Kapitel 21

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Es vergingen viele Wochen. Das Schuljahr verlief bisher ganz gut für mich. Ich konzentrierte mich möglichst auf einen guten Abschluss.
Frau Summer schien mir aus dem Weg gehen zu wollen, denn außerhalb ihres Unterrichtes meidete sie mich. Sie wirkte plötzlich so kühl, grüßte mich nicht mehr und nahm mich nur noch selten in ihren Unterricht ran. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich zuletzt ihr strahlendes Lächeln gesehen habe.
Immer wenn ich nach dem Unterricht persönlich mit ihr reden wollte, hatte sie irgendeine Ausrede parat, jetzt nun keine Zeit für mich zu haben.
Diese Ignoranz kann ich mir doch unmöglich eingebildet haben oder?
Vielleicht macht sie einfach nur ihren Job als Lehrerin und ich steiger mich lediglich da hinein. Ich bin doch selbst schuld. Als sie mich fragte, ob ich etwas mit ihr unternehmen wolle, hätte ich einfach nein sagen sollen.
Doch da ist einfach etwas zwischen uns, ich spüre es doch.
Nur was soll ich denn dagegen tun, wenn mein Herz gegen meinen Verstand anzukämpfen versucht?
Mein Verstand sagt mir ständig, ich sollte es einfach lassen.
Sie ist nun mal meine Lehrerin und dass sie mit mir etwas privat machen wollte, ist schon ungewöhnlich genug.
Doch mein Herz will um ihre Aufmerksamkeit kämpfen.
Mein Herz schlug schon, bevor der Verstand dachte. Sollte ich daher nicht viel mehr auf meine innere Stimme und mein Herz vertrauen?
Tag für Tag vergeht und ich verliere langsam den Kampf. Ich kann nichts erzwingen. Vielleicht sollte ich einfach akzeptieren, dass Frau Summer nach meinem abrupten Aufbruch aus ihrem Haus und meiner Aussage, mich meidet.
Vielleicht ist es besser so.
Ständig wollen alle wissen, wie es mir geht. Doch außer einem gelogenen "gut" kann ich nichts preisgeben, was der Wahrheit entsprechen würde.
Seit Wochen bin ich gereizt und verdränge das Gefühl, Leyla würde mich nicht mehr mögen.
Ich fühl mich so allein. Mit wem soll ich schon darüber reden?
Mein Umfeld spürt zwar, dass mich seit Wochen etwas beschäftigt, doch keiner fragte nach. Vielleicht ist es auch besser so. Um mich herum
scheinen alle so glücklich und lebensfroh zu sein. Leonie und Leon verbringen viel Zeit als Paar.
Taylor und Lena tasten sich noch sehr langsam und vorsichtig an eine Beziehung ran. Meine Eltern turteln andauernd rum und wirken selbst nach so vielen gemeinsamen Jahren so verliebt wie am ersten Tag.
Langsam fühlte ich mich irgendwie überflüssig. Warum schaffen es denn alle außer mir glücklich zu werden?
Anfangs freute ich mich immer auf Leylas Unterricht, doch jetzt bringt mich ihr abweisender, gefühlskalter Blick noch um. Sie meidet den Blickkontakt zu mir. Wie sehr ich doch ihre wunderschönen, blauen Augen vermisse.
Heute ist es wieder so weit.
Musikunterricht bei Frau Summer.
Wir schreiben heute eine Leistungskontrolle über die Musikepochen. Ich habe da überhaupt keine Lust drauf. Meine Klasse hat recht. Wer braucht den Scheiß schon? Leonie ist bis Freitag noch krankgeschrieben, daher aß ich allein in der Schulmensa.
In der großen Pause war auch genug Zeit, um mir über alle möglichen Dinge den Kopf zu zerbrechen.
Nun ist die Pause vorüber und ich lief gereizt zum Musikraum.
Frau Summer schrieb etwas an die Tafel, als ich meinen Hefter auspackte. Ich kam recht spät und klingelte schon zum Unterrichtsbeginn. Jonas und Natscha fehlten. Was für ein dummer Zufall, wenn wir eine LK schreiben.
Ich checkte Frau Summer von unten bis oben ab. Sie trägt eine figurbetonte, dunkelblaue Bluse, eine schwarze Röhrenjeans und trägt natürlich ihre Kette um den Hals.
Heute hatte sie silberne, kleine Ohrringe drin und trägt einen ordentlichen, strengen Dutt mit einer Klammer im Haar. Sie sieht so wunderschön aus. Wenn es um Sachen Mode, Eleganz und Stil ging, war sie ungeschlagen. Binnen kurzer Zeit entwickelte sie sich trotz ihres ersten Lehrjahres bereits als die Lieblingslehrerin vieler Schüler.
Über unnötige Bemerkungen pubertierender, schwanzgesteuerter Jungs sah sie einfach locker hinweg.
Sie verlor nie ihre Beherrschung und war in der Lehrerrolle drin.
Frau Summer stellte sich vor den Lehrerpult.
"Ihr habt 45 Minuten lang Zeit, dann sammel ich eure Arbeiten ein.
Ich teile euch jetzt die Leistungskontrollen aus. Lest euch bitte die Aufgaben sorgfältig durch, bei Fragen fragt jetzt. Während der LK beantworte ich nichts mehr.
Sollte ich jemanden beim Abschreiben oder Spicken erwischen, bekommt derjenige eine 6!"
Klare Ansage. Sie gab den vorderen Schülern einer Bankreihe einen Stapel, der nach hinten weitergereicht wurde. Jeder las sich die Aufgaben durch, doch keiner fragte.
Eigentlich typisch Schüler.
Die meisten trauen sich nie zu fragen und nehmen lieber das Unverständnis in Kauf und rätseln beim Bearbeiten.
Ich bin auch so eine Schülerin.
Frau Summer: "Gut, wenn es keine Fragen gibt, dann läuft eure Zeit genau...jetzt."
Sie setzte sich einfach auf den Lehrerpult. Von da aus hatte sie warscheinlich einen besseren Überblick über uns. Ich kaute konzentriert auf meinen Füller und strich mir Haarsträhnen hinter mein Ohr. Ich spürte einen Blick auf mich ruhen und schaute auf.
Frau Summer sah direkt in meine Augen. Ich lächelte. Warum lächele ich plötzlich?
Frau Summers Wangen röteten sich, sie schaute wieder weg.
Warum schaut sie zu mir und wird dann rot? Nach 30 Minuten etwa blieb ich bei Aufgabe 5 hängen.
Erläutere die Geschichte der Romantik in 10 kurzen Stichpunkten.
Scheiße! Hatte ich vergessen, das zu lernen? Ich grübelte stark, doch mir fiel nicht ein einziger Stichpunkt ein.
Vorsichtig wagte ich einen kurzen Blick zu den Anderen. Es war mucksmäuschenstill im Musikraum, alle arbeiteten fleißig.
Plötzlich durchbrach ein Handyklingeln die Ruhe. Alle schauten geschockt auf und sahen sich um, im Glauben, es wäre ihr eigenes Handy. Doch alle schüttelten den Kopf und sahen nach vorne zu Frau Summer. Sie verstand, stand sofort auf und kramte ihr Smartphone aus ihrer Tasche. Sie sagte beim Kramen peinlich berührt:
"Das tut mir leid, das kann auch uns Lehrern mal passieren."
Die Klasse wirkte erleichtert, dass sie es nicht traf. Als Frau Summer jedoch auf ihr Display schaute, wurde sie schlagartig kreideweiß im Gesicht.
Sie sagte völlig neben der Spur:
"Ich...ähm muss kurz telefonieren gehen. Arbeitet bitte einfach weiter, ich bin gleich wieder da."
Sie ging einfach aus dem Raum und ließ uns allein. Ist das ihr Ernst?
Sie kann uns doch unmöglich während einer Leistungskontrolle allein lassen! Meine Klasse juckte es nicht, dass sie einfach so weg ist.
Es wurde lauter und alle tauschten sich über die Aufgaben aus und schrieben schnell vom Banknachbar einiges ab. Das war natürlich vorprogrammiert. Ich jedoch beobachtete nur misstraurisch die Tür und dachte nach. Wer ist die Person am Telefon? Bin ich wirklich die Einzige, die sich darüber Gedanken macht? Die Tür öffnete sich wieder.
Alle wurden wieder schlagartig ruhig und taten so, als wären sie die ganze Zeit über brav am Arbeiten gewesen.
Leyla war noch immer blass im Gesicht. Ihre Hände zitterten, das sah ich selbst von meinem Platz aus.
Sie wirkte abwesend und total zerstreut. Ihre Haare sahen nun so aus, als wäre sie des Öfteren mit den Händen durch die Haare gefahren. Frau Summer sagte leise:
"Ihr habt noch 5 Minuten."
Sie wirkte nachdenklich und geschockt. So habe ich sie noch nie gesehen, nicht einmal nach meiner Ansage vor ihrem Haus.
Mein Blick durchbohrte sie förmlich, doch den schien sie überhaupt nicht wahrzunehmen. Ich wurde wütend.
Wer war diese gottverdammte Person am Telefon? Wer macht sie so zerstreut? Es muss doch jemand sein, den sie kennt oder?
Frau Summer: "Die Zeit ist vorüber. Bringt eure Arbeit bitte zu mir nach vorne."
Mist! Ich habe mich so auf Frau Summer fixiert, dass ich Aufgabe 6 komplett vergessen habe. Na toll.
Da ist eine 4 ja schon vorprogrammiert. Meine Banknachbarin Ria nahm meinen Zettel mit nach vorne.
Die nächste Schulstunde verlief sehr ruhig. Wir mussten etwas im Musikbuch bearbeiten.
Sie schien nicht in der Lage zu sein, richtig zu unterrichten, denn wir hatten bisher noch nie mit dem Lehrbuch bei ihr gearbeitet.
Es klingelte endlich zum Schulschluss.
Frau Summer wischte die Tafel, während alle ihre Sachen einpackten und mit einem freundlichen
'Auf Wiedersehen' den Raum verließen. Ich jedoch blieb absichtlich als Letzte im Raum. Ich stand neben ihrem Pult und wartete darauf, dass sie sich endlich zu mir umdreht.
Als sie das auch tat, blieb sie überrascht vor mir stehen.
"Ja Milena?"
Sie wirkte sichtlich verwirrt darüber, dass ich hier vor ihr stand.
Mit einem selbstsicheren, bohrenden Blick direkt in ihre blauen Augen fragte ich: "Geht es Ihnen gut Frau Summer?"
Sie steht nun völlig unbeholfen, zerstreut und nervös wie ein Schluck Wasser dort und mustert mich.
"Ja. Ja, es geht mir gut. Warum fragst du?"
Ich spüre, dass sie sich unter meinem bohrenden Blick in ihre Augen, unwohl fühlt.
"Das glaube ich Ihnen nicht. Wenn Sie über etwas oder jemanden reden möchten, dann höre ich Ihnen gern zu."
Damit ging ich einfach aus dem Raum. Ich mache mir einfach Sorgen um Leyla. Ich muss unbedingt herausfinden, was oder wer sie so beschäftigt.
Allein fuhr ich mit dem Bus nach Hause. Den Rest des Tages machte ich nur noch Hausaufgaben, hörte Musik, machte Tee für Leonie und verschlang drei DVDs am Stück.
Die Zeit verging wie im Flug und ich ging auch schon nach dem Abendessen und Zähneputzen ins Bett. Ich hoffe, dass es Frau Summer morgen besser geht.
Mein Schlaf in dieser Nacht war unruhig und ich wachte permanent auf. Da ich um 5 Uhr nachts nicht mehr einschlafen konnte, blieb ich einfach wach. Um 6 Uhr stieg ich mühselig aus dem Bett und machte mich fertig. Ich schaute angezogen in den Badezimmerspiegel.
Meine Augenringe waren groß und ich sehe so schwach und kraftlos aus.
Eine lebende Leiche, wie ich immer sage. Da meine Eltern ja freitags früher Feierabend haben, sind sie schon auf Arbeit. Leonie kann ausschlafen. Ich bin also wieder allein. Ich füllte mir ein großes Schälchen Zimtcornflakes auf und aß danach eine Banane. Ich schmierte mir ein paar Stullen mit Salami und packte sie ein. Da ich noch einige Minuten hatte, schnappte ich mir mein Handy und checkte WhatsApp und Facebook ab. Nur in WhatsApp hatte ich zwei Nachrichten von Samira: Guten Morgen Süße.
Noch heute und dann ist endlich Wochenende. Hast du schon was vor?
Ich las ihre Nachricht, antwortete aber nicht. Dazu hatte ich jetzt keine Lust. Meinen Rucksack schmiss ich auf den Rücken, packte das Handy in meine Hosentasche und lief langsam zur Bushaltestelle. Dort wartete ich noch etwa 10 Minuten, bis der Schulbus kam. Nach der Fahrt trottete ich müde zum Matheraum.
Herr Schwiegers Unterricht war wie immer angenehm. Jedoch hatte ich sichtlich Mühe, ihm zu folgen und meine Augen offen zu halten.
Endlich klingelte es zur kleinen Pause und ich musste mich nicht mehr bemühen, wach zu bleiben.
Vielleicht tut mir die frische Luft und eine Stulle ja ganz gut. Ich schaute mich um. Hätte Frau Summer heute nicht Schulaufsicht in beiden Pausen?
Komisch. Frau Rose hatte gerade Aufsicht. Ich ging wieder rein in
die 1. Etage und schaute mir den Vertretungsplan an. Meine Augen weiteten sich. Die 10b hat heute Sportausfall. Frau Summer hat sich heute krank gemeldet?
Von wegen, es geht ihr gut!
Da muss ja noch mehr hinter dem Telefonat gestern stecken, als ich annahm. Ich wurde schon wieder wütend und ging schlecht gelaunt zu Chemie. Samira fragte mich immerzu, was los sei, doch ich blockte einfach ab. Wir schauten die ganze Stunde eine Doku über Metalle und mussten uns Notizen dazu machen.
Jetzt nur noch Englisch. Angespannt schmiss ich meine Schultasche auf den Boden und wartete, bis der letzte Block beginnt. Frau Berndt kam herein und plumpste sofort auf ihren Platz. Sie hat mir gerade noch gefehlt.
Wir bekamen heute unsere Klassenarbeit wieder. Wie jedes Mal müssen wir extra nach vorne kommen und uns diese abholen.
Ich ahnte ja nichts Gutes.
Nachdem ich aufgerufen wurde, setzte ich mich hin und schaute mir meine Arbeit an. Eine 4.
Ich schaute mir alles durch und zählte nach. Das ist niemals die Note 4.
Innerlich kochte ich, doch ich fragte leicht ironisch vom Platz aus:
"Haben Sie sich nicht verzählt Frau Berndt?"
Sie lachte einfach gespielt.
"Fängst du schon wieder damit an. Das tut mir aber sehr leid, dass du als Einzigste von allen eine 4 hast.
Dann lerne doch einfach mal statt deine Zeit mit irgendeinem Humbug zu verplempern."
Stellt sie mich jetzt etwa für dumm dar?! Das war definitiv zu viel.
Mir platzte gewaltig der Kragen.
Ich haute mit voller Wucht laut auf den Tisch und alle starrten mich an.
"Was bilden Sie blöde Kuh sich denn bitte ein?! Sitzen mit ihrem fetten, faulen Arsch nur da, statt richtig Unterricht zu machen! Sie haben nicht das Recht, sich Einbildungen über mein Privatleben zu machen.
Es macht Ihnen wohl Spaß, die Oberqueen zu spielen und andere unfair zu behandeln, haben aber lediglich ein Erbsenhirn!
Ich habe im Gegensatz zu Ihnen wenigstens Freunde und ein Privatleben. Ich fresse mich auch nicht durch ganz Nirvana!"
Das hat gesessen. Meine Klasse blickte geschockt zu mir. Samira hielt fassungslos die Hand vor dem Mund.
Ich brodelte vor Wut. Frau Berndt stand auf und schrie mich an:
"Sofort zur Direktorin! Die Klassenarbeit gibst du mir auf der Stelle wieder!"
"Nein, die behalte ich! Und vielen Dank, dass ich mir Ihren scheiß behinderten Unterricht heute mal nicht reinpfeifen muss!"
Sie kam mir näher.
"Gib mir sofort die Arbeit!", schrie sie.
"Nope. Haben Sie wohl doch etwas zu verbergen was?"
"Gib mir die Arbeit, sonst..."
"Sonst was?"
Ich lächelte frech und ging an ihr vorbei zur Direktorin.
Ich werde meine Klassenarbeit nächste Woche Frau Neumann zeigen, dann werden wir ja sehen, ob die 4 wirklich berechtigt ist.
Frau Rose blieb ruhig, als ich ihr alles genau schilderte. Sie kannte mich und ich würde niemals grundlos so reagieren.
Frau Rose: "Gut Milena, ich werde Frau Neumann deine Arbeit zur Überprüfung auf deine Bitte hin aushändigen. Trotzdem wird dein Verhalten ein Nachsitzen und das Besprechen mit deinen Eltern auf sich ziehen. Sollte sich dein Vorwurf wegen Frau Berndt bestätigen, werde ich sie im Auge behalten.
Da ich jetzt jedoch einen dringenden Termin habe, muss ich dein Nachsitzen auf nächste Woche verlegen. Ich werde mir noch Frau Berndts Sicht anhören und dann sehen wir weiter. Ich wünsche dir ein schönes, entspanntes Wochenende Milena."
Ich bedankte mich. Zwar hatte ich wirklich keine Lust darauf, dass meine Eltern davon Wind bekommen, aber was sein muss, muss sein.
Das war heute leider noch nicht das nervenaufreibenste, das mich an diesem Tag erwarten würde.

Die neue Lehrerin [girlxgirl] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt