Kapitel 17

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"Super, dann sind ja alle dafür.
Dann setzt euch bitte im Kreis, auf den Boden vor meinem Bett hin.
"Es ist Laminat mit Fußbodenheizung, daher dürfte dieser nicht kalt sein."
Alle gehorchten und einige Sekunden später saßen wir im Kreis mit der Fantaflasche in der Mitte.
Mir gegenüber sitzt Lena, rechts von mir Samira und links Taylor.
"Wisst ihr alle noch die Regeln oder soll ich es sicherheitshalber noch einmal erklären?"
Lenas braune Augen guckten mich verunsichert an: "Ähhm, ich spiele das Spiel jetzt zum allerersten Mal, also bitte erklär mir das mal."
Sofort erntete sie unsere überraschten Blicke auf ihr, aber dann erkläre ich es für sie einfach.
"Es wird zu Anfang jemand von uns bestimmt, der anfängt. Derjenige dreht die Flasche, bis sie stehen bleibt und die Flaschenöffnung auf einen anderen Spieler zeigt. Niemand darf die Flasche beim Drehen stoppen oder berühren. Der Dreher fragt denjenigen, auf den die Flasche zeigt, ob er 'Wahrheit' oder 'Pflicht' nimmt. Bei 'Wahrheit' muss man ehrlich antworten und bei 'Pflicht' die vorgegebene Aufgabe machen.
Der Spieler, der antworten musste, dreht als Nächster die Flasche und dann geht das immer so weiter, bis wir die Lust verlieren.
Bei 'Wahrheit' kann man zum Beispiel fragen "wo warst du letzten Sommer" und bei Pflicht "umarme jemanden deiner Wahl". Zeigt die Flasche auf dich selbst, dreht man noch einmal.
Zusatzregel ist, dass du ein einziges Mal verweigern darf im ganzen Spiel, aber die nächste Aufgabe machen beziehungsweise beantworten muss.
Alles soweit verstanden Lena?"
Lena: "Ich denke schon."
Natürlich habe ich bewusst harmlose Beispiele genannt, es soll natürlich noch privater werden.
"Gibt es denn jemanden, der anfangen möchte?"
Taylor erfreut: "Ich mache gern den Anfang."
Er drehte freudig die Flasche und nach ein paar Sekunden zeigte diese auf Samira. Taylor grinsend: "Wahrheit oder Pflicht?"
Samira: "Pflicht."
Taylor überlegte kurz.
"Zeige uns ein wirklich peinliches Foto auf deinem Handy."
Sie nahm ihr weißes
Samsung Galaxy S3 aus der Hosentasche, suchte etwas und hielt das Handy hoch.
Wir kicherten alle, als wir das Foto sahen. Samira hatte tatsächlich eine weiße Torte im Gesicht geklascht bekommen. Sie sagte grinsend:
"Mein Cousin Devin fand es an meinem 16. Geburtstag total amüsant, mir Mamas Cremetorte ins Gesicht zu schmeißen. Das an meinem großen Tag. Doch egal, ich fands witzig und so hab ich etwas zu erzählen."
Taylor: "Ich hätte meiner Schwester auch ne Torte in ihr Gesicht gebatscht. Das würde ich gern mal machen."
Samira lächelte ihn an.
Nun drehte sie die Fantaflasche, die nun auf Lena zeigt.
Samira schaut schelmisch in Lenas braune Augen. Lena ist unsicher und das glaube ich, denn meine beste Freundin denkt sich immer die intimsten Dinge aus.
Samira mit hochgezogenen Augenbrauen und ruhiger Stimme:
"Wahrheit oder lieber doch Pflicht?
Lena knapp: "Wahrheit."
Samira: "Was ist deine größte Angst?"
Nicht schlecht, die Frage. Da bin ich ja gespannt, was Lena antwortet.
Wir starren sie geduldig an.
Lena malt mit dem Blick auf den Boden kleine Kreise darauf.
Nach einigen Sekunden antwortete sie sehr zaghaft: "Ich habe ganz schlimme Platzangst. Ich ...ich
steige niemals in einen Fahrstuhl oder Bus und lasse Zimmertüren immer auf. Meine Eltern wohnen extra mitten in der Stadt, damit es mit dem Fahrrad oder zu Fuß nicht weit bis zur Schule oder zu anderen Orten ist. Ich saß zuletzt mit 6 Jahren in einem Auto. Dass die Türen in der Schule geschlossen sein müssen, macht mich sehr nervös. Erzählt das bitte keinem, das wissen nur meine Eltern. Naja bis jetzt. Mir fällt auch die Anwesenheit in Menschenmassen schwer, ich fühle mich einfach sofort eingeengt und bekomme Panik. Die Schule fällt mir nicht gerade leicht. Das ist der Grund, warum ich offener bin im Alltag.
Ich fühle mich nicht so eingeengt."
Lena zögerte kurz, ehe sie fortfuhr.
"Ich bin in Verhaltenstherapie deswegen. Hoffentlicht mögt ihr mich jetzt noch."
Sie ließ ängstlich ihren Kopf hängen, blickte aber auf, als Taylor fürsorglich das Wort ergriff und ihr dabei in die Augen schaute.
"Du kannst stolz auf dich sein, dass du uns das anvertraust, denn du kennst uns ja eigentlich kaum. Es gibt viele Menschen, die Platzangst haben.
Jeder Mensch hat vor irgendetwas Angst, deshalb sind wir doch immer noch Menschen. Du hast eben Platzangst, ich hab als Junge Angst vor Spinnen. Was solls, dann ist das eben so. Mach dir da keinen Kopf Lena. Dass du darüber sprechen kannst, ist ein toller Schritt in die richtige Richtung. Wir versprechen dir, dass wir es ohne deine Einwilligung nicht weitererzählen.
Wir nehmen dich so wie du bist und ich mag dich so."
Taylors Augen leuchten förmlich und Lena lächelt mit einem roten Teint auf den Wangen. Sie strahlt mit Freudentränen in den Augen.
"Wow. So etwas hat noch nie jemand zu mir gesagt. Ihr seid alle echt in Ordnung. Danke Taylor, ich mag euch auch. Ich weiß gar nicht, warum wir uns alle nicht schon vorher verabredet haben. Also ich würde mich sehr darüber freuen, wenn wir mal öfter etwas zusammen unternehmen würden."
Ich: "Klar. Gerne. Ihr seid mir beide auch sympathisch. Lena, du musst nun drehen."
Daraufhin drehte sie aufgeregt die Fantaflasche, die diesmal bei mir stehen blieb. Bevor Lena fragen konnte, rief ich sofort:
"Wahrheit!"
Lena: "Bist du in jemanden verliebt?"
Es war natürlich nicht anders zu erwarten, dass diese Frage mal jemanden trifft. Nur was soll ich denn darauf jetzt antworten? Ich weiß doch selbst nicht, ob ich Frau Summer einfach nur toll finde oder ob ich doch mehr für sie empfinde?
Wenn ich 'nein' sage, könnten sie mir ansehen, dass ich doch für jemanden schwärme.
Verweigere ich die Antwort, dann wäre ebenfalls sofort klar, dass ich verliebt wäre. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als ja zu antworten.
Besonders Taylor verfolgte erwartungsvoll jeden meiner Körperbewegungen.
"Ja, bin ich."
Jetzt schauten erst recht alle neugierig, doch ich sage keinem, wer es ist. Ich danke Lena, dass sie nicht gefragt hat 'in wen' ich verliebt bin.
Nun war ich an der Reihe und gab der Flasche einen ordentlichen Anstoß.
Sie blieb bei Taylor stehen. Ich grinste ihn an und er nahm sofort 'Wahrheit'.
Ach menno, ich hatte mir doch was so Schönes für ihn ausgedacht.
Na gut, dann muss eine andere Idee her. Kurz überlegen...ah, ich habs!
"Was war dein peinlichstes Erlebnis, das du je hattest?"
Taylor hielt sich die Hände vor das Gesicht: "Verdammt, ausgerechnet die Frage. Na gut, aber bitte lacht nicht all zu doll okey? Ich war mit 14 Jahren auf der Hochzeit von Mamas Schwester. Sie hat ein eigenes Haus mit einem großen Garten und einer Poolanlage hier in Wuppertal.
Es waren um die 60 Gäste dort, also eher eine kleinere Hochzeitsfeier.
Mama, meine Oma und ich haben uns um die Essensvorbereitung und dem Decken der Tische gekümmert.
Die langen, weißen Tische waren schon voll mit Essen darauf gedeckt zur Abendbrotszeit. Von Fisch, Hähnchenfleisch, Gemüsesuppe, Nudeln und Wiener Würstchen war alles dabei. Ich wollte gerade Kräuterbaguettes und belegte Brötchen auf zwei Tellern in den Garten abstellen, als ich plötzlich über einen liegen gelassenen Ball meiner Schwester auf dem grünen Rasen stolperte. Mit den zwei Tellern hinzufallen wäre gar nicht so schlimm gewesen. Den Fehler, den ich jedoch gemacht hatte...ich wollte mich an der weißen Decke, die auf dem Tisch lag, zur Hilfe festhalten und riss dabei die Hälfte des Abendbrotes mit mir vom Tisch."
Lena machte große Augen:
"Oh nein! Hattest du dich doll verletzt?"
Taylor hochrot: "Einige blaue Flecken, mehr aber auch nicht."
Samira gluckste grinsend vor sich hin und unterdrückte sichtlich ein lautes Gelächter: "Die bessere Frage wäre jetzt eigentlich gewesen, was die armen, hungrigen Gäste nun essen sollten."
Ich war dann doch die erste, die lachen musste.
"Was hast du dann den Restabend gemacht?"
Taylor kratzt sich am Hinterkopf:
"Ich durfte rein gar nichts mehr anrühren. Nicht einmal mithelfen, alles wieder ordentlich zu machen.
Da meine Kleidung dreckig war, musste ich auf die Schnelle ein Overziseshirt von Papa anziehen, welches als Reserve in seinem Kofferraum war. Mamas Schwester war echt wütend auf mich.
Was kann ich denn dafür, wenn meine kleine Schwester ihr Spielzeug auf dem Boden liegen lässt?!"
Lena versuchte, ihn aufzumuntern:
"Sieh es doch einfach mal so. Deine Tante wollte einen unvergesslichen Tag haben und den hat sie schließlich bekommen oder? Später hat sie nun etwas zum Erzählen, genauso wie du."
Taylors Grinsen kam nun wieder zum Vorschein. "Und was ich zu erzählen habe! So, jetzt wollen wir mal die Aufmerksamkeit zurück aufs Spiel lenken. Mal sehen, wer mein Opfer wird."
Belustigt gab er der Fantaflasche einen kräftigen Stoß. Sie drehte und drehte, bis sie anhielt.
"Mhhh...Lena. Wahrheit oder Pflicht?"
Er lehnte sich mit einer hochgezogenen Augenbraue zu ihr herüber. Lena nervös: "Ich nehme lieber Wahrheit."
"Wie du willst. Wer war der Erste außerhalb deiner Familie, den du geküsst hast?"
Taylor sah ihr neugierig in die braunen Augen. Samira und ich verfolgten das einfach nur, denn beide bemerkten gar nicht, dass wir ebenfalls noch anwesend sind.
Lena sah zu uns und gab kleinlaut zu:
"I-ich...also...ich habe noch nie jemanden geküsst."
Taylors permanentes Grinsen verschwand sofort. Selbst ich hatte nicht damit gerechnet.
Natürlich bin ich selbst auch noch unerfahren, aber Lena?
In Taylors Stimme lag ein Hauch Verständnislosigkeit: "Wirklich noch nie? Dir müssen doch die Jungs zu Füßen liegen, um dich küssen zu dürfen."
Lenas Scham aufgrund seiner Worte stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben. Wie konnte ich es überhaupt die ganze Zeit übersehen?
Ich meine, offensichtlicher geht es doch nun wirklich nicht mehr.
Lena sah ohne ein Wort immer noch zu Boden, Taylor gab ebenfalls peinlich berührt keinen Mucks von sich. Na dann muss wohl mal jemand das Eis brechen. "Vielleicht kam einfach noch nicht der Richtige.
Sie ist doch erst 16. Lena hat noch alle Zeit der Welt. Sie gehört mit Sicherheit nicht zu den Mädchen mit der Absicht, haufenweise Jungs abzuschleppen."
Lena rutscht auf ihren Platz hin und her, sie vergräbt dabei beide Hände unter ihren Schoß.
"Ich weiß gar nicht, was ich dazu noch sagen soll. Ihr seid mit Abstand die ersten, die mir ehrlich gemeinte Komplimente machen und nicht nur Aufmerksamkeit beabsichtigen.
Also zu dem Kuss...klar war ich schon mal verknallt in Jungs, aber ich bin ihnen womöglich zu verschlossen.
Ich wüsste echt gern, warum alle Jungs in unserem Alter aufgetakelte Mädchen heiß finden. Natascha ausgeschlossen, sie ist einfach so, aber sie hat das Herz am richtigen Fleck.
Bisher hatte noch niemand wirkliches Interesse an mir Unscheinbarkeit gehabt, deshalb auch kein Kuss."
Taylor lächelte sie an: "Der Richtige kommt bestimmt noch."
Lena lächelte ebenfalls. Langsam wurde es für Samira zu viel Gefühlsduselei und sie entgegnete genervt: "Du kannst jetzt gerne weiterdrehen Lena!"
Lena grinste nur: "Oh, da kann es ja jemand kaum erwarten, ran zu kommen."
Wie der Zufall es wollte, musste die Flasche natürlich ausgerechnet auf Samira zeigen. Samira selbstsicher:
"Bevor du fragst, ich nehme Wahrheit."
Endlich sprach mal einer meinen Gedanken aus. Lena enttäuscht:
"Ach man, warum nimmt denn keiner Pflicht?!"
Samira provozierend: "Das kannst du dich gern selbst fragen."
Lena eingeschnappt mit verschränkten Armen vor der Brust:
"Bitte! Dann nehme ich eben das nächste Mal Pflicht, wenn ich rankomme!"
Samira zwinkerte mir zu. Warte, moment mal! Warum zwinkert mir meine beste Freundin zu? War das etwa Taktik von ihr? Dann hat ihre Gehirnwäsche ja bestens funktioniert.
Lenas Gesicht zierte ein schelmisches Grinsen. Oje, was sie jetzt wohl fragt?
Sie blickt in Samiras olivgrüne Augen: "Bist du noch Jungfrau?"
Sofort verschwand Samiras Lächeln aus dem Gesicht. Damit hat sie wohl nicht gerechnet. Sie blieb mucksmäuschenstill, alle Augen sind nur auf Samira gerichtet.
Warum zögert sie das 'ja' denn jetzt so ewig heraus?
Nach einer gefühlten Ewigkeit von Bodenstarren, entgegnete sie:
"Nein, bin ich nicht."
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Authors Note:

Der Samstag allgemein scheint im Moment für euch vielleicht nicht so wichtig, aber Taylor und Samira werden im Laufe der Zeit für die Geschichte eine gewisse Bedeutung bekommen als Nebencharaktere.

LG

Die neue Lehrerin [girlxgirl] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt