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Noah

Einzelne Sonnenstrahlen tanzen auf der spiegelglatten Oberfläche des Wassers, benutzen sie als ihre Bühne. Sie verlieren sich in ihrem Tanz, in ihren Mustern, drehen tausend hauchzarte Pirouetten nacheinander und beleuchten das weite Nass um mich herum. Es sieht aus, als wäre ich in einem pompösen Kronleuchter gefangen.

Dieser Augenblick ist so wunderschön und unberührt, dass man meinen könnte, es sei ein Gemälde, gezeichnet von purer Perfektion.

Es ist so friedlich.

So friedlich, dass ich mich kaum traue zu atmen.

Kann ich überhaupt noch atmen?

Sterbe ich?

Lebe ich?

Vielleicht ist das hier der Tod, der gerade dabei ist, mich in ein neues Universum zu führen. In ein Besseres.

Die tonnenschwere Last, die meine Knochen all die Jahre zum Brechen gebracht hat, ist nun fort. Der ganze Schmerz, jede Träne, jeder Schrei - Alles so unwichtig, vollkommen unbedeutend.

Denn da ist keine Stimme mehr in meinem Kopf.

Denn da ist kein Herzschlag mehr in meiner Brust.

Da ist nur diese plötzliche Leichtigkeit, als könne ich fliegen, diesen blauen Erdball verlassen und zu einem kleinen Stück Unendlichkeit werden.

Jetzt, in diesem Augenblick, existiere ich zwischen Wärme und Kälte, Schatten und Licht, Leben und Tod.

Ich lasse los.

Und obwohl ich gerade dabei bin, das letzte bisschen Leben in mir auszuhauchen, habe ich mich noch nie so lebendig gefühlt.

Denn es ist vorbei.

Endlich.

Wäre da nicht dieser eine Stich, der wie ein Blitz; Wie eine verdammte Naturgewalt durch meinen Körper fährt.

Und noch einer.

Und noch einer.

Und noch einer.

Sämtliche Impulse schießen durch meinen Schädel, durch meine Arme und Beine. Ich spüre, wie sich die unzähligen Synapsen in meinem tumorzerfressenen Hirn wieder aktivieren. Meine Lungen erblühen wegen dem plötzlichen Sauerstoff in meinen Atemwegen, so wie die Wildblumen es jedes Jahr zur Frühlingszeit tun.

Der Wind wispert mir zu, es sei ein kleines Verbrechen.

Die Muskeln in meinem Bauch spannen sich an, immer weiter, immer stärker. Meine Haut scheint unter dieser enormen Spannung beinahe zu reißen, als wäre sie nicht mehr als billiger Stoff.

Das Wasser um mich herum wird heller. So unglaublich hell, als wäre die Sonne zu flüssigem Gold geworden und in den Ozean geflossen.

Und ich entgleite gerade daraus.

Ich werde dem Frieden entrissen.

Ich will nicht.

Grelles Weiß blendet meine Augen, durchströmt meine Adern.

Meine Seele, so dunkel wie Tinte, sie klammert sich an die Ruhe, kann sich nicht lösen.

ICHWILLNICHTICHWILLNICHTICHWILLNICHT

Ich ertrinke.

So wie sie.

Nur ertrinke ich an dem Leben.

An dem Leben, das mir gerade erneut geschenkt wird.

An dem Leben, dass ich gar nicht will.

Und irgendwo, zwischen dem Bersten meiner Rippen und meinem ersten Atemzug, kommt der Gedanke wieder, der die Quelle meines Schmerzes ist.

Mia.

NamelessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt