1. Kapitel

16 1 1
                                    

St. Thomas' Hospital, London 11:52Uhr
Langsam öffnete ich meine Augen. Ich sah die Umrisse einer Person. Warst du es Dad?

Ich hatte ihn nie kennengelernt, meine Mom hat mir immer verschwiegen wer er war. Sie meinte, der richtige Tag würde kommen, an dem ich bereit sei, es zu erfahren.

An letzte Nacht erinnerte ich mich sofort, jedes einzelne Detail kam wieder hoch und mir wurde schlecht.
Ich dachte erstmal nicht daran, wie es jetzt mit mir weiterging. Wahrscheinlich war ich zu überfordert, denn ich wusste ja noch nicht einmal, wo ich mich befand.

Doch dann wurde meine Sicht klar und die unbekannte Person trat ein Stück näher. "Hallo Chloe, ich bin Dr. Dracford." Dann machte er eine kurze Pause und fuhr langsam fort. "Du hattest gestern einen schweren Verkehrsunfall und hast dabei mehrere Prellungen und einen Bein-, sowie Armbruch erlitten."

Jetzt wurde mir bewusst, wo ich war. Mir stieg nämlich nun der bekannte Geruch in die Nase. Krankenhaus. Ja, das war nicht der erste Besuch hier, ich erinnerte mich an den ekelhaften Geruch, zeitweise roch es nach verfaultem Fisch und auch an die unbequemen Betten konnte ich mich erinnern. Früher habe ich mir öfters etwas gebrochen. Ich war kein einfaches Kind, das gebe ich zu. Als ich kleiner war, stellte man bei mir ADHS fest. Am Anfang gab es noch keine Probleme damit, doch dann kam ein Krankenhausbesuch nach dem anderen. Ich habe gerne draußen getobt, gerne auch etwas zu viel.
Irgendwann war es so schlimm, dass wir es behandeln ließen und mittlerweile hatte ich es unter Kontrolle.

Doch das war Vergangenheit. Was nun war, war wichtig. Mein Gedankenfluss unterbrach und ich stotterte vor mich hin:"Herr Doktor, wo ist meine Mom und was ist gestern Abend genau passiert?"
"Ehm", wieder machte er eine kurze Pause, "deine Mutter ist bei dem Unfall leider tödlich verunglückt, es tut mir leid."

Tränen stiegen mir in die Augen. Mein Herz fing an stark zu pochen und mein Atem stockte.

Der Arzt nahm meine Hand und sprach weiter:"Gestern, da ist euch ein entgegenkommendes Fahrzeug frontal rein gefahren. Der Fahrer des Autos war stark alkoholisiert. Deine Mutter konnte nichts dafür."

Eigentlich hätte ich nach diesen Sätzen wütend sein müssen, da meine Mom wegen so einem Idiot sterben musste, doch meine Trauer und Sehnsucht nach ihr war viel stärker.

"Aber bei wem soll ich für die nächsten Jahre leben, ich bin doch erst 15?", fragte ich schluchzend.
"Während du noch geschlafen hast, habe ich deine nächsten Verwandten kontaktiert und ich konnte etwas erreichen. Du wirst für die nächste Zeit bei deinen Großeltern unterkommen."

Meine Großeltern? Meine Mom und ich haben sie nie besucht. Sie fühlten sich immer viel zu gut für uns, denn sie waren reich und hatten eine große Villa. Und was hatten wir? -Nichts. Wir hatten nur eine kleine Wohnung am Rand von London. Mom war Angestellte in einem Supermarkt und verdiente nicht viel. Zu wenig für meine Großeltern.
Im Prinzip kenne ich sie auch nur von Fotos, mehr hatten sie nicht für uns übrig.

Plötzlich Dr. Dracford ließ meine Hand los, es schien mir, als wolle er den Raum verlassen. Ich konnte mir das mit meinen Großeltern nicht vorstellen, ich wollte das nicht so hinnehmen.

Er war schon dabei die Tür zu öffnen, doch dann rief ich ihm zu:"Dr. Dracford, ich..." Doch er unterbrach mich:"Bitte ruh dich aus, Chloe."
Anschließend schenkte er mir ein kurzes Lächeln und verließ den Raum, ohne ein weiteres Wort zu sagen.

Zwischen Schmerz und EinsamkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt