Das Licht der untergehenden Sonne fiel durch die Blätter der Bäume auf ihre geschlossenen Augen. Ein Ruck durchfuhr Roxanne Alice Ravengraves Körper und sie öffnete träge ihre Augen. Sie blickte auf zum Blätterdach über ihr, und warf einen sehnsüchtigen Blick hinauf zum orange schimmernden Himmel. Die junge Frau im Alter von siebzehn Jahren setzte sich ruckartig auf, wobei ihr einige Strähnen ihres langen blonden Haares vor die Augen fielen. Innerlich fluchte sie, da sie vor Sonnenuntergang wieder im Lager sein musste und bis dahin war es nicht mehr lange. Sie erhob sich und lief über die Lichtung, an deren Rand sie bis eben noch unter einer Eiche gelegen hatte. Ihr Bruder würde sich bestimmt schon Sorgen machen. Sie lief auf der anderen Seite der Lichtung in einen Wald hinein und kam bald darauf erneut zu einer Lichtung, jedoch zu einer größeren. Sie lief zu dem großen Zaun aus 15 Meter hohen Holzpfeilern, der sich vor ihr erstreckte. Bald würden sie das Feuer anzünden, das den Anbruch der Nacht verkündete. Sie rannte zu einem ebenso mächtigen eisernen Tor, als einer der Späher von oben herab ein Zeichen gab, das Tor zu öffnen. Als Späher wurden die Menschen bezeichnet, die von ihren Posten auf Höhe der Spitzen der Holzpfeiler den Wald beobachten, tagsüber den Leuten, die zur Kolonie gehören, Einlass gewähren und nachts Ausschau nach Bedrohungen hielten. Das Tor wurde einen Spalt breit geöffnet und Roxanne eilte auf die andere Seite des Schutzwalles. Vor ihr erstreckte sich eine kleine, ziemlich alt wirkende Stadt, aus der die Bewohner das nötigste herausgeholt hatten. Sie lief die Straßen entlang, wobei sie an Menschen vorbeikam, die ebenfalls auf ihren Wegen nach Hause waren. Durch die untergehende Sonne kam es ihr vor, als liefere sie sich ein Wettrennen mit ihrem eigenen Schatten. Sie kam auch an den ein oder anderen kleinen Läden vorbei, wobei bei den meisten kein Licht mehr brannte und ein kleines 'Geschlossen' Schild an der Tür hing. Sie bog um eine Ecke und blieb schließlich vor einem noch kleineren Haus stehen. Sie fischte einen verosteten alt wirkenden Schlüssel aus ihrer Jeans und sperrte die Haustür auf. „Bin wieder da!", rief sie in den dunklen Gang. Das Licht ging an und ein Mann mit dunkelbraunen Haaren und gleichfarbigen Augen trat ihr gegenüber auf den Flur. „Wo warst du so lange? Du hättest schon seit einer Stunde wieder zu Hause sein müssen." „Tut mir leid, ich bin auf der kleinen Lichtung eingeschlafen", sie kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Ihr Bruder Francis Ravengrave machte auf viele Menschen einen strengen, gar unfreundlichen Eindruck, was wohl daran liegen mochte, dass er sehr schnell aggressiv werden konnte, wenn ihm etwas nicht passte oder jemand seiner kleinen Schwester zu nahe kam, doch er war ein liebevoller und fürsorglicher Bruder. "Na gut, jetzt bist du ja hier." Sie setzten sich an den hölzernen Tisch, der auf der gegenüberliegenden Seite des kleinen Raumes stand, den sie betraten. Der Raum wirkte wie eine Art Wohnzimmer, Küche und Esszimmer zugleich, was er auch war. „Hier, dein Abendessen. Ich habe schon gegessen." Er stellte einen Teller mit Fisch und etwas Gemüse vor ihr auf den Tisch. Als Roxanne bemerkte, was dort vor ihr auf dem Teller lag, blickte sie sprachlos zu ihrem Bruder auf. "Fisch?! Wo hast du den denn her?!" Fisch galt als reine Rarität. Es gab freilich einen Fluss, der durch die Kolonie lief, jedoch war dieser für alle aus dem Volk, außer Fischer und Wasserhändler gesperrt und wurde strengstens überwacht. "Wir haben nicht genug Geld um uns so etwas zu leisten, also wo hast du ihn her?" Er zögerte nur einen kleinen Moment, sodass Roxanne es fast nicht bemerkt hätte, bevor er sprach, "Er war ein Geschenk... von Major Farlan." "Du hast ihn gestohlen oder?" ihr Verdacht bestätigte sich, als er nur eine Sekunde lang den Blickkontakt abbrach. Sie seufzte ehe sie zum Besteck griff. "Du weist, dass wenn sie dich erwischen eine Geldstrafe auf ums zukommt, die wir niemals bezahlen können. Und du weist, dass wenn man eine Geldstrafe nicht bezahlen kann, man weggesperrt wird. Was soll dann aus mir werden, wenn das passiert? Dann bin ich ganz allein!", Roxanne wollte ihren Bruder nicht anschreien, dennoch konnte sie ihre Wut nicht zurück halten. "Reg dich ab. Ich pass schon auf dass mich niemand erwischt." Sie schnaubte genervt und begann zu essen . „Gibt es etwas Neues?", durchbrach ihre Stimme die erdrückende Stille. „Nun ja, das übliche. Hier und da ein paar Monster, die versuchen in die Kolonie einzufallen und zwei verletzte Jäger. Ich glaube diese scheiß Viecher werden auch immer größer und aggressiver." „Musst du heute wieder raus?" Er schüttelte seinen Kopf. „Nein, heute Nacht habe ich frei." Sie aß schweigend weiter, freute sich aber innerlich, dass sie ein wenig Zeit mit Francis verbringen konnte. „Ein Jäger zu sein muss wirklich spannend sein." „Vergiss es Rox! Wir hatten dieses Thema schon oft genug, du kannst keine Jägerin sein." Sie schlug mit der Hand auf den Tisch. „Aber wieso denn nicht?! Du bist doch auch einer! Nur weil ich ein Mädchen bin-" „Weil du meine Schwester bist! Ich will dich nicht auch noch verlieren Rox. Es ist schon schlimm genug, dass Mum und Dad tot sind." Sie senkte ihren Kopf und schwieg. Da ertönte auf einmal ein Geräusch, dass sie zuvor nur ein einziges Mal gehört hatte, und sie hatte sich gewünscht es nie wieder hören zu müssen. Eine Sirene. Das laute bellende Heulen dieser erfüllte die Straßen der kleinen Stadt, und dann passierte alles ganz schnell. Ihr Bruder sprang auf, nahm sich das Gewehr, das auch als eine Art Sense fungieren konnte und rannte mit den Worten „Bleib hier und warte!", aus dem Haus, hinaus auf die von wenigen Lichtern erhellte Straße. Roxanne stand ebenfalls auf und lief zur Haustür. Sie öffnete langsam die Tür. Auf den zuvor stillen und leeren Straßen wimmelte es nur so von umherrennenden Leuten. Alle waren schwarz gekleidet. „Jäger", flüsterte sie in die Nacht hinaus. Jäger sind Leute, die auserhalb der Mauern auf Jagd gehen. Selbstverständlich jagen sie nicht nur 'normales Wild' wie Rehe, Jäger sind speziell trainierte und ausgebildete Menschen, die zur Jagd auf Monster eingesetzt werden. Sie öffnete die Tür ganz und trat auf die Straße. Es dauerte nicht lange und sie begriff die eigentliche Gefahr. Als sie diese Erkenntnis traf, wurde ihr übel vor Angst. Ein Monster war auf den Straßen der Stadt... auf denen auch ihr Bruder war. Hektisch blickte sie sich um. Sie rannte von Straße zu Straße und hielt Ausschau nach ihrem Bruder. Ihre Beine fühlten sich schwer an und Panik machte sich in ihr breit. Was, wenn sie ihn auch noch verlor? Den letzten Menschen, den sie noch hatte. Das durfte unter keinen Umständen passieren, das hatte sie sich damals, nach dem Tod ihrer Eltern geschworen. Schweiß rann ihre Stirn hinab. Plötzlich blieb sie stehen. Ihre Augen weiteten sich, und es viel ihr schwer die Szene, die sich vor ihr abspielte zu verarbeiten. Wunschdenken und Realität vermischten sich. Das konnte nicht wahr sein. Nein, das durfte nicht wahr sein! Nicht weit von ihr entfernt, im Licht einer Straßenlaterne war ihr Bruder. Er lag auf dem Boden von einer dunkelroten Flüssigkeit umgeben. Ein tiefes Loch klaffte in seiner Brust. Alles färbte sich rot. Roxanne wurde schwindelig. Sie glaubte nicht an das, was sie sah. Doch dann erblickte sie etwas riesiges Schwarzes. Schattenschwarz wie die Seele der Nacht. Und Es kauerte direkt neben ihrem Bruder. Zwei grüne Augen blitzten auf und es kam ihr vor, als starreten diese direkt in ihre Seele. Dieses giftgrün, so wunderschön, wie gefährlich. Roxanne wagte es nicht sich einen Zentimeter zu bewegen. Das schattenhafte Wesen baute sich auf und nun ließ sich die Gestalt eines Katzenartigen Tieres erkennen. Es wirkte fast wie ein Panther, jene Raubkatze, die auch in Bilderbüchern zu finden war. Doch das war Es nur indirekt. Es übertraf einen Panter nicht nur in der Größe, die circa sechs Meter betrug, sondern auch in dessen Aussehen. Dieses Schwarz war so unnatürlich dunkel und diese Augen waren so unnglaublich ausdrucksstark. Das Wesen riss sein Maul auf und abnormal lange scharfe Zähne ragten aus den Kiefern. Es gab einen krächzenden Laut von sich und kauerte sich zusammen. Einen Sekunden Bruchteil später sprang Es auf Roxanne zu. Sie schloss panisch ihre Augen und wartete darauf mit Gewalt niedergerissen zu werden, und den erlösenden Schmerz zu spüren, der sie in den Tod schicken würde. Doch anstatt Schmerz zu spüren hörte sie zuerst ein lautes Knallen und dann ein dumpfes Poltern. Sie öffnete ihre Augen wieder und sah, dass das Wesen gerade 3 Meter von ihr entfernt aufstand, wobei Blut aus seiner Flanke rann. „Lauf weg, Mädchen!", rief jemand, und Roxanne zögerte nicht lange, nahm die Beine in die Hand und lief. Einer der Jäger hatte das Wesen anscheinend niedergeschossen. Sie fragte sich während sie durch die Straßen und Gassen lief, ob dieses seltsame Wesen sie wohl verfolgte, doch sie wagte es nicht hinter sich zu blicken. Sie lief einfach weiter. Weiter in die dunklen Schatten der Häuser. Weiter in die Nacht. Als sie vor ihrem Haus ankam, bemerkte sie erst, dass sie unbewusst nach Hause gelaufen war, was wohl daran lag, dass ihr zu Hause Schutz und Sicherheit für sie bedeutete, da ihr Bruder schließlich immer für sie da war, um sie zu beschützen. Ja, war. Sofort kamen all die Gefühle zurück, die sie verspürt hatte, als sie ihren Bruder auf dem kalten Pflaster der Straße erblickt hatte, und neben ihm dieses abscheuliche Monster. Hass machte sich in ihr breit, nistete sich in ihrem Herzen ein und zerfraß es von innen. Ebenso kamen Fragen auf, auf die sie einfach keine Antworten wusste. Was sollte sie jetzt machen? Müsse sie von nun an alleine leben? Würde sie ihren Bruder je wieder sehen? Er war doch das Einzige, das sie noch hatte. Sie sah in den Nachthimmel. Ein paar wenige Sterne funkelten, als wollten sie ihr Trost spenden, und der Vollmond schien in seiner vollen Pracht. Als sie wieder nach vorne blickte, sah sie am Ende der Gasse etwas, das sich im Schatten bewegte. Etwas schlich auf sie zu, setzte einen der vier Beine geschmeidig vor das jeweils andere, dabei war es so leise, als wäre es selbst der Schatten. Dann blitzten stechend grüne Augen auf. Dieselben giftgrünen Augen, die das Monster von vorhin hatte. Das kann doch alles nicht wahr sein, dachte Roxanne sich. Doch es war Realität, das wusste sie. Sollte sie fliehen? Sie entschied sich jedoch dagegen, streckte die Arme zur Seite aus und blickte dem Wesen direkt in die Augen. „Na los! Komm und hole mich. Ich habe keine Angst mehr vor dir", wobei das etwas gelogen war. „Du hast mir bereits alles genommen, was ich noch hatte, also, nimm auch mein Leben, du abscheuliche Bestie!" Doch das Panther ähnliche Wesen blieb, zu Roxannes Verwunderung stehen und setzte sich hin. Im nächsten Moment traf sie etwas am Hinterkopf, ihr wurde schwarz vor Augen und sie kippte nach vorne um. Dunkelheit umfing sie. Ihre Sinne nahmen nur noch eines wahr, Stille.
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There is Nothing but Silence
FantasyWas wäre, wenn die Erde in der Zukunft von Pflanzen überwuchert wäre, und die überlebenden Menschen sich zu kleinen Kolonien zusammen schließen mussten, um zu überleben? Überleben vor was? Na, vor den Monstern die vor der Tür lauern und darauf warte...