Die Mission

13 0 0
                                    

"Sie sollen für ihn Sinn produzieren. Dafür hat man Sie schließlich hergestellt, nicht wahr!?"

Frau Dr. Dr. Viktoria Markus war bekannt dafür, dass sie nicht um den Cyperport herumredete. Zack - rein mit den Arbeitsaufträgen. Selbst wenn als Adressatin eine jung wirkende Cyborg-Nonne im schwarz-grauen Habit vor ihr saß. Aber nur so war es der Unternehmerin gelungen, aus dem verstreuten Besitz ihrer Vorfahren die milliardenschwere Markus-Holding zu formen, eines der mächtigsten Industriecluster der Eurasischen Union.

Doch jetzt verbarg sich hinter der schneidigen Anforderung der Vorstandsvorsitzenden ein hohes Maß an Verzweiflung, sogar ein Hauch von Panik. Sie stand vor ihrem ehrfurchtgebietend breiten Schreibtisch, doch man konnte es in ihren Augen sehen, die trotz aller Operationen nicht mehr alle Spuren des Alters verleugnen konnten. Auch ging ihr Atem im blauschwarzen Hosenanzug etwas schnell, schlug das Herz bis auf die Stimme durch. Immerhin hatte Frau Markus ihren Haaren zuletzt eine passend silberne Färbung vergönnt, statt auf ewig jung zu machen. Sie sah noch frisch wie Mitte 40 aus, obwohl die Wiki ihr Alter mit 94 Jahren angab. Mit Anfang 70 war sie Mutter geworden, was selbst für den Beginn des 22. Jahrhunderts recht spät war. Aber die Technologien und Geld machten es möglich. Und doch vermochten sie Eltern weiterhin nicht vor allen Ängsten und den Gefahren des Scheiterns zu schützen - was zu weiter sinkenden Geburtenzahlen beitrug. Warum auch eine unsichere Investition wagen, deren Ausgang ungewiss war? Und wenn sich dann noch Befürchtungen bewahrheiteten, wie auch in diesem Fall...

Manuel/a hatte diesen verzweifelten Zustand bei vielen Müttern und einigen Vätern erlebt, wenn auch normalerweise nicht in der obersten Etage eines funkelnden Berliner Hochhauses. Auch ein Butler war sonst nicht zugegen, wobei James - ein menschenähnlicher Droide, entsprechend gleichgültig gegenüber dem klischeesatten Namen - die Kunst beherrschte, lautlos in den Schatten der breiten, nachtschwarzen Fensterfront zu verschwinden. Aber unten, im graubunten Brei des Hauptstadt-Metroplexes gab es viele Eltern, denen ihre Kinder entglitten. Metroplexe konnten bislang ihren Status nur erhalten, wenn sie ausreichend Familien und Kinder gewannen, ihnen Sicherheit und Wohlstand versprachen. Droiden erledigten zwar längst einen Großteil der Arbeit, zählten jedoch politisch - bislang - nicht. Doch oft ging beim wirtschaftlichen Ein- und Aufstieg der Menschen in die Plexe etwas zu Bruch, entwickelten sich die Kinder nicht so, wie sich das die Staaten und Eltern wünschten. Und Manuel/a war dafür speziell gezüchtet worden, um in diesen Fällen zu helfen.

Dafür war freilich eine Klarstellung notwendig. "Ich wurde gezüchtet, nicht hergestellt.", erklärte Manuel/a und wechselte ihre Sitzhaltung in dem schwarzen Office-Sessel von der passiv-interessierten Zuhörerin zur aktiven Verhandlungspartnerin. Ihr Gesicht - das einer jüngeren, aber willensstarken eurasischen Menschenfrau - nahm durch die Fenster etwas von dem Licht der Berliner Lasersäule auf, die von den Spiegelsatteliten durch die Wolken in das Schöneberger Kraftwerk stach, dort ein mächtiges Solarkraftwerk befeuernd. Licht schadete in Gesprächen nie, vor allem nachts nicht. Dr. Dr. Markus mochte eine überaus finanzstarke und also mächtige Frau sein, doch wenn sie gegenüber ihrer Cyborg-Beraterin keinen Respekt entwickeln würde, würde Hilfe unmöglich sein. Also setzte Manuel/a nach:

"Droiden werden aus baugleichen Bauteilen hergestellt und einige von ihnen sind außerordentlich intelligent. Unsere Autos zum Beispiel. Aber ich bin ein Cyborg und nicht nur meine Haut und einige andere Organe wurden gezüchtet, sondern vor allem mein Gehirn. Es ist - von wenigen genetischen Modifikationen abgesehen - das Produkt des gleichen Evolutionsprozesses, der auch Sie und Ihren Sohn hervorgebracht hat. Ich kann die wesentlich gleichen Einbauten wie Sie verwenden und habe zum Beispiel einen Cyberport. Ich bin ein erwachsener Hybrid mit Menschenstatus und habe als Staatsbürgerin sogar das aktive und passive Wahlrecht. Und wenn Sie einverstanden sind, würde ich Ihrem Sohn gerne auch so gegenübertreten."

Cyborg religiosus - Der Sinn des LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt