The King

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Erik ging wie schon so oft zuvor einen der unzähligen Flure entlang, und blieb vor einer der vielen Türen stehen. Er atmete tief durch, klopfte und trat ein. Der Raum war dunkel, nur eine kleine weiße Kerze, die auf einem hölzernen Tisch stand, spendete etwas Licht. Die dick gewebten Vorhänge ließen keinen einzigen kleinen Lichtstrahl der untergehenden Sonne ins Innere des Raumes. Es standen zwei Stühle am Tisch, einer war leer. Ihm gegenüber saß ein älterer Mann, mit schwarzem Haar. Er hatte die Ellenbogen auf der Tischplatte abgestützt, die Hände unter dem Kopf verhakt, worauf er sein Kinn stützte und seine Beine unter dem Tisch überkreuzt. Man sah ihm an, dass er von hohem Stand war. Der Schein der Kerze erhellte nur wenige Zentimeter des Raumes, sowie einen Teil des Gesichts des Mannes. Der helle Schein machte eine lange Narbe erkennbar, die sich vom Kinn über die rechte Wange des älteren Mannes erstreckte und unterhalb des Auges endete. Der Mann hatte die Augen geschlossen, schien über etwas nachzudenken. Eine erdrückende Stille füllte den Raum. Mit jedem Flackern der Kerzenflamme huschten die Schatten ein Stück näher und wichen mit dem aufflammen des Feuers wieder zurück. Kerzenwachs schmolz unterhalb des Dochts und rann gemächlich an der Kerze hinunter, ehe es in eine Auffangschale tropfte. Ein leichter Geruch von Wachs lag in der Luft. Erik setzte sich dem alten Mann gegenüber. Ein paar Minuten saßen sie schweigend da, ehe eine tiefe raue Stimme die Stille durchbrach. Erik sah in die dunklen golden wirkenden Augen des Älteren. Sie strahlten Kälte und Abscheu aus, jeder Funke von Lebensfreude und Hoffnung fehlte ihnen. „Hatten wir heute kein schönes Wetter? Die Sonne strahlte vom Himmel, keine Wolken weit und breit, auch die Nacht wird heute wunderschön sein. Warmer Wind, funkelnde Sterne, der Vollmond." „Komm zum Punkt, was willst du?" „Ich habe von Aleshiyas Verletzung erfahren, und verstehe, dass du jetzt lieber bei ihr wärst, als bei mir, aber ich kann die Situation nun einmal nicht ändern." Schweigen breitete sich aus. „Lass uns doch spazieren gehen", schlug der Ältere vor, wobei dies mehr einem Befehl glich.

Sie gingen hinaus in den Garten, dessen Wege von kleinen am Boden stehenden Laternen erhellt wurden. Nachts wirkte der Garten einfach nur magisch. Die Pflanzen glänzten im Licht der Laternen, Glühwürmchen schwirrten über dem Boden hinweg und der angenehm warme Wind löste ein Gefühl der Geborgenheit in Erik aus. Hier war sein zu Hause, hier wurde er geboren, hier gehörte er hin. „Wusstest du,", begann der Mann neben ihm, „dass Rick gestern angeblich ein Mädchen hierhergebracht haben soll?" Erik hatte es gewusst. Er wusste, dass der Ältere mit ihm darüber sprechen wollte. „Nein." „Dieses Mädchen sei aus einer Kolonie." „Wirklich? Wurde sie schon der SoC übergeben?" Der Mann mit den rückenlangen schwarzen Haaren blieb stehen. „Sie ist unauffindbar. Sie ist auch nicht mehr bei Anderson, wo sie eigentlich sein sollte." Eriks Augen weiteten sich und seine Atmung stockte kurz. Aber genau da sollte Roxanne sein. Sie kannte sich in den Wäldern nicht aus, wusste nicht welche Gefahren dort lauerten, wahrscheinlich war sie schon längst tot. „Wusste ich es doch", flüsterte der Alte, und lenkte Eriks Aufmerksamkeit auf sich. Da wurde ihm klar, dass er sich selbst verraten hatte. „Du erwartest stets Vertrauen von anderen, aber wie soll das funktioniert, wenn du selbst nicht loyal bist? Ich weiß, dass dein Leben nicht leicht ist, du hattest eine schwere Kindheit, aber die hatte ich auch, und sieh, was aus mir geworden ist. Ich bin König! Ich hätte von dir wirklich mehr erwartet, Erik." Er lachte heiser. „Du bist genauso wie deine Mutter. Mit einem Unterschied, sie war mir treu untergeben." Der Ältere atmete tief ein und wieder aus. Erik ballte seine Hände zu Fäusten. „Dir ist klar, dass mich zu belügen sehr, sehr dumm war, nicht? Aber das hast du als Kind auch des Öfteren getan, jedoch gibt es nun einen kleinen, aber entscheidenden Unterschied, du wirst dich einer Bestrafung unterziehen müssen, und es ist mir dabei verdammt nochmal egal, ob du mein Sohn bist, oder nicht!" Die goldenen Augen seines Vaters glühten vor Zorn. „Wenn du mir sagst, wo sich das Mädchen befindet, werde ich deine Strafe vermindern, und wenn du schlau bist, tust du genau dies." Erik wusste nicht was er jetzt sagen sollte, er hatte schließlich wirklich keine Ahnung, wo Roxanne sich momentan befand. Sollte er seinen Vater einfach einen Ort nennen, ihn somit erneut anlügen und eine weitere Strafe kassieren, oder einfach zugeben, dass er nicht wusste, wo sich das Mädchen befand? Würde er seinen Vater erneut anlügen, würde die Strafe sich verdoppeln, und das wollte er auch nicht unbedingt. „Ich habe keine Ahnung, wo sie sich aufhält." Der alte Mann seufzte. „Schön. Du wirst nachher dem Henker einen kleinen Besuch abstatten. Zehn Peitschenhiebe." Erik nickte, ehe sein Vater sich von ihm abwandte und im Palast verschwand. Er ließ seinen Blick ein letztes Mal über den Himmel und den Garten schweifen, ehe auch er zurück zum Palast ging.

There is Nothing but SilenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt