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Ich habe kein Problem damit früh aufzustehen. Allerdings kann man von mir nicht verlangen, dass ich mir schon in der Früh die Gedanken der anderen anhören soll. Das ist mein Befürchten als Hanna in mein Zimmer gestürmt kommt und einfach auf mein Bett springt und mir dabei zusieht, wie ich mich für die Schule herrichte.

"Du siehst sehr hübsch aus", sagt sie mit einem Lächeln im Gesicht. Ich zeige keine Reaktion, da ich sie nicht anschaue. Hanna hat es noch nicht so raus, dass sie darauf achten muss, dass ich ihre Lippen lesen kann, damit ich sie verstehe. Jedoch wirkt es auch gar nicht so, als wäre es ihr wichtig. Sie sagt die Dinge nicht, weil sie eine Antwort erwartet. Sie will einfach nur Zeit mit mir verbringen. Zumindest hat sie mir das mal gesagt.

"Ich hoffe meine Haare bleiben auch so lang wie deine. Mum will sie abschneiden, weil es manchmal beim kämmen weh tut" Sie lässt die Füße über das Bett fallen und schaukelt sie hin und her.

Hanna hat wirklich viele und vor allem volle Haare für eine 8-jährige. Aber sie sehen wunderschön aus. Es wäre traurig, wenn Tessa sie wirklich abschneiden lässt. Hanna hat nämlich die schönsten goldenen Locken, die man sich bei einem kleinen Mädchen vorstellen kann. Tessa legt viel Wert auf ein gepflegtes Äußeres, deswegen sieht ihre kleine Tochter auch immer aus, wie eine kleine Prinzessin. Nur verhält sie sich nicht immer so. Ihre Vorlieben haben nichts mit dem einer Prinzessin zu tun. Barbies interessieren sie nicht und die Farbe Pink konnte sie noch nicht ausstehen.

"Papa hat gesagt, dass wir am Wochenende zu Oma Nola fahren. Ich freu mich jetzt schon auf ihre Cookies. Mhm!" Hanna strahlt übers ganze Gesicht bei dem Gedanken an die Cookies. Oma Nola's Cookies sind aber auch wirklich gut. Ich habe sie zwar nur einmal gegessen aber sie waren die Besten, die ich je hatte.

Ich fahre ein letztes Mal durch meine Haare, als mein Handy in meiner Hosentasche plötzlich vibriert. Als ich es raushole, springt Hanna vom Bett und verlässt das Zimmer auch wieder. Ich sehe ihr kurz nach, doch schaue dann auf die Nachricht, die ich bekommen habe. Es ist von Davis.

Davis: Ich warte vor der Tür auf dich.

Wie darf ich das verstehen? Verwirrt schreibe ich zurück.

Elisha: Vor welcher Tür?!

Davis: Vor deiner. Wir fahren zusammen in die Schule ;)

Ach, tun wir das? Macht man das so unter Freunden? Wieso hat er mir nicht früher Bescheid gegeben? Ich schmeiße meine wichtigsten Schulsachen in meinen Rucksack und werfe mir den über die Schulter. Es wird wohl dauern, bis ich mich an diese Änderung in meinem Leben gewohnt habe. Ich habe eigentlich kein Problem damit zu Fuß zur Schule zu gehen. Schließlich ist sie nicht so weit weg. Wird mich Davis jetzt jeden Morgen abholen?

Nachdem ich mich von den Anderen im Haus durch ein Winken verabschiedet habe schlüpfe ich in meine Schuhe und gehe raus. Davis' Auto steht direkt am Straßenrand. Der Motor ist an und sein Fenster nach unten gekurbelt. Sein linker Arm hängt aus dem Fenster, als er mich dann an der Tür entdeckt. Er lächelt freundlich und ich gehe auf das Auto zu und steige ein.

"Guten Morgen", grüßt er mich. Ich lächele kurz und schnalle mich gleich an. Es dauert tatsächlich nicht länger als sieben Minuten, bis wir in der Schule sind. Es ist unnötig dafür Gas zu verschwenden.

Davis parkt auf dem Parkplatz der Schule. Wir steigen beide aus. Er wartet bis ich auf seiner Seite ankomme und dann gehen wir gemeinsam in die Schule. Ich spüre die Blicke von ein paar Schülern auf uns. Ich denke mir die ganze Zeit, dass Davis sich doch komisch vorkommen muss. Mir ist das egal. Ich bin ja taubstumm für alle. Aber er ist Derjenige, der mit dem taubstummen Mädchen zusammen in die Schule kommt. Die anderen werden - genau so wie ich - nicht verstehen, warum er sich mit mir abgibt, wenn er doch nichts von mir hat. Ist ihm das egal?

Stumme Gedanken {Leseprobe}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt