Kapitel 4.

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Ich sitze noch weitere 5 min auf dem Sofa und starre an die Stelle, an der sie verschwunden ist. Meine Gedanken sind sichtlich verwirrt. Wer war dieses Mädchen? Es kommt nur selten vor, dass mein Hirn in Gegenwart von anderen die Arbeit schlicht verweigert. Und die Gedanken an die letzte Person, bei der mein Kopf eben so gehandelt hat, versuche ich, mehr oder weniger, erfolgreich, zu verdrängen.

Stopp. Ich schüttle den Kopf um die Gedanken zu verscheuchen, stehe auf und räume die Bücher zurück auf ihre Plätze. Nur eins bleibt in meiner Hand. Ein Buch mit einem grünen Cover und einem Mädchen, das die Arme ausbreitet, als könne sie fliegen. Der Märchenerzähler.

Mit ihm in der einen Hand und der Bücherliste in der Anderen, beginne ich mein eigentliches Vorhaben. Nach 10 min habe ich fast alle Bücher gefunden, einige muss ich bestellen. Doch laut dem freundlichem Verkäufer, kann ich sie schon am nächsten Tag abholen. Ich muss zugeben: die Großstadt hat schon so ihre Vorteile.

Als ich an den Kassen vorbei bin, registriere ich beim ersten Blick auf mein Handy wie spät es mittlerweile ist - 13 Uhr. Ich war tatsächlich 3 Stunden in Hugendubel. So viel zum Thema, ich will Menschenmassen vermeiden. Denn der Platz, der bei meiner Ankunft noch leer gewesen ist, ähnelt inzwischen einem überfülltem Spielplatz. Tausend Menschen schlendern umher, quatschen, hören Musik, telefonieren.

Ich beschließe, dass das genug Stadt für einen Tag war und mache ich auf den Rückweg. Das Auto finde ich, nach einigen Anläufen und eine halbe Stunde später parke ich vor unserem Hexenhaus. Meinen  Bücherstapel räume ich in mein Zimmer und gehe zurück in die Küche. Ich hab Hunger. Ingrid ist noch nicht zuhause. Und da ich keine Ahnung habe, was sie heute machen wollte, beschließe ich Essen zumachen. Nach einer ausführlichen Internetrecherche beschließe ich das gleiche zu kochen wie immer. Curry. Das praktische an diesem Rezept ist, dass man im Grunde alles rein machen kann, was da ist und was schmeckt. Bei meiner Suche durch die Küchenschränke entdecke ich Tomaten, Aubergine, Paprika, Zucchini und Brokkoli. Erleichtert finde ich hinter einen Marmeladenglas auch noch Currypulver. Zufrieden stelle ich fest, dass ich noch nicht mal einkaufen muss. Glück gehabt, Marie. 

Bevor ich mit dem kochen beginne hole ich meine Kopfhörer aus meinem Koffer. Ich lieb Musik, vor allem beim Kochen. Unschlüssig was ich hören will, durchsuche ich mein Handy und entscheide mich letztendlich auf meinen alltimefavorit Pvris. Während mir Lynn in Ohr singt, beginne ich das Gemüse zu schnipseln, die Zwiebeln anzubraten und setzte Reis auf. Innerhalb von wenigen Minuten riecht es im gesamten Haus köstlich. Ich stelle den Herd auf die kleinste Flamme und meinen Timer auf 20 Minuten.

Mit einem kalten Pfefferminitee setze ich mich auf die Terrasse und genieße die Sonnenstrahlen auf der Haut. Ich setze ich Kopfhörer ab und genieße die Stille.  Vom See aus kann ich die planschenden Kinder hören. Der Wind lässt die Blätter rauschen und ich beobachte einen kleinen Vogel, der im Gras herum hüpft. Er hält inne und scheint bemerkt zu haben, dass ich ihn beobachte. Plötzlich flattert er flüchtend hoch. Ich kann den Grund für seine Angst er nicht ausmachen, bis ich einen beißenden Geruch wahrnehme. Ich drehe mich um und sehe Rauch in der Küche.

Scheiße, den Reis habe ich komplett vergessen. Ich springe auf und renne zu dem qualmendem Topf. Mithilfe eines Handtuches schmeiße ich ihn etwas unsanft in die Spüle und stelle das Wasser an. Es zischt und dampft. Ich schnappe nach Luft, vor Hektik  hatte ich die Luft angehalten. Langsam beruhige ich mich wieder. Schon am zweiten Tag fast die Küche abgefackelt, das ist ja eine grandiose Statistik. Ich stelle das Wasser wieder aus und begutachte die Reste im Topf, einen riesigen, schwarzen Klumpen. Zu meinem Glück, kann man Curry auch ohne Reis essen. Dem Gemüse geht es ihm Topf noch gut. Ich stelle den Herd komplett ab und schmeiße die Überreste des Reises weg. Danach reiße ich alle Fenster auf, die ich finden kann um den Geruch zu vertreiben und beginne den Tisch auf der Terrasse zu decken. In diesem Moment höre ich Ingrid an der Tür.

„Marie, hier riechts aber gut, wusste gar nicht, dass du schon so früh wieder da sein wolltest."

Ich schmunzle. „Es ist doch schon 2."

„Was schon 2?"

„Ähm ja, was hast du denn eigentlich gemacht?"

„Ich war auf dem Markt. Eine Freundin von mir hat dort einen Stand, ich hab sie besucht und wollte gleich ein paar Sachen kaufen. Aber hab mich irgendwie verquatscht, und de Zeit vergessen."

Das überrascht mich irgendwie nicht. „Ich hab gekocht, Curry, wie können direkt essen. Ich hab auf der Terrasse gedeckt. Hast du Hunger?"

„Und wie, warte ich stell kurz mein Zeug ab und dann komm ich."

„Okay" Ich laufe zurück in die Küche, bringe den Topf raus und setze mich schon mal hin. Einige Minuten später, taucht meine Tante in einem bunten flatterndem Kleid auf  und setzt sich zu mir.

„Mh," murmelnd sie kauend, „Marie, das schmeckt so köstlich". Sie isst inzwischen ihren zweiten Teller. „Ich wusste gar nicht, dass du so gut kochen kannst."

„Du hättest mal den Reis sehen sollen. Er hat meine genialen Kochkünste nicht überlebt." Sie lacht. „ Ach, das ignorieren wir einfach mal. Wie war dein Einkauf?"

Ich erzähle ihr von meiner Parkplatz suche. „Aber ich habe fast alles gefunden. Einige Bücher hatten sie nicht, die muss ich morgen abholen." schließe ich meinen Bericht ab.

„Wenn du willst, kann ich dich morgen fahren, danach könnte ich dir ein paar Sehenswürdigkeiten zeigen. Wenn du da Lust drauf hast." Das Angebot klingt verlockend. Es ist deutlich entspannter nur auf dem Beifahrersitz zu sitzen, anstatt selbst  fahren zu müssen.

„Würdest du das machen?"

„Ja klar Marie, sonst hätte ich es dir wohl kaum angeboten."

„Dann freu ich mich drauf!" antworte ich. „Willst du noch was essen" frage ich, „sonst würde ich schon mal abräumen und in mein Zimmer gehen. Der Tag heute war doch etwas anstrengend und ich brauch Zeit für mich."

„Marie lass nur, ich räum gleich ab. Geh du ruhig und mach was du willst, du hast ja heut schon gekocht."

Dankbar sehe ich sie an. „Das ist sehr lieb von dir."

Ich nehme dennoch meinen Teller mit in die Küche und stelle ihn in die Spüle. In meinem Zimmer angekommen, öffne ich zunächst mein Dachfenster. Die Luft in meinem kleinen Raum hat sich, im Laufe des Tages, aufgewärmt und fühlt sich jetzt an, als würde ich in einem Pudding stehen, der draußen vergessen worden ist.  Durch das Fenster strömt nun frische, kühle Luft hinein. Ich gehe ins Bad und starre mich an. Meine Haare kleben an meinem Kopf, meine Wangen sind leicht gerötet. Jetzt verstehe ich, warum mich meine Tante mir die Arbeit abgenommen hat. Ich sehe fertig aus. So richtig fertig. Am liebsten würde ich jetzt schwimmen gehen. Aber am Nachmittag sind vermutlich noch zu viele Menschen am See, und ich wäre alles andere als ungestört. So beschließe ich dieses Vorhaben auf die späten Abendstunden zu verschieben und gehe zurück in mein Zimmer, wo ich mich aufs Bett lege. Mein Blick fällt auf meine Tasche, die ich, als ich  nach Hause gekommen bin, achtlos in die Ecke geworfen habe. Ich angle mit einem Fuß nach ihr, zu faul um aufzustehen, und ziehe sie so bist zu meinen Armen. Als ich sie öffne starrt mich das grüne Cover an. Ich erinnere mich an das Mädchen. An ihr Lachen.  An ihre Worte. An das Buch mit den weißen Titel.

Mich packt die Neugier. Ich will wissen, warum sie es mag. Und beginne an der Stelle weiter zu lesen, an der sie mich, noch einige Stunden zuvor, unterbrochen hat.

This girl. Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt