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Harry

"Harry, kannst du bitte den Tisch decken? Helena, Allie und Mason kommen in fünf Minuten."

Ich sah von meinem Drehbuch auf. Meine Frau lehnte am Türrahmen und sah mich fragend an.

"Heute schon?", fragte ich überrascht. Ich hätte schwören können, dass sie erst morgen kommen würden.

"Natürlich, glaubst du wirklich, ich stell mich freiwillig um sieben Uhr morgens in die Küche, obwohl ich noch hätte schlafen können?"

"Wir hätten auch noch etwas anderes machen können", bemerkte ich und wackelte mit den Augenbrauen.

Sie lachte. "Vielleicht morgen. Aber jetzt husch, deck den Tisch, während ich noch den Salat fertig mache."

"Gerade eben hast du mich noch gefragt", murmelte ich und schmollte.

"Ach mein armes Cupcake", kicherte sie und gab mir einen Kuss auf meine Nase. Blitzschnell schlang ich meine Arme um ihre Hüften, zog sie an mich und küsste sie stürmisch. Ihre weichen Lippen schmeckten leicht nach Himbeeren, ihren Lieblingsfrüchten.

Sie lächelte leicht und legte ihre Hände um meinen Nacken.

Die Türklingel war es, die unseren Moment störte. Wir sahen uns an und ich wuschelte noch einmal durch meine Haare und sprintete die Treppen hinunter, um aufzumachen. T war wahrscheinlich noch oben, ihre Klamotten richten und das Make-Up auffrischen. Unsere Kinder sollten ja nichts Unartiges von uns denken.

Vor der Tür stand Mason, das Nesthäkchen der Familie. Seine schwarzen Locken standen wild in alle Richtungen ab und obwohl er versucht hatte, einigermaßen ordentlich auszusehen, war seine Jeans mit Farbe bekleckert und sein ehemalig weißes Shirt hatte die besten Tage auch schon hinter sich.

Doch er war nicht allein gekommen. Neben ihm stand eine junge Frau, schätzungsweise zweiundzwanzig. Ihre glatten braunen Haare waren in einem Pferdeschwanz gebunden, sie trug eine einfache Jeans und ein schwarzes Top mit einer offenen weißen Bluse darüber. Sie wirkte ziemlich nervös, genauso wie Mase.

"Hey Dad", begrüßte er mich mit leicht zitternder Stimme. Er nahm die Hand der Frau neben ihm. "Dad, das ist meine Freundin Leyla."

"Und ich dachte schon, du wirst auf ewig Single sein", sagte ich erleichtert und schloss die beiden in eine Umarmung.

"Hey, wenn dann versauern Hel und Al", protestierte mein Sohn.

"Wie auch immer, kommt doch rein."

Ich hielt die Tür auf und die beiden traten ein. Aus dem Augenwinkel merkte ich, dass Mase ihre Hand nicht losgelassen hatte und musste unwirklich lächeln.

Thalia kam die Treppe hinuntergesprungen, als sie die Stimme ihres Sohnes gehört hatte. Auf der letzten Stufe blieb sie wie angewurzelt stehen. Ich konnte sie nur anstarren. Ihr schwarzes Kleid reizte mich und ich wollte es ihr vom Leib reißen. Aber Mase war hier und wir würden später sicherlich noch genug Zeit dafür finden. 

"Ähm... Ja?" Er lief zartrosa an. Wahrscheinlich hatte sie ihn gefragt, ob das seine Freundin war, während ich sie angestarrt hatte. Meine Frau gab ein für sie untypisches Quieken von sich und umarmte Leyla, die ziemlich überrascht wirkte und zögerlich ihre Arme um sie legte. "Jungs, ihr zieht den Tisch aus, ich muss meine zukünftige Schwiegertochter ausquetschen. Und zwar über jedes Detail." Sie grinste teuflisch.

Mase konnte nicht protestieren, da hatte T auch schon Leylas Hand gepackt und die Treppen hochgezogen.

Wir beide deckten gerade den Tisch (oder versuchten es zumindest), als wir zwei Motorräder hörten. "Das werden die Zwillinge sein", sagten wir beide wie aus einem Mund und lachten dann. Gemeinsam schlenderten wir zur Haustür und machten meinen Töchtern auf. Hel schüttelte ihre langen rabenschwarze Haare aus, nachdem sie von dem Helm befreit hatte und lief dann strahlend auf uns zu, während Allie noch mit Helm auf uns zusprang und uns drückte. Ich knuddelte meine älteste Tochter Hel. Sie arbeitete zusammen mit ihrer Schwester als Model und schrieb nebenbei an Romanen, Al machte Ballett. Es hatte uns alle gewundert, als Al damals unbedingt Ballettunterricht haben wollte, denn es war eher ein eleganter Sport und Al war von Eleganz weit entfernt. Als kleines Kind war immer sie es, die gestolpert oder ausgerutscht ist. Doch sie hatte sich durchgesetzt und drehte jetzt bei kleineren Vorstellungen ihre Pirouetten. 

"Dad, du kannst mich wieder loslassen", lachte sie. "Ich will auch noch den Kleinen knuddeln."

Al warf sich gegen ihre Schwester und umarmte mich so halb. Sie grinste mich an. 

"Ich bin nicht klein!", protestierte Mason, aber wir sahen alle, dass er das war. Seine Schwestern und ich überragten ihn um mindestens zehn Zentimeter. 

"Du hast übrigens Farbe auf deiner Hose, Kleiner", sagte Hel. 

"Oh. Ups", machte er nur, sah aber nicht so aus, als würde es ihn stören. "Wo ist Mum?"

"Leyla ausquetschen", antwortete ich. "Könnt ihr den Tisch decken? Wir kriegen das nicht so hin."

"Leyla? Er hat eine Freundin?", fragte Allie, blinzelte überrascht und ignorierte meine Frage.

"Ja, hat er", seufzte Mase. 

"Ich muss sie kennenlernen." Sofort rannte Allie die Treppen hoch und verschwand in Mase' altem Zimmer, während Hel nur lachte. 


Als meine Frau, Allie und Leyla zu uns ins Esszimmer stießen, hatte Hel den Tisch umgedeckt und der Braten stand auf dem Tisch. "Hallo", begrüßte Hel Leyla, die fast sofort eine ebenso distanzierte Art an den Tag - wohl er Abend - legte. Allie, Mase und T warfen ihr einen warnenden Blick zu. Hel hatte schon oft Freunde und Freundinnen ihrer Geschwister durch ihre kühle Art Fremden gegenüber vergrault. 

Es war klar, dass alle Leyla mochten, weshalb sie Hel zu verstehen gaben, dass sie sich benehmen sollte. Doch ich kannte meine Tochter gut genug, dass sie das als Anreiz nahm, noch eine Schippe auf ihr übliches Verhalten draufzulegen. In der Beziehung ähnelte sie mir sehr. 

Allie trieb das Gespräch voran und langsam schien auch Leyla sich wieder zu lockern. Hel, die schon den ganzen Abend lang die Freundin von Mase beobachtet hatte, entging das natürlich nicht. "Mase?", fragte sie schon fast wieder überfreundlich. 

"Ja?" Eindeutig misstrauisch starrte mein Sohn seine Schwester an. 

"Macht sie dich glücklich?" Sofort knurrte Allie leise und versetzte ihrem Zwilling einen Stoß. 

"Ja, tut sie, warum fragst du?" 

Hel ignorierte seine Frage und richtete ihre eisblauen Augen auf Leyla. "Liebst du ihn?"

"Wenn ich das nicht tun würde, hätte ich dir schon längst den Braten über deinen Pulli gekippt und dir ein Glas gegen den Kopf geworfen", sagte sie kühl. Huh, warum klang ihre Stimme auf einmal so bestimmt? Den ganzen Abend lang hatte sie ziemlich unsicher gewirkt.

Man hätte in diesem Moment eine zu Boden fallende Stecknadel hören können. Jeder wartete gespannt auf Hels Reaktion. 

Diese fing jedoch an zu lachen und kriegte sich nicht mehr ein. 

Leyla blickte leicht verwirrt drein, so wie der Rest am Tisch. 

Als sich meine Älteste wieder beruhigt hatte, sagte sie zu Leyla. "Entschuldige mein Verhalten. Ich will nur nicht, dass meine Geschwister verletzt werden. Herzlich Willkommen in der Familie!"

"Sie würde mich nicht verletzen", sagte Mase überzeugt. 

Hel zuckte mit den Schultern. "Vorsicht ist besser."

Nach dem anfänglichen holprigen Start in das Essen wurde es doch noch schön. Wir lachten viel und schauten später noch einen Film. 

Gegen Mitternacht verabschiedeten sich unsere Kinder und Leyla wieder von uns und es kehrte Stille im Haus ein. 

"Nur noch aufräumen und dann ins Bett", seufzte T und fuhr sich durch die Haare. 

Ich wackelte mit den Augenbrauen. "Das dreckige Geschirr läuft uns nicht davon, T. Stattdessen könnte ich dir endlich dein Kleid ausziehen."



[19. Juni 2016]

Reise in die VergangenheitWhere stories live. Discover now