nameless

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Noah

Schwarze, weiße, grüne Punkte tanzen in meinem Sichtfeld, versuchen mir mein Bewusstsein zu rauben. Alles flimmert, kratzt und beißt. Es ist bunt, doch zugleich nichts weiter als Schwärze. Sie ist zäh, färbt meine Seele dunkel, ja, fast so dunkel wie diese Nacht, lässt mich innerlich sterben und dann ist da dieser Schrei. Mein Schrei. Ohrenbetäubend laut und voller aufrichtiger Verzweiflung, dass es mir Tränen in die Augen treibt.

Sie rinnen mir wie zügellose Stromschnellen über die Wangen, benetzen meine Lippen mit ihrem widerlichen Salz.

Meine Sicht klart für einen winzigen Moment auf und ich sehe Mia.
Mia, wie sie zerfällt. Wie sie verblasst.

Und jede einzelne Sekunde, in der ihre starken Augen und die Sommersprossen schwächer werden, ist mehr, als ich ertragen kann.

Mein Herz bricht. Es zerberstet und die Einzelteile fressen sich durch meine Innereien, wollen mich bezwingen.

Und dann ist sie weg.

Mia ist weg und mir wird übel.

Sie ist weg und ich beuge mich vor, um mich zu übergeben.

Mein Magen krampft, während sich die Nerven in meinem gesamten Körper zusammenziehen. Sie steuern meine Bewegungen, als wäre ich die Marionette und sie die Seile die mich leiten. Kieselsteine bohren sich in mein Fleisch, als die Beine wie dürre Zahnstocher einknicken, meinem Gewicht erliegen und ich mit den Knien auf den rauen Asphalt in mein Erbrochenes stürze, den Blick jedoch immernoch auf die Stelle richte, an der Mia nicht mehr steht.

An der sie nie stand.

„Mia."

Ihr Name. Sie hat ihn so sehr gehasst. Mit jeder Faser ihres Körpers verabscheut.

Unwillkürlich blitzt eine Erinnerung von ihr vor meinen Augen auf. Wie sie damals ihre von Sommersprossen übersäte Nase gekräuselt und die vollen Lippen zusammengepresst hat,  ihre bleiche Haut gerötet von den billionen Tränen war und sie mir von ihrem Wunsch erzählt hat, keinen Namen mehr zu tragen.

„Mein Name bedeutet all das, was ich nicht bin. All das, was ich gerne wäre, aber nie sein werde."

Sie wollte namenlos sein.

„Er ist einer der vielen Gründe, warum ich mich selbst hasse."

Sie wollte so vieles.

Gänsehaut breitet sich auf meinen Armen aus, als mein Schrei von den gigantischen Felsen im Wasser widerhallt und die heißen Tränen sich in mein T-Shirt beißen.

Ich habe ihre Gedanken gehört, gespürt was sie gefühlt hat.

Es war nicht echt.

Nicht real.

Halluzination.

Ich sehe zum Horizont, erkenne die blauen, orangen und rosanen Farbpigmente, die sich langsam zu einer endlosen Masse verdichten und den Himmel in ein prächtiges Farbenmeer tauchen.

„Das hier ist nicht mehr meine Geschichte, sondern deine."

Das Blau erinnert mich an die Farbe meiner Pillen und gleichzeitig an ihre Augen. Das Orange an das Feuer in ihrem Herzen und Rosa an die sanfte Röte auf ihren blassen Wangen.  

NamelessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt