Kapitel 1 - Clarke

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Mit geschlossenen Augen genoss ich die letzten Sonnenstrahlen des Tages. Schon in kurzer Zeit würde die Sonne untergegangen sein und die Nacht anbrechen. Das Gras unter meinen Fingern fühlte sich weich an und in meiner Nase sammelte sich der unglaubliche Duft der wilden Blüten. All die Jahre auf der Ark, hatte ich von diesen Gerüchen und Empfindungen geträumt, jedoch waren sie in Wirklichkeit um einiges vielschichtiger und überwältigender als ich es jemals erahnen konnte. Ich ließ mich langsam zurück fallen, bis ich auf dem Rücken im Gras zum Liegen kam. Wohlig seufzte ich auf und genoss die Ruhe um mich herum und den Frieden, der in mir herrschte. Eine sanfte Berührung an meiner Wange sorgte dafür, dass ich meine Augen aufschlug und nachdem ich ein paar Mal geblinzelt hatte, um mich an das Licht der Sonne zu gewöhnen, erkannte ich wer neben mir saß. Bellamy spielte mit einer Strähne meiner Haare, ein schiefes Grinsen im Gesicht, das ich viel zu selten an ihm sah. Verwirrt runzelte ich die Stirn. „Bellamy, was tust du hier?" Sein Lächeln erlosch und in seinen Augen konnte ich Enttäuschung und Wut erkennen. „Du bist einfach gegangen Clarke. Wieso hast du das getan?" Ich schluckte und schloss für einen Moment meine Augen. „Das weißt du", krächzte ich. Gänsehaut breitete sich auf meiner Haut aus als ich sagte: „Ich habe so viele Menschen getötet". Ich lauschte seinem rauen Atem und wartete darauf, dass er mir sagte, dass es getan werden musste und dass er mich verstand, so wie immer. Ich wartete darauf, dass er mir vergab. Stattdessen fühlte es sich an als würde mein Blut gefrieren als er mit kalter Stimme erwiderte: „Das hast du. Du hast Finn getötet, für ein Abkommen mit den Groundern, welches uns nur Unglück gebracht hat. Und du hast zugelassen, dass all die Menschen in Tondc sterben, dass Oktavia sterben könnte." Meine Hände krampften sich zu Fäusten und krallten sich in das Gras unter ihnen. Ich wusste, dass er mich dafür hasste, dass ich bereit gewesen war Oktavia zu opfern. Sie war seine Schwester und er liebte sie über alles. Ich wusste das und trotzdem hatte ich sie zurückgelassen, war mit Lexa geflohen und hatte sie der Bedrohung der Bombe ausgesetzt. „Du hast sie mir beinahe genommen Clarke, so wie du Jasper Maya für immer genommen hast". Bei Jaspers Namen stockte mein Herz. Es musste getan werden, darin hatte Bellamy mir zugestimmt. Der Verlust von Maya war tragisch, jedoch hatte es keinen anderen Ausweg gegeben als Mounth Weather unter Strahlung zu setzen und all seine Bewohner damit zu töten. Wir hatten es tun müssen um die Leute die wir liebten zu retten. Ich öffnete meine Augen um ihm genau das zu sagen, jedoch befand er sich nicht länger an meiner Seite. Auch die Blumenwiese war verschwunden, stattdessen befand ich mich wieder in Mounth Weather auf Ebene 5 umgeben von den Leichen der Leute, die ich bereitwillig getötet hatte. Mein Blick huschte über die leblosen Körper, die im ganzen Raum verstreut lagen, prägte sich jedes Gesicht ein, von jedem Mann, von jeder Frau und von jedem Kind. Meine Sicht verschwamm als ich eine vertraute Gestalt auf dem Boden liegen sah, ihr schwarzes Haar wie ein Fächer auf dem Boden ausgebreitet. MAYA. Neben ihr kniete Jasper und hielt ihre Hand, während Tränen über sein Gesicht strömten. Als er mich bemerkte hob er seinen Blick und seine Augen schauten anklagend in meine. „Du hast sie getötet. Dafür hasse ich dich".

Ruckartig setzte ich mich auf und schnappte nach Luft. Mein Herz raste und ich hörte meinen eigenen Puls in meinen Ohren hämmern. Jede Nacht suchte mich dieser Traum heim und ich konnte nichts dagegen tun. Ich schaffte es nicht einmal zwei Stunden am Stück zu schlafen, ohne dass ich völlig verschwitzt mit Tränen im Gesicht aufwachte, die sich nicht mehr stoppen ließen. Ich zog meine Beine an mich und schlag die Arme darum, dann wiegte ich mich vorsichtig vor und zurück. Ich befand mich in völliger Dunkelheit und versuchte mich zu beruhigen, jedoch machte es die Tatsache, dass ich völlig alleine war nicht besser. Ich vermisste sie alle sehr, das konnte ich nicht verleugnen. Ich vermisste Jaspers Humor, Oktavias Hartnäckigkeit, Montys Güte, Ravens Scharfsinn, aber vor allem Bellamys Verständnis. Egal was bis jetzt passiert war, er schien nie enttäuscht von mir zu sein, sondern schien mein Handeln immer nachvollziehen zu können. Sie alle waren für mich zu einer Familie geworden. Mom und ich waren seit sie auf die Erde gekommen war immer wieder aneinander geeckt und es waren unzählige Auseinandersetzungen entstanden, denn sie konnte nicht verstehen, dass ich mich verändert hatte. Wie hätte ich auch dieselbe bleiben können, nach all dem was passiert war? Die einzigen die mich verstanden waren sie. Und genau diese Menschen hassten mich vermutlich gerade aus vollster Seele. Genau das war der Punkt, der mich am Meisten zerstörte. Ich wusste nicht, wieso ich gegangen war, dieses Verhalten war für mich eigentlich untypisch und ich wusste, dass ich irgendwann zurückkehren und mich dem Ganzen stellen musste, aber ich hatte Angst. Ich wusste nicht was ich machen würde, wenn sie mir ins Gesicht sagten, dass sie mich hassten und was ich alles falsch gemacht hatte. Indem ich gegangen war bevor sie die Chance dazu gehabt hatten, konnte ich mir immerhin einen kleinen naiven Funken Hoffnung behalten, dass sie mich nicht dafür verurteilten, was ich getan hatte. Lange konnte ich mich aber vermutlich nicht davor verstecken mich den anderen zu stellen, denn wie sehr mir die derzeitige Lage zusetzte konnte ich nicht verleugnen. Seit ich Camp Jaha verlassen hatte, waren in etwa zwei Monate vergangen, ganz genau sagen konnte ich es nicht. Die Zeit war an mir vorbei gerauscht, ohne groß Wirkung auf mich zu haben. Ich lebte einfach vor mich hin, ohne genaues Ziel und ohne mich wirklich um irgendetwas zu kümmern. Ich verschanzte mich einfach nur in dem Bunker, den ich das erste Mal mit Finn betreten hatte, wie ein Feigling und hoffte darauf, dass sich alles von selbst regeln würde. Zuerst hatte ich mit dem Gedanken gespielt zurück zum Dropship zu gehen, aber falls die anderen mich suchten wäre dies bestimmt die erste Anlaufstelle für sie gewesen, außerdem hätte es mich nur an die Grounder erinnert, die ich bei lebendigem Leibe verbrannt hatte. Zwar erinnerte mich der Bunker an Finn, aber zum einen wusste kaum jemand von diesem Ort und zum anderen, war mir keine andere Alternative eingefallen. Ich hatte keinen geregelten Tagesablauf und verbrachte viel Zeit damit einfach nur vor mich hinzustarren und nachzudenken. Auch wenn ich regelmäßig jagen ging, aß ich nicht viel, denn ich hatte Probleme damit, das zu mir genommene in mir zu behalten. Vermutlich war dies ein Nebeneffekt meiner angeschlagenen Psyche, aber ich hatte keine Kraft etwas dagegen zu tun. Spiegelnde Flächen begann ich zu meiden, als meine Wangenknochen immer deutlicher hervortraten, außerdem konnte ich meinen eigenen stumpfen Blick sowieso nicht ertragen. Mein Atem ging noch immer hektisch und ich beschloss, an die frische Luft zu gehen. Also rappelte ich mich mühsam auf und tastete in der Dunkelheit nach meiner Jacke. Da ich den rauen Stoff endlich zu fassen bekam zog ich sie mir schnell über und beeile mich hier raus zu kommen. Als ich die Luke des Bunkers öffne, strömt mir frische Nachtluft entgegen. Ich fröstele etwas, also zog ich die Jacke enger um meinen Körper und stieg schnell über den Rand der Luke um diese wieder zu schließen. Vermutlich war es unklug bei Nacht durch den Wald zu streifen nachdem die Allianz zu den Groundern zerbrochen war, doch diesen Gedanken schob ich von mir und stapfte ohne groß nachzudenken los. Der Waldboden fühlte sich weich unter meinen Sohlen an und die Ruhe die mich umgab verursachte in mir zugleich ein Gefühl von Zufriedenheit, indem sie mein aufgewühltes Inneres beruhigte, als auch ein Gefühl von Angst, da mir ein weiteres Mal umso bewusster wurde, dass ich völlig alleine war. Ich ließ die frische Luft in meine Lungen gleiten und kurz darauf mit einem tiefen Seufzer wieder heraus. Ich folgte meinem Instinkt, in dieser Dunkelheit konnte ich ohnehin nicht ausmachen wohin ich ging. Ich ließ meine Gedanken ziehen und gab mich den darauf kommenden Erinnerungen vollkommen hin. Ich erinnerte mich an den ersten Tag auf der Erde, an die ständigen Auseinandersetzungen mit Bellamy und daran wie unsere Gruppe begann einander immer besser kennen zu lernen, wie wir alle Freunde wurden. Und dann verharrte ich bei einer Erinnerung die so intensiv war wie keine zuvor. Bellamy und ich wie wir umgeben von der Dunkelheit unter dem Baum saßen, kurz nachdem er fast von einem unserer Leute umgebracht worden war. Er hatte mit seinen eigenen Entscheidungen zu kämpfen und bezeichnete sich selbst als Monster. Inzwischen konnte ich ziemlich gut nachvollziehen wie er sich zu diesem Zeitpunkt gefühlt haben musste, denn im Moment ging es mir nicht anders. Doch die Erinnerung ging noch weiter. Ich war für ihn da gewesen und hatte ihm Mut zugesprochen und ihm seine guten Seiten vor Augen geführt. Doch das was darauf folgte, hatte ich schon fast vergessen. Ich sah mich dort neben ihm sitzen und hörte mich selbst wie ich sagte „Aber.... Ich brauche dich".

 In diesem Moment fühlte ich mich als würde mir ein Brett vor den Kopf gestoßen werden und ich taumelte

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 In diesem Moment fühlte ich mich als würde mir ein Brett vor den Kopf gestoßen werden und ich taumelte. Wie naiv ich doch die ganzen letzten Wochen gewesen war. Natürlich brauchte ich ihn. Er war stets derjenige gewesen, der mich und mein Handeln verstand, sei es noch so verwerflich gewesen. Wir waren für einander da gewesen, weil wir die Situation des jeweils anderen besser verstehen konnten, als sonst irgendjemand. Wir waren uns sehr ähnlich und erkannten Teile von uns selbst in dem jeweils anderen wieder. Und ich hatte das alles zerstört, weil ich zu feige gewesen war, mich dem zu stellen. Ich taumelte noch immer vor mich hin und atmete stoßweise. Vor meinen Augen tanzten weiße Punkte und nahmen mir das letzte bisschen Sicht. Haltsuchend streckte ich einen Arm aus um mich irgendwo zu stützen, doch dort war nichts und ich fiel. Mein Körper kam unsanft auf dem Waldboden auf und stürzte daraufhin einen kleinen Abhang hinunter, den ich vorher nicht bemerkt hatte. Unten angekommen blieb ich liegen, noch immer unfähig etwas um mich herum zu erkennen. Ich fühlte mich zerschlagen, nicht nur aufgrund des Sturzes, sondern auch durch das Gefühlschaos, welches in mir herrschte. Vage nahm ich wahr wie in meiner Nähe etwas raschelte und jemand mit schnellen Schritten auf mich zukam. „Oh mein Gott Clarke, bist du das?", hörte ich eine Stimme, die mir vertraut vorkam, trotzdem konnte ich sie gerade nicht einordnen, zu viel Verwirrung herrschte in meinem Kopf. „Hey Clarke, hörst du mich?.... Hallo?" Ich spürte wie etwas an meinem Arm rüttelte, doch ich war nicht dazu imstande darauf zu reagieren. „Schnell, ich brauche hier jemanden. HILFE!", rief die Stimme und klang dabei seltsam verzerrt. Der letzte Gedanke, der sich in meinem Kopf formte, bevor ich ohnmächtig wurde war der, dass ich nicht hätte gehen dürfen. 

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