Kapitel 3

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Es war zwanzig nach sechs am nächsten Morgen, als ich unsere Küche betrat, um das Frühstück meiner Familie vorzubereiten. Luis war gestern Abend noch eine Weile in meinem Zimmer geblieben, bis er irgendwann gegen Mitternacht in sein eigenes Bett gekrochen war. Auch jetzt konnte ich es immer noch nicht glauben, dass das gestern wirklich passiert ist. Er hatte mir verziehen. Zwar würde ich immer mit meiner Schuld leben müssen, doch von jetzt an würde er mich vielleicht öfters anlächeln und mich vielleicht sogar mal morgens grüßen. Darauf freute ich mich jetzt schon. Und vielleicht, ganz vielleicht, würde er eines Tages nochmal in mein Zimmer kommen und wir würden uns ganz normal unterhalten können. Dann würde ein Traum von mir wahr werden. Als ich gerade das Wasser für den Kaffee aufsetzte, wurde die Küchentür geöffnet. Erschrocken drehte ich mich um, in der Erwartung meiner Mutter gegenüberzustehen, die aufgewacht war, weil ich zu laut gewesen war, obwohl ich mich extra bemüht hatte so leise wie möglich zu sein. Doch zu meiner Überraschung hatte nicht meine Mutter die Küche betreten, sondern mein Bruder.

„Guten Morgen", strahlte er und näherte sich mir etwas.

„Ist alles in Ordnung?", Panik schwang in meiner Stimme mit. Normalerweise wachte er nie vor seinem Wecker auf und selbst dann, hatte er Schwierigkeiten aus dem Bett zu kommen. Vielleicht hatte er wieder Kopfschmerzen, wie gestern bekommen, oder ihm war übel.

„Ja, alles bestens", erwiderte er ruhig.

„Okay", ich stieß einen erleichterten Seufzer aus. Um nichts auf der Welt, wollte ich, dass es meinem Bruder schlecht ging. Trotzdem war es merkwürdig, dass er schon auf war. Aber vielleicht hatte er einfach nicht mehr schlafen können, oder er wollte von jetzt an zum Frühaufsteher mutieren.

„Es tut mir leid, aber der Kaffee ist noch nicht fertig und ich hab den Tisch auch noch nicht gedeckt, aber das kann ich in weniger als zwei Minuten machen", erklärte ich schnell und drehte mich schon zu einem unserer Schränke um, damit ich eine Schale herausholen konnte. Plötzlich fühlte ich seine warme Hand, die sich auf meine Schulter legte. Ich versteifte mich leicht unter seiner Berührung und drehte mich ein wenig ängstlich zu ihm um.

„Hey, alles ist gut, okay? Ich bin früher aufgestanden, damit ich dir beim Frühstück machen helfen kann", erklärte er lächelnd, während er mich mit leicht gerunzelter Stirn ansah.

„Ich...", ich war sprachlos. Fast traten mir vor Rührung Tränen in die Augen. Das war so unglaublich nett von ihm, doch gleichzeitig wuchsen meine Schuldgefühle. Meinetwegen war er extra früher aufgestanden, dabei liebte er es doch zu schlafen. Außerdem musste er fit und ausgeruht für die Schule sein.

„Das geht nicht", erwiderte ich, sobald ich meine Stimme wiedergefunden hatte.

„Wieso nicht?", er zog eine Augenbraue hoch, weshalb ich mich auf einmal ziemlich unwohl fühlte.

„Das Angebot ist sehr lieb von dir, aber du brauchst mir nicht zu helfen. Ich schaff das alleine und außerdem brauchst du genügend Schlaf und solltest am Morgen nicht schon so viel tun", sagte ich hastig.

„Und was ist mit dir? Brauchst du nicht auch ausreichend Schlaf und Erholung?", hakte er nach.

„Das geht schon, ich hab mich längst daran gewöhnt", teilte ich ihm mit. Als mir bewusst wurde, dass ich ihm schon während des ganzen Gespräches anschaute, senkte ich hastig den Blick.„Elena, lass mir dir helfen."

„Nein, wenn das jemand mitbekommt, dann...", allein bei dem Gedanken, dass meine Mutter aus Versehen entdecken könnte, dass mein Bruder mir half, bekam ich eine Gänsehaut. Ich wollte mir nicht vorstellen, was sie mir antun würde, um mich zu bestrafen. „Setz dich einfach, ich bring dir sofort dein Müsli und die Milch, sowie den Kaffee, sobald er fertig ist."

Es ist meine Schuld #Wattys2016Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt