Kapitel 4 - Bellamy

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Bellamy P.o.V.

Ihr gesamter Körper war vor Anspannung versteift, als ich zögerlich das Zelt betrat. Meine Augen glitten über ihre Erscheinung und versuchten krampfhaft sich jedes Detail an ihr einzuprägen, fast so als wollten sie die letzten drei Monate aufwiegen in denen sie sie nicht betrachten konnten. Die Luft war wie aufgeladen und die Spannung schien man förmlich auf der Haut zu spüren. Ein Schaudern überlief meinen Körper und meine Beine kribbelten in freudiger Erwartung auf sie zuzugehen. Alles in mir schrie nach ihr und dem Gefühl, das ich in ihrer Nähe verspürte, jedoch schaffte ich es einfach nicht, mich aus der Starre zu befreien, in der ich mich seit dem Moment in dem ich das Zelt betreten hatte, befand.
Sie hatte eine Ausstrahlung, die mit niemandem anderen vergleichbar war, selbst in Momenten wie diesem, in denen sie für die Welt angreifbar war und ihre sensible Seite zum Vorschein kam. Mein Blick wanderte zu ihren Händen und ich stellte fest, dass sie etwas in ihnen hielt, behutsam, als müsse sie es vor dem Zerfallen bewahren und es einträchtig betrachtete. Langsam löste ich meine Füße vom Boden und bewegte mich auf sie zu. Eine kleine gelbe Blüte, war es die sie festhielt und zwischen ihren Fingern hin- und herdrehte. Vorsichtig ließ ich mich neben ihr nieder und folgte den tanzenden Bewegungen der Blume.
Es waren keine Worte notwendig, wir wussten beide, was der jeweils andere dachte. Wir hatten uns so lange gegenseitig unterstützt, dass wir den anderen ziemlich genau kannten. Reden machte manche Situationen nur noch komplizierter und würde die wohltuende Wärme vertreiben, die ich in ihrer Gegenwart empfand. Also saßen wir stillschweigend nebeneinander und genossen die letzten Augenblicke der Friedlichkeit, wohl wissend, dass wir sie irgendwann mit unseren Worten zerstören würden. Ich lauschte dem Geräusch ihres Atems und dem gelegentlichen Rascheln unserer Kleidung, wenn wir unsere Position veränderten. Und das erste Mal seit langem hatte ich in Gegenwart eines anderen Menschen nicht das Bedürfnis zu verschwinden, sondern ließ mich fallen und meine angespannten Muskeln entspannten sich.
„Es tut mir leid", brach ihre Stimme schließlich das Schweigen zwischen uns. „Ich war egoistisch. Bitte hasse mich nicht." Ich schluckte. „Ich hasse dich nicht". Die Worte entsprachen der Wahrheit, trotzdem klang meine Stimme seltsam hohl. Ich blinzelte ein paar Mal, als meine Sicht verschwamm, aber ich bemerkte ihren Blick auf mir, der mich anflehte ihr zu vergeben und in denen ein unterschwelliges Gefühl von Erleichterung zu liegen schien.
Als nächstes verspürte ich eine sanfte Berührung an meiner Hand und riss meinen Blick von ihren durch die Tränen glitzernden Augen und starrte auf ihre Hand, die sachte auf meiner lag und beobachtete wie sich ihre Finger langsam mit meinen verflochten. An den Stellen an denen sie mich berührte, schien meine Haut zu brennen, als würden züngelnde Flammen über meine Hand kriechen. Ich unterdrückte ein Schauern und dieses seltsame kribbelnde Gefühl in meiner Brust.
„Clarke", stieß ich mühsam hervor. „Ich könnte dich nicht hassen. Nicht nach alldem, was wir zusammen erlebt haben." Ich sah, dass sich ein zögerliches Lächeln auf ihrem Gesicht zeigte. Meine Stimme stockte, als ich meinen nächsten Satz formulierte. Ich wusste, dass ich damit das Lächeln von ihren Lippen vertreiben würde, aber ich musste die Worte dennoch aussprechen.
„Trotzdem bist du gegangen und das kann ich nicht ignorieren. Du hast uns alleine gelassen, ohne an die Konsequenzen zu denken und jetzt kommst du zurück und denkst, alles sei beim Alten. Nicht nur, dass ich auf einmal alles alleine auffangen musste, hast du überhaupt darüber nachgedacht, welche Sorgen wir uns um dich machen würden? Die Grounder hätten dir sonst etwas antun können!"
„Lexa hätte das niemals zugelassen", stieß sie gepresst hervor. „Sie hätte mich beschützt".
Ich schnaubte ungläubig. „Ja genau. Genauso, wie sie es gekümmert hat, was mit unseren Leuten in Mounth Weather passiert. Sie war es doch erst, die uns dort allein gelassen hat! Sie hat uns verraten! Wegen ihr mussten wir all diese Menschen töten! Wie kannst du ihr noch immer vertrauen?!" Meine Stimme hob sich mit jedem Wort, das ich sprach und als ich mit meiner Rede endete, atmete ich schwer.
Clarke sah mich aus weit aufgerissenen Augen an und ich bemerkte, dass ihre Hände zitterten. Aber ich konnte nicht aufhören. Nicht jetzt, als ich es endlich zuließ meinem Frust und meiner Trauer Freiraum zu verleihen.
„Ich bin so enttäuscht von dir", flüsterte ich schon fast, wobei meine Stimme kurz vor dem Brechen war. „Das ist nicht mehr die Clarke, die ich kenne. Also nein, ich hasse dich nicht, aber ich erkenne dich auch nicht wieder." Mit diesen Worten drehte ich mich um und wollte das Zelt verlassen, als mich ihre Stimme zurückhielt.
„Bellamy", krächzte sie. „Bitte geh nicht. Ich brauche dich."
Ich lachte bitter.
„Du brauchst mich? Davon habe ich die letzten drei Monate nicht viel gemerkt".
„Ich hatte Angst", flüsterte sie und suchte mit ihrem Blick meine Augen. „Ich wusste nicht wie ich damit umgehen sollte".
„Die ganze Zeit sprichst du nur davon, wie es dir ging", stellte ich fest und der Knoten in meinem Hals wurde größer. „Was ist aus zusammen geworden? Ich habe an allem was passiert ist mindestens genauso viel Schuld wie du! Hast du auch nur einmal darüber nachgedacht, wie es mir damit ging? Hast du mich auch nur einmal gefragt dich zu begleiten? Himmel, ich wäre auch gerne vor der ganzen Verantwortung weggelaufen!"
Sie starrte mich ungläubig an, fast so als hätte ich sie geschlagen. Doch ich ließ nicht locker.
„Denkst du es hätte mir keine Angst gemacht?"
„Du hast vor gar nichts Angst", lautete ihre einzige Antwort darauf. Fast hätte ich laut aufgelacht. „Ich habe vor so vielen Dingen Angst und du Clarke müsstest das eigentlich am besten wissen. Ich habe Angst vor dem, zu was ich geworden bin, ich habe Angst davor meine Schwester nicht beschützen zu können und ich habe verdammt noch mal Angst um dich!"
„Um mich?" Ihre Stimme klang seltsam verletzlich, aber ich hätte schwören können in ihr eine gewisse Hoffnung erahnen zu können, aber vermutlich täuschte ich mich in dieser Hinsicht.
Ich machte ein paar lange Schritte auf sie zu und blieb kurz vor ihr stehen. Eindringlich sah ich sie an, meine Frustration hatte noch immer Überhand über mich.
„Natürlich tue ich das. Wie könnte ich auch nicht." Der Blick ihrer blauen Augen bohrte sich förmlich in meine und ich glaubte mir würde der Atem stocken. Ich war wie gefesselt und außerstande mich zu bewegen, als sie sich langsam etwas näher zu mir beugte. Meine Hand glitt wie ferngesteuert zu ihrer Wange und strich sachte drüber, woraufhin sie leise seufzte.
Mein Kopf hatte sich völlig ausgeschaltet und tief in mir wusste ich, dass das hier falsch war, aber ich unternahm trotzdem nichts dagegen, als sie sich mir immer mehr näherte und schließlich ihre Lippen vorsichtig auf meine legte. Ich glaubte in diesem Moment, mein Herz würde mir aus der Brust springen, so heftig begann es zu schlagen und ohne dass ich es merkte, hatten sich meine Finger zwischen ihre Haare gefädelt und strichen leicht über die goldenen Strähnen, während sich ihr Körper näher an meinen drängte. 

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Niemals hätte ich mir vorstellen können, dass Clarke mich einmal küssen würde und nicht einmal in meinen kühnsten Träumen hätte ich mir ausmalen können, dass ihre Lippen so weich waren. Sie schmeckten nach Sicherheit und nach Zuhause. Sie vertrieb meine innere Zerrissenheit und all meine Sorgen und all dies in diesem kurzen Moment. Ich brauchte sie um zu funktionieren, das war seit dem ersten Moment an so gewesen, seit wir die Erde betreten hatten. Sie war das Gewissen und die Vernunft zu meiner Unbesonnenheit und sie war es die mir die Stärke gab, die Dinge zu tun, die von mir verlangt wurden.
Und trotz allem haftete an Clarke auch ein Gefühl von Freiheit. Sie roch nach Waldluft und nach Sonne und vermittelte mir mit ihrem Handeln in ihrer Gegenwart völlig ich selbst sein zu können.
Oh Gott, ich hatte sie so vermisst.
Dies war der Moment, in dem sich mein Verstand dazu entschied sich wieder einzuschalten. Ruckartig zog ich mich zurück, noch immer schwer atmend und schaute ungläubig auf sie hinab. Was hatte ich mir nur dabei gedacht, ihren Kuss zu erwidern? Diese neue Clarke war eine Person, die ich nicht kannte und von der ich nicht sagen konnte, ob sie nicht doch beschloss wieder zu verschwinden.
„Tu das nicht wieder", stieß ich atemlos hervor und stürmte unter ihrem verletzten Blick aus dem Zelt.


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⏰ Letzte Aktualisierung: Mar 09, 2020 ⏰

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