Ich hatte nie ein schlechtes Gewissen, weil die Leute denken, dass ich taubstumm bin. Auch wenn sie Mitleid mit mir zeigen, fühle ich mich nicht schlecht. Ich habe kein Mitleid mit mir. Ich habe mir vor Jahren einen Weg ausgesucht, der mir das Leben vereinfacht hat. Wenn man nicht hören und sprechen kann - oder in meinem Fall es einfach nicht tut - dann kriegt man so viel anderes mit. Ich fühle mich nicht verpflichtet dazu, den Menschen um mich herum deutlich zu machen, dass ich sie sehr wohl verstehen kann. Es gab nie einen Grund dazu.Ich sitze im Garten und zeichne den Kirschbaum ab, der sich in der Mitte befindet. Unser Garten ist sehr groß und schön. Tessa und Gaven sehr sind wohlhabende Menschen aber nicht auf die arrogante Art. Sie besitzen noch ein Herz und setzten es auch ein. Deswegen haben sie ja auch mich aufgenommen.
"Da ist sie ja", höre ich die Stimme meines Pflegevaters plötzlich sagen. Ich drehe mich nicht um, doch weiß, dass er an der Terrassentür stehen muss.
"Sie ist wirklich ein besonderes Kind", spricht Tessa plötzlich. Dann stehen sie wohl beide hinter mir und beobachten mich. Ihre Bemerkung lässt mich regungslos. Alle Kinder sind besonders auf ihre eigene Art.
"Ja, das ist sie", stimmt Gaven ihr zu. "Und talentiert. Sieh dir das Bild mal an."
Ich versuche mich von ihrem Gerede nicht durcheinander bringen zu lassen und schaffe es auch. Schließlich habe ich jahrelange Übung darin. Irgendwann beschließt Tessa wieder ins Haus zu gehen. Gaven dagegen kommt zu mir in den Garten. Er setzt sich auf den Gartenstuhl neben mir. Erst da erhebe ich den Blick und sehe ihn kurz an, einfach um zu zeigen, dass ich bemerkt habe, dass er da ist. Er lächelt mich liebevoll an und hält mir den Daumen hoch, als er gleichzeitig auf meine Zeichnung deutet. Ich lächele höflich zurück und wende mich wieder von ihm ab. Aus den Augenwinkeln kann ich sehen, dass Gaven sich in den Stuhl zurücklehnt und in den Himmel starrt. Ich weiß, was das heißt.
"Meine Mutter hat mich heute angerufen", fängt er an zu erzählen. "Meinem Vater geht es wohl nicht gut und sie wollte, dass ich mit ihm rede. Aber ich konnte es nicht über mich bringen."
Gaven erzählt mir öfters von seinem Tag und wie er sich bei bestimmten Dingen fühlt. Es stört mich nicht, denn anscheinend muss er es irgendwo rauslassen. Mit seiner Frau darüber zu reden, kommt ihm wohl nicht in den Sinn. Ich weiß auch wieso. Er hat mir mal erzählt, dass es ihn belastet, wenn man ihn als schwach und zu emotional sieht. Deswegen zeigt er seine negativen Gefühle auch nicht. Trauer ist eines dieser negativen Gefühle.
"Ich kann ihm einfach nicht verzeihen, dass er nicht zu meiner Hochzeit erschienen ist. Ja, das ist inzwischen vier Jahre her aber es hat sich ja nichts geändert. Bei Hanna's Geburtstagen war er auch nie da. Und sie ist seine Enkelin. Er ist immer nur am trinken und nicht einmal meine Mutter ist ihm wichtig. Es wundert mich nicht, dass er jetzt krank ist, bei so vielem Alkohol." Er lässt einen traurigen Seufzer raus. Es belastet ihn, dass sich die Beziehung zu seinem Vater noch nicht gebessert hat. Ich weiß von meinem Pflegegroßvater nicht viel. Ich habe ihn noch nicht einmal gesehen. Obwohl Tessa und Gaven die Beziehungen zur Familie pflegen, ist die Beziehung zu Gaven's Vater eine schwierige und das erzählt er nur mir so detailliert. Ich höre ihm zu, doch wie jedes andere Mal auch, zeige ich das nicht.
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Ich bin froh, als ich in die Turnhalle trete und der Coach nirgends zu sehen ist. Seine Blicke auf mir sind nun das Letzte, das ich will. Alle machen wieder dort weiter, wo sie gestern aufgehört haben. Diesmal entdecke ich auch Brooklyn und Davis. Die Zwillinge Tara und Lynn sind auch da. Es helfen heute mehr Schüler mit als gestern. Es kommt mir so vor, als ob sie das als eine Art Jugendtreff sehen, denn sie machen nur Blödsinn.
Ich konzentriere mich auf meine Leinwand und ignoriere die Jugendlichen um mich herum. Hin und wieder ist lautes Gelächter zu hören, doch ich drehe mich nicht danach. Ich weiß auch so, dass es das Lachen von der Queen ist. Zumindest sieht sie jeder so. Unser Cheerleader Sternchen, die mit dem Namen Claire angesprochen wird. Sie und Brooklyn sind ein Paar, was vorher zu sehen war, schließlich müssen sie das Klischee des Footballers und der Cheerleaderin erfüllen.

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Stumme Gedanken {Leseprobe}
Ficção Adolescente______________________ Elisha kann weder sprechen noch hören. Naja, eigentlich kann sie es. Aber sie tut es nun mal nicht. Deswegen denken alle, dass sie taubstumm ist. Und weil sie taubstumm ist, kann man ihr die tiefsten Geheimnisse erzählen, de...