eins

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» Du bist also ein Dieb? Nun ja, ich sah schon vieles, aber ein Mädchen...«, der alte Mann streicht sich lachend über seinen Bart und lehnt sich zurück, das Gemurmel in der kleinen Hafenkneipe verstummt, nach und nach sehen alle zu dem Mädchen und dem Mann.
Das hübsche Mädchen sieht dem Mann provozierend in die Augen, ein intensiver Blickkontakt entsteht, die Spannung im Raum ist fast schon zu greifen.
» Nun, dann beweise dich doch, wenn du dir deiner Sache so sicher bist.«, sein Gesicht liegt im Schatten, er senkt den Blick und schaut auf das halb geleerte Schälchen mit Resten einer Suppe vor sich.
» Ich habe es nicht nötig, meine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.«, ihre Stimme ist kühl und klar.
» Warum bist du hier?, dies ist kein Ort für junge Frauen.«, schon wieder weicht er vom Thema ab.
» Ich soll den Auftrag für Fred abholen.«, ihre gefasste Stimme, das Mädchen kennt ihre Position als unbekannte im Kreise der bekannten der Kneipe und nutzt diese aus.
» Fred? Seit wann nimmt er Mädchen in seine Obhut?«, verdutzt sieht der alte Mann ihr in ihr emotionsloses Gesicht, nimmt langsam einen Brief aus der Tasche seines Umhangs und schiebt ihn mit einem intensiven Blickkontakt zu ihr, sie erwidert ihn ohne mit der Wimper zu zucken und steckt den Brief ein, nickt einmal den Hafenarbeitern zu und verschwindet wieder in den Schatten der Nacht. Zurück in ihr Zuhause, in ihre Zuflucht...
Furchtlos geht sie durch die dunklen Straßen ihrer Stadt, ab und zu bleibt sie stehen und sieht sich um, ob jemand sie verfolgt, doch sie kann keine Schritte hören, kein Blut riechen, was kürzlich vergossen wurde und noch an einem Messer klebt, sie ist alleine. Wie so oft, denn sie ist viel alleine.
Wie immer. Ich bin vollkommen alleine, wie ein einsamer Wolf, der die Drecksarbeit erledigt..., denkt sie, denn das Mädchen ist nicht dumm.
Ab und zu läuft ihr eine Ratte über den Weg, doch keine Menschenseele kreuzt ihren Weg. Ein leichter, feiner Nieselregen setzt ein und legt sich alle Geräusche dämpfend über die Stadt.
Ein perfektes Wetter, um irgendwo einzubrechen., denkt sie, doch sie hat nicht vor heute Nacht eine Straftat zu begehen, dass Risiko ist ihr heute zu groß, erwischt zu werden und Fred in Verlegenheit um seine Schülerin zu bringen. Außerdem wüsste sie nicht, wo sie einbrechen sollte, jeder ist zum jetzigen Zeitpunkt wachsam, denn in fast jeder Nacht findet ein Einbruch statt, seit fast einem Monat lebt die Stadt in Angst und Schrecken. Auch Fred und sie beteiligen sich an diesem Spektakel, doch nach und nach wird es immer schwerer, die Zeiten, wo alle in Frieden leben werden bald wieder stattfinden, damit die Bürger sich wieder in Sicherheit wiegen und die Saison der Diebstähle erneut beginnen kann.
Wie mit dummen, nutzlosen Vieh!, denkt das Mädchen und zieht die dunkelgraue, nasse Kapuze ihres Umhangs über ihre hellblonden Haare, denn ein Mann kommt in ihre Richtung, auf den Schultern trägt er einen nassen Sack, wahrscheinlich mit den Früchten von seinen Feldern, er wirkt müde, hat einen harten Tag gehabt. Doch er lächelt ihr leicht zu, nimmt den Sack vom Rücken und hält ihr einen Apfel hin.
» Hier, nimm ihn hin!«, seine Stimme ist rau, er friert, denn der Wind peitscht ihm den mittlerweile stärker gewordenen Regen in sein Gesicht.
Kurz zögert sie, doch sie nimmt den Apfel, bedankt sich hastig und eilt im Stechschritt weiter, weg von ihm. Ihr ist nicht wohl in der Gegenwart von Menschen die ihre Eltern oder glatt ihre Großeltern sein könnten, denn sie ist ein Waise, schon lange lebt sie auf der Straße. Das Lächeln hatte sie lange schon verloren, als Fred sie als Schülerin annahm und nun mit ihr von ihren Diebstählen lebt. Sie war stolz.
Sie bleibt stehen, guckt runter in eine Pfütze, die Wasseroberfläche beruhigt sich, denn ihr Kopf fängt das Regenwasser auf, sie erkennt wenig, nur ihr helles Haar und ihre hellen Augen, der Rest liegt im Dunkeln.
Die kleine Faust ballt sich, der Apfel wird weg geschleudert, das Mädchen keucht und blickt ihm mit vor Wut blitzenden Augen nach, breitbeinig steht sie mitten in der Gasse und keucht, spannt ihren kleinen zierlichen Körper an und starrt den Apfel an. Sie ist grade einmal vierzehn junge Jahre, doch trotzdem kein richtiges Kind mehr. Schon lange nicht mehr, denn sie konnte nie ein Kind sein, so wie sie es wollte.
Langsam beruhigt sich der Trubel in ihr wieder, sie legt die Maske wieder auf ihr Gesicht und das kleine Kind, was kein Kind mehr ist, geht weiter durch die dunkle, kalte Nacht.
~~~
» Wer ist da?«, seine tiefe Kalte Stimme, sie hatte grade geklopft und höchstens eine Sekunde später hatte sich Fred an die Tür gedrückt, das Messer gezückt und gefragt, wer klopft.
» Ich bin es.«, leise antwortet sie, die Tür wird geöffnet und Fred blickt auf sie herab.
Im Gegensatz zu ihr ist er ziemlich groß, mindestens 180 Zentimeter, während sie an der 160 Zentimeter rumhing, seine Schultern sind breit, sein ganzer Körper strotzt förmlich vor Kraft, doch er ist schnell, schneller als man es von seiner Statur annehmen könnte. Sein auffälligstes Merkmal sind seine roten Haare und seine strahlend grünen Augen, weswegen er auch "Fuchs" genannt wird. Sie dagegen war einfach nur da, wurde nie wirklich beachtet, ein Kind mehr oder weniger auf der Straße, nicht mehr und nicht weniger.
» Sarah.«, begrüßt er sie und streckt direkt die Hand nach dem Umschlag aus, stumm gibt sie ihm den braunen Brief und geht an ihm vorbei durch die Holztür in ihr kleines aber behagliches Hauptquartier.
Es bestand eigentlich nur aus einem Raum, in der Mitte lag ein dunkelroter, mit vielen bunten Flicken übersehener Teppich auf dem Boden, ein Kessel stand in der Ecke und zwei Matratzen, die eher an dicke Decken erinnern liegen aufgeräumt an der Wand, denn es gibt nicht genügend Platz, als dass man alles herumliegen lassen könnte. Kochen übernahm Sarah für gewöhnlich, denn wenn Fred eines nicht kann, dann ist das kochen.
Fred setzt sich auf den Teppich, entfalten den Brief und überfliegt ihn, eine entspannte Stille lastet über ihnen, Sarah hängt ihren dunkelgrauen Umhang irgendwie über den Kessel in dem eine mehr oder weniger schmackhafte Suppe vor sich hin köchelt. Sarah hatte die letzten Reste zusammen geklaubt, um noch etwas essbares vor tischen zu können. Der Hauptbestandteil würde das Brot sein, was sie heute auf dem Markt geklaut hat, und Kartoffeln, Weil man sie ihr hinterher geworfen hat.
» Gab es Probleme?«, Fred legt den Brief zurück in seinen Umschlag und richtet seine Aufmerksamkeit auf seine Schülerin, wobei Sarah für ihn eher eine kleine Schwester ist. Er ist ungefähr siebzehn und hat schon alles von der Welt gesehen, vom Alphabet Lernen bis hin zum Zucchini klauen hat er schon alles gemacht, denkt er jedenfalls.
» Nicht wirklich, die übliche Reaktion.«, Sarah antwortet ihm wie üblich sehr knapp, rührt in der Suppe herum und wärmt sich die Hände am Feuer, von ihren Haarspitzen tropft das kalte Regenwasser.
Fred nickt und streicht sich nachdenklich über das Kinn.
» Mach dich trocken und wasch dich, ich will keinen Schmutz in meinem Essen haben.«, die übliche Schärfe in seiner Stimme, wie immer, wenn er versucht, wieder klar zu stellen, dass er Sarahs Lehrmeister ist und sie ihm untergeordnet. Doch eigentlich müsste er das nicht, nicht bei einem Menschen wie Sarah.
» Ja.«, leise steht sie auf und geht aus der Holztür hinaus, stellt sich vor den Trog mit dem Regenwasser und taucht die Hände in das kalte Wasser, formt die Hände zu einer Schale und spritzt sich das frische Wasser in ihr staubiges Gesicht, das nasse Gras unter ihren Füßen lässt sie frieren, doch sie bleibt stehen und wringt ihre Haare über dem Beet, was sie letzten Frühling anlegte, aus, die kleinen Pflänzchen knicken fast um, doch Sarah interessiert es nicht, was aus ihren Tomaten wird.
Sie lehnt sich an die halb zerfallene Hauswand, der Stein bröselt an ihrem Rücken, doch es ist nur eine alte Häuserruine, was erwartet man an so einem Ort?
Wobei das nicht wirklich ein Haus ist, sondern eine alte Bauern Kate, die wohl nie fertig gestellt wurde.
» Glaubst du, du kriegst einen bestimmten Gebäudeplan für mich heraus?«, Fred steht plötzlich neben ihr und guckt still zum Himmel hoch, die schweren Tropfen fallen ihm ins Gesicht, seine Augen wirken dunkel, fixieren sich am Mond, der zwischendurch zu sehen ist.
» Sag mir welches Gebäude und ich werde sehen, was ich tun kann.«, Sarah betrachtet ihn von der Seite.
Fred geht wieder rein, bleibt stehen und sieht sich nach ihr um, denn Sarah steht noch neben dem alten Wasserfass.
» Komm.«
Sie stößt sich von der Wand ab und geht hinter ihm in ihr "Haus", er reicht ihr den Brief.
» Lies.«
Sie senkt den Blick auf das schwere Papier vor sich, noch nie in ihrem Leben hatte sie solch ein teures Papier entfaltet, etwas feierlich hält sie den Brief leicht hoch und entziffert die schräge, dunkle Tinte.
Sarah kann lesen, nicht gut, aber sie kann lesen, was sie nur Fred zu verdanken hat.
» Ich kenne die Straße nicht. Ist das eine Judenstraße oder so?«, verdutzt sieht Sarah auf und in Freds Gesicht, bei ihrer Frage schmunzelt er.
» War ja klar, dass du direkt an die Judengassen denkst, aber ja. Du liegst richtig. Ein Schutzjude, du verstehst?«, seine Augen funkeln.
» Was ist ein Schutzjude?«.
» Ein Jude, der viel Geld hat und keine Lust hat, Zoll zu bezahlen, zahlt dem König Geld und stellt sich somit unter seinen Schutz.«, erklärt Fred ihr geduldig, Sarah nickt.
» Aber ist das nicht genau wie Steuern oder Zoll zahlen?«
Fred zuckt mit den Schultern.
» Ist doch jetzt auch egal, da gibt es Geld zu holen, und das holen wir. Und ein Dokument, aber lass das mal meine Sache sein.«, er grinst ihr zu, doch Sarah erwidert seine Heiterkeit nicht, sie nickt nur, steht auf und geht zu ihrer Matratze, legt sich mit dem Gesicht zur Wand hin und schließt die Augen.
Fred schaut auf ihren mageren Körper. Er erinnert sich an seine verstorbene Schwester und lächelt, Sarah und sie haben viele Gemeinsamkeiten, ein Jammer, dass sie sich nie kennen lernten.
Ich werde dich beschützen, und wenn es das letzte ist, was ich tue. Keiner soll meiner kleinen Schwester was antun!, denkt er und ballt die Faust, er weiß, dass Sarah nicht seine Schwester ist, doch er hat es schon so akzeptiert, dass sie seine Schwester im Geiste ist und auch für immer bleiben wird.


FuchsjagdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt