Elina :)

116 19 14
                                    

Das ist aus der Sicht von Elina, also kein Tagebucheintrag :)

Kilam verabschiedete sich und für mich heißt es jetzt wieder: Hallo Realität! Ich bin zwar immer noch angeschlagen, aber morgen muss ich wieder in die Schule. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was in mir so vorgeht. Schon allein der Gedanke an die Blicke meiner Mitschüler bereitet mir Gänsehaut und Unwohlbefinden. Wie soll ich das überleben? Warum muss ich da auch alleine durch? Hätte ich doch einfach nur meinen Mund gehalten, dann könnte ich weiterhin mit Pokerface zur Schule gehen.

So, wie ich jetzt bin, hasse ich mich. Ich finde keinen Weg zurück zu mir selbst. So wie ich jetzt bin, wird mich bestimmt keiner mehr mögen. Ich tu mir schon fast selbst Leid. Und was wird später mal aus mir? Auch eine Alkoholikerin wie meine Mutter? Oder sterbe ich auch so früh wie mein Dad?

'Verliere nie deine Ziele und Träume aus den Augen' , Kilams Worte schießen mir durch den Kopf. Ich kann mir doch keine Ziele setzten. Ich muss erst ein mal überhaupt den Tag morgen überstehen. Wie Kilam wohl aussieht? Vielleicht gibt er sich auch nur als Junge aus? So, wie er auf mich eingeht, kann es nur doch ein Mädchen sein. Kein Junge dieser Welt interessiert sich für ein Mädchen im Internet ohne Profilbild. Aber solange er nicht weiß, wie ich aussehe, wird er auch den Kontakt nicht abbrechen. Ist das nun gut oder schlecht? Ich würde es ihm nicht übel nehmen, wenn er mir nicht mehr schreiben würde, wenn er wüsste wie ich aussehe. Ich laufe in letzter Zeit nur noch herum wie der letzte Trottel. Aber ehrlich gesagt würde ich auch traurig sein, wenn er mir nicht mehr schriebt. Elina, du darfst dich da nicht so rein steigern! Ich darf mich an niemanden hängen, der womöglich noch ein uralter Opa ist. Man kann ja nie wissen.

Meine Füße tragen mich ins Bad. Ich dusche ausgiebig mit der Hoffnung, dass all die Sorgen zusammen mit dem Wasser den Abfluss hinunter fließen. Ich steige aus der Dusche und wickle mich in ein frisches Handtuch. Als ich auf die Uhr schaue, merke ich, dass ich eine ganze Stunde gebraucht habe, Wie schnell die Zeit vergeht, leider.

Jede Minute mehr, lässt meine Angst vor Morgen steigen. Und im Hinterkopf zähle ich die Stunden, die mir bis morgen noch verbleiben.

Meine Tage stecken voller Langeweile. Das Jugendamt erlaubt mir nicht mehr nachts Zeitungen austragen zu gehen. Ich soll die Hausarbeit meiner Mama überlassen. Wohin mit meiner Energie? Die Energie wandelt sich nur noch mehr in Verzweiflung um. Die einzigen Minuten in denen ich ein Lächeln auf den Lippen habe, sind die, in denen ich mit Kalim schreibe oder die Musik von 1D höre.

Ich ziehe mir meine Schlafsachen an und kuschel mich ins Bett. Ich wälze mich hin und her. Ich kann einfach nicht schlafen. Ich fahre meinen Laptop hoch in der Hoffnung, Kilam wird noch wach sein. Ich brauche Ablenkung, ich denke viel zu sehr an den nächsten Tag. „Hey Kilam, ich hoffe du bist noch wach. Ich kann einfach nicht schlafen. Habe Angst vor morgen“, schreibe ich. Dann lege ich den Laptop neben mich und höre Musik. Ich mache mir nicht all zu viele Hoffnungen. Es ist 23:34, wer gammelt da Sonntags noch vor dem Laptop? Und dann auch noch auf diesem Forum? Eigentlich niemand. Mit wenigen Hoffnungen öffne ich wieder das Gespräch und sofort überkommt mich ein Lächeln. „Lass den Kopf nicht hängen! Warum hast du Angst?“ Ich schreibe ihm meine Ängste. Ängste vor den Blicken, ausgelacht zu werden, gemobbt zu werden, weil ich mich verändert habe. „Ich glaube kaum, dass deine Mitschüler scheiße zu dir sein werden. Immerhin hast du einen geliebten Menschen verloren und das wissen sie alle. Sie haben dich davor auch akzeptiert und werden es auch bestimmt jetzt noch tun. Es ist nur menschlich, sich zu verändern nach so einem Fall. Aber das ist nur eine Phase. In der richtigen Umgebung wirst du auch diese Phase überstehen.“ „Du könntest recht haben. Und was ist meine richtige Umgebung?“ „Na dein Zuhause. Euch wird geholfen. Deiner Mama, wird es bald besser gehen und auch dir“ „Ich hoffe es so sehr“ „Ich glaube an dich. Du packst das morgen, ich werde an dich denken. Gebe nicht auf“ „Ich danke dir Kilam<3“ Ich klappe meinen Laptop zu. Auf ihn ist Verlass. Auf wen kann ich mich noch verlassen? Meine beste Freundinnen ganz bestimmt nicht. Sie waren die längste Zeit an meiner Seite und trotzdem habe ich nicht gemerkt, wie fies sie in Wirklichkeit sind. Mit den anderen hatte ich nur den üblichen Kontakt, nichts enges. Schon wieder habe ich das Gefühl, alleine zu sein. Was ist nur los mit mir, wo ist mein Selbstvertrauen?

„Guten Morgen! Elina du musst aufstehen! Zeit für die Schule!“, zärtlich streichelt meine Mama meinen Kopf. „Ich komme gleich runter“, antworte ich noch etwas verschlafen. „Was möchtest du essen?“ „Mh, Müsli!“ Sie verlässt mein Zimmer. So hat sie mich früher immer geweckt. Sie wollte nicht, dass mich so ein komischer Wecker weckt. Sie wollte es immer persönlich machen. Es ist das erste mal nach langer Zeit, dass sie mich wieder so geweckt hat. Das versüßt mir den Morgen. Ich tappe ins Esszimmer und meine Augen weiten sich bei dem üppig gedeckten Tisch. „Mh, danke Mama, das sieht lecker aus!“, bringe ich staunend hervor. „Das freut mich. So langsam muss der Alltag mal wieder einkehren. Und heute gehe ich auch wieder zum Sport“, erklärt sie stolz. „Das klingt ja super“ ,bekomme ich mit vollen Mund noch raus. „Wie oft muss ich dir sagen, dass man mit vollem Mund nicht spricht“, ermahnt sie mich. „Du hast gesagt, dass der Alltag zurück kehrt. Also auch die Gewohnheiten“, antworte ich frech. Zum ersten mal seit langem lachen wir wieder zusammen. „Ich hoffe du kannst mir verzeihen“, sie schaut mich entschuldigend an. „Was meinst du Mama?“, frage ich verwirrt. „Ich habe dich hängen lassen. Habe dich alleine gelassen mit allem. Es tut mir wirklich leid. Ich war so egoistisch, mein Gott! Ich hoffe sehr, du verzeihst mir?“ „Ach Mama das habe ich schon längst!“ Sie breitet ihre Arme aus und ich drücke mich fest an sie. Es fühlt sich alles so sorglos an. Es fühlt sich gut und richtig an, fast ein bisschen normal. „Alles wird gut“, Kilams Worte.

Gut gelaunt renne ich in mein Zimmer. Ich schnappe mir frische Kleidung und gehe ins Bad, um mich fertig zu machen. Ich bin zwar allein, aber ich werde das schon schaffen. Ich glaube mal an das gute in mir und anderen Menschen. Ich werde selbstbewusst in die Schule gehen, hoffe ich. „Nimm das noch mit, ein Pausenbrot und ein Apfel. Du fällst mir ja noch vom Stengel“, Mama reicht mir Dose. Ich gebe meiner Mama einen Kuss auf die Wange. Mit einem „Danke“ verabschiede ich mich und verlasse das Haus. Im Bus stöpsle ich mir meine Kopfhörer in die Ohren und lasse 1D in voller Lautstärke laufen. Ihre Texte sprechen einfach Bände und machen gute Laune. Die kann ich jetzt brauchen. Ich werde mich nicht unter kriegen lassen, nicht heute und irgendwann anders.

Fast hätte ich verpasst aus dem Bus zu steigen. Das lag wahrscheinlich an der Musik. Denn jedes mal, wenn ich 1D höre, befinde ich mich wie in einer Art Traumwelt und träume vor mich hin. Gerade noch so schaffe ich es aus dem Bus zu springen, bevor die Türen sich wieder schließen.

Jetzt, wo der Bus abfährt, wünsche ich mir doch, den Moment verpasst zu haben, auszusteigen. Ich merke, wie sich Angst in mir breit macht. Alles das, was ich bisher zu verdrängen versucht hatte, kommt auf einmal hoch. Was werden die anderen von mir denken? Werden sie mich noch mögen? Werden sie mich wieder auslachen oder vielleicht sogar hassen? Weil ich ihnen die ganze Zeit etwas vorgemacht habe? Ich schlucke alle Gedanken auf einmal wieder hinunter, atme tief durch und schließe dabei die Augen. Dann zähle ich bis drei, rücke meine Tasche auf meiner Schulter zurecht und laufe zum Eingang.

Auf dem Flur habe ich das Gefühl alle starren mich an. Bin ich paranoid, oder flüstern und tuscheln die Leute wirklich ständig meinen Namen. Ich versuche alles zu ignorieren und laufe zum Klassenraum.

In diesem sehe ich genau die Leute wieder, die ich nicht sehen wollte. Meine zwei besten, warte ex-besten Freundinnen, Caitlin und Ann. Mit spottenden Blicken mustern sie mich. Erst versuche ich ihren Blicken standzuhalten, aber dann gebe ich auf und versuche sie die Stunde zu ignorieren. Ich bin froh, denn die Stunde ist endlich zu Ende. Jetzt habe ich Französisch und keiner der beiden ist in meinem Kurs. Ich packe schnell meine Sachen zusammen und will den Raum fluchtartig verlassen.

Rumms! Ich lag auf dem Boden. Verwirrt drehe ich mich um. Ann zeigt Caitlin den Daumen hoch. Letztere lächelt mich nur böse an. Ich spüre einen stechenden Schmerz in meinem Bein. Mir wird bewusst, dass Caitlin mir ein Bein gestellt hat. Im nächsten Moment lachen mich die meisten aus, nur einige stehen da und schauen nur zu. Ich stehe auf und renne aus dem Klassenzimmer. Tränen steigen mir in die Augen. Davor hatte ich die ganze Zeit Angst. Ich wollte, dass genau das nicht passiert. Völlig aufgelöst renne ich aus dem Schulhaus und schwöre mir es nie wieder zu betreten.

Träume die dich am Leben lassen ( Pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt