Arme um ihn. Es war Kazue. Sie zog ihn an sich heran, legte sich auf den Rücken sodass sie ihn über Wasser hielt und flüsterte ihm ins Ohr >>Sei leise, sonst hört sie uns!<< >>Wer?!<< fragte er doch als Antwort bekam er bloß ein leises Fauchen von seiner Freundin. Mehrere Minuten trieb er in ihren Armen auf dem Wasser herum und wartete darauf, dass sie ihn an Land brachte. Es war ihm ein Rätsel wie, aber irgendwie gelang es Kazue scheinbar sich in der Dunkelheit zu orientieren. Er seufzte als wer endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Plötzlich wurde der ganze Raum von geisterhaften blauen Flammen erleuchtet die die Kerzen entzündeten, die überall an den Wänden der – wie sich nun herausstellte – Höhle hingen. In der Mitte der Höhle war ein großer See und rings herum verteilt kleinere und größere Einbuchtungen, die als kleinere Zimmer hätten durchgehen können. >>Ich habe euch schon erwartet.<< ertönte eine Frauenstimme hinter ihnen. Ihr Klang war so sanft und die Frau sprach so melodisch, dass sich für den Jungen jedes Wort wie ein Lied anhörte. Sie fuhren herum und da stand sie vor ihnen. Ihre gelben Augen blickten sie mit stechendem Blick an und ihre kupferfarbenen Haare hingen ihr über die Schultern. In ihrer rechten Hand hielt sie ein Schwert, dessen Klinge im Licht der Flammen hellblau glänzte. Kaba tastete nach seiner Waffe doch er fand sie nicht. >Verdammt!< fluchte er in Gedanken >Ich muss es verloren haben, als ich in das Loch gesprungen bin.< panisch griff er nach dem Dolch in seinem Stiefel, zog ihn heraus und sprang auf. Aus dem Augenwinkel sah er, dass seine Partnerin das gleiche Problem hatte. Sie griff in ihren Mantel und zog ein gewelltes, messingfarbiges Messer hervor. >>Was willst du von uns?!<< fauchte das Mädchen >>Wir haben dir nichts getan!<< Die Frau lächelte >>Komm her und finde es heraus.<<
Kazue rannte so schnell sie konnte – zu schnell für Kaba um das Geschehen zu verfolgen – auf sie zu. Als sie direkt vor der Gestalt stand, stach sie mit dem Messer nach ihr. Ihre Kontrahentin drehte sich zur Seite und schlug Kazue mit dem Schwertknauf auf den Hinterkopf. >>Du enttäuschst mich, Kleines. Von jemandem wie dir habe ich mehr erwartet.<< Sie seufzte. >>Aber das ist nicht wichtig. Dies ist nicht dein Kampf.<< Plötzlich schossen Ranken aus dem Boden und fesselten Kazue so, dass sie nichts mehr tun konnte. Das Mädchen fauchte. Die Gestalt wandte sich von der nun kampfunfähigen Kazue ab und ging immer näher auf Kaba zu. Dieser blickte, immer noch völlig perplex von der Tatsache, dass sie seine Freundin mühelos ausgeschaltet hatte, zwischen den Beiden hin und her. Als die Frau direkt vor ihm stand streckte sie den Arm nach dem Jungen aus doch der riss seinen Dolch hoch und schnitt der Frau in eben diesen. Erschrocken schrie sie auf und sprang ein Stück zurück. Ihre gelben Augen blitzen zornig. >>Ich habe dich unterschätzt.<< sagte sie mit noch immer sanfter Stimme >>Das wird mir nicht noch einmal passieren.<< Sie hob ihr Schwert etwas und rannte auf ihn zu. Sie war übermenschlich schnell doch verglichen mit Lucy war ihre Geschwindigkeit eher mäßig. Kaba, der - als er das bemerkte - neues Selbstvertrauen gewann lächelte die Angreiferin an und rannte seinerseits auf sie zu. Kurz bevor die Beiden zusammenstießen, machte er einen Schritt zur Seite und schnitt mit seiner Klinge der Frau den Arm erneut auf. Sie zischte. >>Du magst schnell sein,<< sagte der Junge selbstsicher >>aber du bist nicht halb so schnell wie Lucy.<< Sie grinste. Es war kein freundliches Grinsen, wie er es erwartet hätte. Es war ein wildes, kampfversessenes Grinsen. Sie offenbarte vier spitze Eckzähne, die sie ebenso gut als Fangzähne hätte nutzen können. Ohne ein weiteres Wort zu sagen rannte sie erneut auf den Jungen zu und stach nach ihm. Er versuchte zur Seite zu springen, war aber zu langsam. Die Klinge ihres Schwertes traf ihn genau zwischen zwei Rippen. Ihm entfuhr ein lauter Schrei. Binnen weniger Sekunden hatte sich ein großer roter Fleck auf seinem Wams gebildet. Es schien, als wäre das Grinsen auf dem Gesicht seiner Gegnerin noch breiter geworden als ihr Schwert den Jungen verletzte. Die Wunde brannte doch er biss die Zähne zusammen und machte sich auf einen weiteren Angriff gefasst. Wieder rannte sie auf ihn zu, das Schwert mit der Spitze über den Boden schleifend. Sie riss die Klinge hoch und versuchte ihn zu zerteilen doch Kaba machte einen Satz zurück. Wieder war er zu langsam und die Spitze der Waffe schnitt ihm über den Bauch. Der Schnitt war nicht tief, brannte aber umso mehr. Am anderen Ende des „Raumes“ lag Kazue, noch immer an den Boden gefesselt. Tränen standen ihr in den Augen >Renn weg!<< wollte sie schreien doch das Mädchen brachte kein Wort heraus. Verzweifelt versuchte sie sich von den Ranken zu befreien, die sie hielten doch sie konnte sich nicht befreien. Abermals rannte die Gestalt auf den Jungen zu. Sie schlug nach seinem Arm und diesmal gelang es ihm nichtmehr auszuweichen. Mit voller Wucht traf der Schlag seinen Arm. Blut spritze aus der Wunde. Erschöpft sank er auf die Knie. >>Du hast gut gekämpft.<< sagte die Frau wieder mit sanfter Stimme. Er schloss die Augen. Dies war das Ende. Es war vorbei. Grinsend hob sie ihr Schwert und lies es auf Kaba herabfahren. Plötzlich wurde die ganze Höhle von einem grellen Licht beleuchtet. >>Ann!<< rief eine Stimme. Als er das hörte öffnete er schlagartig die Augen. Vor ihm stand Cole, in der Linken den Arm der Frau und in der Rechten ein Schwert. >>Bist du denn völlig von Sinnen?!<< fuhr er sie an. Ihre Augen leuchteten nicht mehr gelb und das Grinsen war ihr wie aus dem Gesicht gefegt. >>Du solltest dich um die Beiden kümmern und sie nicht massakrieren!<< sie blinzelte ein paar Mal. >>Ach, so ist das.<< sagte sie schließlich verwundert. >>Verzeihung, da habe ich wohl etwas nicht richtig verstanden.<< die Ranken ließen von Kazue ab und sie konnte sich wieder frei bewegen. Cole seufzte und lies Ann los. >>Was machen wir nur mit dir?<< fragte er.
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Raven Tail
FantasíaDer junge Kaba macht sich gemeinsam mit seiner etwas merkwürdigen Freundin Kazue auf in ein Abenteuer um die Bedeutung seiner geheimnisvollen Träume zu ergründen und den Mörder seiner Eltern zu richten. Auf ihrer Reise durch die Welt trifft das ungl...