Stick To The Status Quo

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  Um die Recallliste hatte sich eine Menschentraube gebildet, in deren Mitte eine fassungslose Bibi und ein fassungsloser Julian standen. Geschockt starten sie auf die Namen für die möglichen Hauptpersonen und der erste Schock war gewesen, dass sie dort nicht als einzige standen, der zweite dann welche Namen dort mit ihnen standen.
„Die haben noch nicht mal vorgesungen!", empörte Bibi sich, während Julian der festen Überzeugung war, sie wären bei der versteckten Kamera gelandet.
Das halbe Basketballteam kam plötzlich um die Ecke, angezogen von dem Drama, was sich hier abspielte und um sich genau darüber lustig zu machen. Doch auch ihre Gesichtszüge entgleisten, als sie die Namen auf der Liste sahen und ein lautes „WAS?" schallte durch den Gang. Ungläubige Gesichtsausdrücke wurden ausgetauscht und jeder fragte sich, was in ihren Spielmacher gefahren war. Seit wann sang er? Und seit wann war er bereit sie so einfach im Stich zu lassen?

In der Cafeteria herrschte geschäftiges Treiben, doch die Stimmung war anders als sonst. Die Nachricht von ihrem Basketballstar als Sänger war mittlerweile zu allen durchgesickert und zog Auswirkungen nach sich. Denn plötzlich schienen sich die engen Rollen, in die sie sonst alle gepresst wurden, zu lösen und plötzlich erzählte jeder seine geheime Leidenschaft. Ein Sportler gestand, dass er gerne backte, eine der Streberinnen stand total auf Rockmusik und ein Skater spielte Cello. Sie erzählten es alle mit leuchtenden Augen und großer Begeisterung, mussten jedoch feststellen, dass der neue Wind wohl doch nicht ausgereicht hatte. Denn alles was sie zu hören bekamen war nur „Halt' dich an das, was du kannst." Und „Willst du keine Probleme befolge die Regeln."
Stegi kam schließlich mit Tobi in die Cafeteria und schon beim Eintreten merkte Stegi, dass etwas nicht stimmte.
„Hey, warum starren dich alle so an?", fragte er Tobi verwirrt. Dieser lachte und meinte: „Nicht mich." Stegi riss erschrocken seine Augen auf. „Mich? Etwa wegen des Recalls?"
„Klar, solche Dinge verbreiten sich hier wie ein Lauffeuer." Stegi merkte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Ihm machte das Singen überraschend viel Spaß und vor allem mit Tim zusammen war es einer der großartigsten Dinge in seinem neuen Leben, aber er war kein Mensch für die Öffentlichkeit. Er blieb lieber für sich, in seinem Zimmer, soziale Interaktion am besten nur durch den Computer. Er war immer ein Außenseiter gewesen, jemand den man schnell übersah und so war ihm die plötzliche Aufmerksamkeit viel zu viel. Sie bahnten sich unter den Blicken einen Weg und suchten nach einem freien Platz, doch es kam wie es kommen musste und Stegi rutschte aus und das Tablett mit den Pommes rutschte ihm aus den Fingern und landete, wie konnte es anders sein, direkt auf Bibis Bluse. Die fing an zu keifen, Stegi versuchte zu versichern, dass es ausversehen gewesen war, doch Tobi zog ihn weg. „Das bringt nichts, komm mit." Stegi befolgte seinen Rat, nur um hinter seinem Rücken zu hören wie Bibi sich bei Frau Darbus über ihn beschwerte und ihm unterstellte, er wollte das ganze Musical ruinieren.
Auch Tim musste von Rafael zurückgehalten werden sich nicht einzumischen auch wenn er vor Wut kochte. Doch Rafaels Blick war so komisch, dass er sich besann. „Was ist los mit dir?"
„Was los mit mir ist? Unser Team bricht auseinander! Alle verhalten sich komisch! Und das nur, weil du plötzlich meinst, Sänger werden zu wollen, direkt vor dem wichtigsten Spiel der Saison!", redete Rafael auf ihn ein und das war genau die Reaktion gewesen, vor der Tim so Angst gehabt hatte. Wenn ihn noch nicht mal sein bester Freund verstand, was würden dann erst die anderen sagen?

„Meinst du, Bibi ist sauer auf mich?", fragte Stegi kleinlaut.
„Selbst wenn, mach dir da keine Gedanken drüber. Sie ist einfach nur beleidigt, weil sie das erste Mal in ihrem Leben Konkurrenz bekommt und sie damit nicht klarkommt." Doch Stegi machte sich trotzdem Gedanken. Auch wenn er wusste, dass sie das nicht wert war. Aber er dachte immer zu viel nach, machte sich über Dinge Gedanken, über die andere keine Sekunde nachdachten. So war er. „Ich wollte ihr ja gar keine Konkurrenz machen. Das Casting war vorbei. Und wir haben einfach gesungen. Und es war toll, richtig toll. Es war, als wäre ich jemand ganz anderes, wie eine fremde Person in meinem Körper, kennst du das?" Tobi schmunzelte und schüttelte lachend den Kopf „Ne, eher nicht so." Stegi zuckte die Schultern, verabschiedete sich und machte sich auf den Weg zu seinem Spind. Beim Öffnen segelte ihm ein kleiner Zettel entgegen und er fühlte sich wie ein kleines Schulmädchen, als er ihn mit klopfenden Herzen öffnete. Dümmlich grinsend las er Tims Nachricht und machte sich auf den Weg zum Dach, wo Tim ihn hinschickte. Dort wurde er von einer Masse an Pflanzen und schönen Blumen empfangen und es war, als wenn er in eine komplett andere Welt gekommen wäre, fernab von Schule und dem ganzen Drama. Und mittendrin saß Tim und wartete auf ihn. Und Stegi wurde erst da bewusst, wie unglaublich gut Tim eigentlich aussah. Seine dunkelbraunen Haare standen zu allen Seiten ab, auch wenn Stegi sich sicher war, dass das genau so sein sollte und morgens mit Sicherheit einiges an Zeit brauchte. Sein T-Shirt spannte an den Armen etwas, was sicherlich durch das ständige Training kam und die Muskeln zeichneten sich am Bauch leicht ab. Doch was Stegi eigentlich so faszinierte, war Tims Lächeln und wie seine Augen dabei leuchteten. Er zog nicht einfach nur die Lippen hoch, sondern wenn er von etwas wirklich begeistert war, dann zeigte er das mit seinem ganzen Gesicht. Und Stegi schmeichelte es sehr, dass genau dieses Lächeln nun bei seinem Anblick sein Gesicht zierte.
„Na?", begrüßten sie sich und Stegi setzte sich zu Tim. „Nicht schlecht hier, was?" Stegi nickte und kurz herrschte Stille.
„Du bist echt der King der Schule, oder?", brach Stegi die Stille und kam sich sofort blöd vor. Doch Tim lachte nur.
„Ich gehöre zum Team, ich bin sogar der Kapitän. Dazu noch der Sohn des Trainers. Ich schätze, es haben einfach alle eine hohe Erwartungshaltung. Das ist manchmal schwer, aber irgendwie gehört es auch zu mir."
„Und das Singen nicht.", stellte Stegi fest und ärgerte sich über seinen etwas enttäuschten
Tonfall.
„Vielleicht ja schon. Ich weiß es nur noch nicht. Alle sehen in mir immer nur den geborenen Basketballspieler, den Spielmacher, aber was ist, wenn ich so viel mehr bin und ja, vielleicht ja sogar Sänger?"
„Ich kenne das. Ich war mein ganzes Leben immer nur der Mathefreak." Wieder senkte sich eine kleine Stille, in der beide ihren eigenen Gedanken nachhingen.
„Manchmal vermisse ich die Kindergartenzeit. Da hat es keine zwei Minuten gedauert, bis man befreundet war. Und da kam es nicht auf irgendeinen Status an, sondern man konnte einfach so sein, wie man war. Und irgendwie hat das Singen mit dir sich genau so angefühlt.", sprach Stegi seine Gedanken schließlich laut aus.
„Ich wollte in meinem Leben nie singen, bis du kamst." Stegi erschreckte sich fast vor Tims Ernsthaftigkeit und Ehrlichkeit. Weil er nicht wusste, wie er angemessen auf dieses Kompliment reagieren sollte, fragte er einfach nur albern: „Recall?" und hielt ihm die Hand hin. Tim schlug ein. Doch irgendwie wollte Stegi Tim dann doch auch noch etwas zurückgeben und meinte leise: „Ich find dich cool. Aber nicht aus den gleichen Gründen, wie deine Freunde." Tim nickte, aus seinen Augen sprach die Dankbarkeit und er griff nach Stegis Hand.

Die nächsten Tage sahen sie sich nicht viel. Jeder war damit beschäftigt mit Alex seine Passagen durchzugehen, zu lernen und in der restlichen freien Zeit im Theater dabei zu helfen die Kulissen oder Kostüme zu entwickeln. Sie kamen kaum dazu ein Wort miteinander zu sprechen, doch sie lieferten sich zwischendurch immer Blickduelle oder sangen sich tonlos über den Klassenraum hinweg ihre Lieder vor. Tim ließ das Training schleifen, kam immer wieder zu spät oder tauchte gar nicht auf. Und so kam es, dass er auch heute wieder in der Halle ankam, als sie schon leer war. Nur sein Vater wartete noch auf ihn und die tiefen Furchen auf seiner Stirn sprachen Bände. Doch er verdonnerte ihn immerhin nur zu einem Extratraining und hob sich die Standpauke für später auf. Tim warf ein paar Körbe bis die Tür klappte und er schon dachte, sein Vater hätte es mit dem Schimpfen anders überlegt. Doch es war nur Stegi, der ehrfurchtsvoll seinen Blick durch die Halle gleiten ließ.
„Das ist also eigentlich deine Bühne.", stellte er fest und Tim nickte. „Könnte man so nennen, ja." Stegi nahm ihm den Ball ab, visierte den Korb an, warf ihn und er landete prompt ihm Korb.
„Nicht schlecht.", gab Tim zu.
„Mein Rekord waren mal 41 Punkte bei einem Spiel.", spielte Stegi sich auf und Tim schaute ihn überrascht an. „Ich habe auch das Space Shuttle erfunden. Und Popcorn.", machte Stegi weiter und Tim schreckte ihm die Zunge raus. „Haha." Stegi grinste, schnappte sich den Ball und rannte weg. Und da Tim kein Spielverderber sein wollte, rannte er ihm hinterher. Es war keine große Anstrengung für ihn ihn einzuholen und einen Moment später packte er sich den strampelnden, federleichten Stegi und hob ihn hoch. „Hab ich dich!" Stegi protestierte und schlug um sich, doch als die Tür plötzlich aufschwung fiel er ihn sich zusammen und Tim hatte Mühe ihn zu halten. Er setzte ihn ab und wendete sich seinem Vater zu.
„Das Training findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.", meinte dieser mit einem Tonfall, der selbst Tim Angst machte.
„Aber Dad, das eigentliche Training ist doch vorbei."
„Nein, ist es nicht."
Um die Stimmung irgendwie ein bisschen aufzulockern und Stegi ein nicht ganz so schlechtes Gefühl zu geben, stellte Tim die beiden einander vor, doch es funktionierte nicht, weil sein Vater seine Abneigung offen zeigte. Stegi merkte, dass er nichts ausrichten konnte und verabschiedete sich.
„Du hast all die Jahre nie beim Training gefehlt und jetzt kommt dieser Junge und..." „Dieser Junge heißt Stegi und er ist sehr nett.", unterbrach Tim ihn sofort.
„Wenn er dich vom Training abhält, kann er nicht nett sein. Tim, du hast Verantwortung. Du bist der Kapitän und die für die ganze Schule ein Stück weit verantwortlich. Das Spiel ist etwas ganz besonderes."
„Vieles ist etwas besonderes.", Tims Protest wurde immer leiser, ihm wurde bewusst, dass sein Vater ihn nie verstehen würde.
„Du bist aber Spielmacher und kein Sänger."
„Geht nicht beides?" Sein Vater schnaubte nur und Tim reichte es. Er ließ den Ball fallen und rannte aus der Halle, nicht bemerkend, dass sein ganzes Team hinter der Tür stand und jedes Wort mitgehört hatte.

Rafael rauschte auf dem Schulflur an Bibi vorbei und verschwand im Labor. Sofort war Bibi hellwach, rief Julian zu sich und zusammen gingen sie ihm unauffällig hinterher. Rafael stand bei Tobi und unterhielt sich mit ihm. Es war ein ungewohnter Anblick, hatten die Sportler und die Nerds meistens eher weniger miteinander zu tun.
„Ich wette, die hecken aus, wie Tim und Stegi uns ausstechen können. Und wollen sie dabei verkuppeln. Wir müssen unser Stück retten!" , redete sich Bibi in Rage und behielt die ganze Situation unter Beobachtung.

Am nächsten Morgen trafen sich Rafael und Tobi an der Eingangstür.
„Und du bist sicher, dass wir das durchziehen sollen?", war sich Tobi dann doch wieder unsicher.
„Es ist der einzige Weg sie vor sich selbst zu schützen.", beruhigte Rafael ihn. „Okay, Uhrenvergleich! Um Punkt 12:05 in der Mittagspause!" Sie verglichen ihre Uhren und kamen sich vor, wie in geheimer Mission.
„Hey, wir sind nicht Charlies Engel!", erinnerte Tobi Rafael, doch der zog nur seine Augenbrauen hoch und meinte anzüglich „Träumen darf ich doch."

Als Tim in der Mittagspause in die Kabine kam, hatte sich sein ganzes Team versammelt und wartete auf ihn. Verwirrt blieb er in der Tür stehen und wusste nicht, was hier jetzt passieren sollte. Doch nacheinander zeigten ihm seine Teamkollegen Bilder von alten Basketballlegenden der Schule und ratterten ihre Erfolge herunter.
„Und glaubst du wirklich, dass auch nur einer dieser Spieler so erfolgreich gewesen wäre, wenn er nebenbei noch gesungen hätte?", fragte Rafael ihn und Tim tat es weh, wie ihm sein bester Freund so in den Rücken fiel.
„Aber ich bin doch nicht einzige, der hier Einsatz zeigt. Dieses Team hat 12 Spieler, nicht nur mich.", verteidigte er sich, auch wenn er das eigentlich gar nicht wollte.
„Du vergisst da jemanden." Ein Bilderrahmen wurde ihm überreicht und Tim strahlte sein eigener Vater entgegen.

Im Labor war Stegi gezwungen worden, sich einen Vortrag anzuhören. Tobi erklärte ihm die Evolution, jedoch mit dem hohlköpfigen Basketballer am Ende. Stegi wusste, worauf er hinaus wollte, doch er hatte keinen Antrieb es zu verhindern. Tobi redete davon, dass der Entwicklungsweg des Geistes viel anstrebenswerter war als der primitive Sport und bezog sich auf Größen wie Elena Roosevelt und Frida Karlo. Es gäbe zwei Seiten der Evolution: Auf der einen ständen Leute wie Tim, auf der anderen Bildung, Wissenschaft und vor allem: Stegi.

Es war, als wäre bei Tim ein Schalter umgelegt worden, als er das Bild seines Vaters in der Hand hatte. So sehr er ihn gestern auch noch gehasst hatte für seinen Egoismus und dafür, dass Basketball das wichtigste für ihn war, desto mehr verstand er ihn nun. Basketball war ihr Ding, war es immer gewesen. Er war ihm und seinen Freunden etwas schuldig.
„Wir sind Freunde, wir gewinnen zusammen und verlieren zusammen. Und ich werde mich jetzt 150% aufs Spiel konzentrieren. Stegi ist Geschichte, die Singerei ist Geschichte. Das Team ist das Wichtigste, Stegi ist nur ein Bekannter und er und die Singerei haben nichts zu bedeuten. Er ist nicht weiter wichtig, ich vergesse ihn und das Casting. Alles was zählt ist unsere Meisterschaft." Tim fühlte sich gut, als er es ausgesprochen hatte und in die begeisterten Gesichter seiner Freunde blickte. Auch wenn es eigentlich genau das war, was er nicht gewollt hatte. Aber in diesem Moment fühlte es sich richtig an und er war überzeugt davon, dass es der richtige Weg war. Vielleicht wäre es nicht so gewesen, wenn er gewusst hätte, dass Stegi die Übertragung dieser Ansage auf dem Computer im Labor mitangesehen hatte und nun mit Tränen in den Augen aus dem Raum stürmte.

So, damit wäre wieder alles oben. Updaten werde ich weiterhin alle 3-4 Tage, ich hoffe ihr bleibt mir auch hier treu und hinterlasst mir fleißig Feedback!

Connected By A Feeling [Stexpert] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt