"Mum, ich will da nicht rein.", jammerte Stegi und hätte sich am liebsten in den Rockfalten seiner Mutter versteckt. Sie standen vor seiner neuen Schule und der Betonklotz machte Stegi mehr Angst, als er zugeben wollte. Er war nicht gut darin, sich wo neu einzufinden und neue Freunde zu finden, doch genau das hatte er in den letzten Jahren viel zu oft gemusst. Und jedes Mal hatte er gehofft, dass es jetzt klappen würde. Dass er endlich mal seinen Nerdstatus loswerden würde und nur ein Mal in seinem Leben zu den Coolen gehören würde. Doch nie hatte es geklappt.
„Mach dir keine Sorgen, du findest bestimmt bald Freunde und lebst dich gut ein!", versuchte seine Mutter mehr schlecht als recht zu beruhigen. Zusammen traten sie ein und machten sich auf den Weg zu dem Büro der Sekretärin, wo er freundlich begrüßt wurde und seinen Stundenplan überreicht bekam. Anschließend verabschiedete er seine Mutter, wobei er sich wie ein Kindergartenkind vorkam, das seine Mutter nicht gehen lassen wollte und kämpfte sich durch die vollen Schulflure zu seinem Raum, was ihm dank einem Raumplan immerhin einigermaßen gelang. Dort angekommen stellte er erleichtert fest, dass der Unterricht noch nicht begonnen hatte und seine neuen Mitschüler viel zu sehr mit sich selbst und ihren Ferienerlebnissen beschäftigt waren, als dass sie ihn wirklich bemerken würden. So schlich er zu einem freien Platz in der letzten Reihe und beobachtete die Leute. So ganz klischeehaft hatten sich die verschiedenen Gruppen versammelt. Die Sportler waren schnell zu identifizieren, da einer von ihnen sogar seinen Basketball mit in den Unterricht genommen hatte. Stegis Sitznachbarin, die eine Jacke voller Glitzerpailleten trug und sich mit einem, neben ihr etwas unscheinbar wirkenden Jungen über Rollen in irgendeinem Musical unterhielt, war schnell in die Theatergruppe eingeordnet. Die Lehrerin trat ein und unterbrach Stegis Analysen. Sie begrüßte sie zum neuen Schuljahr und redete von einem akademischen Zehnkampf. Wenn Stegi noch an seiner alten Schule gewesen wäre, hätten sich spätestens jetzt alle zu ihm umgedreht. Aber hier war alles neu und ein anderer hatte seine Rolle: Die Lehrerin, Frau Darbus, wie er mittlerweile herausgefunden hatte, verwies auf Tobi, einen Jungen mit braunen Haaren in der dritten Reihe, an den man sich wenden sollte, wenn man mitmachen wollte. Die Hälfte der Klasse drehte sich zu ihm um und Stegis Herz blieb einen Moment stehen, als der braunhaarige Sportler aus der ersten Reihe ihn anschaute.
Tim wollte seinen Augen nicht trauen. Da hatte er sich die ganzen Ferien geärgert, ihn nicht noch einmal gesehen zu haben und sich nicht getraut, ihn einfach anzuschreiben und dann saß er einfach hier, am anderen Ende des Landes plötzlich in seinem Unterricht. Das war doch Stegi? Zweifelnd holte er sein Handy heraus, scrollte zu dem Kontakt und ließ es klingeln. Einen Moment später hallte ein Handy aus der letzten Reihe durch den Klassenraum und erst da wurde Tim bewusst, dass er immer noch mitten im Unterricht saß und zwar in dem von Frau Darbus, die auf Handys allergisch reagierte. Es tat ihm nicht leid um sein eigenes eingesammeltes Handy und das Nachsitzen, viel mehr hatte er ein schlechtes Gewissen, weil er das Stegi an seinem ersten Schultag aufgebrummt hatte. Auch wenn er immer noch nicht verstand, was er eigentlich hier machte, dass er es war, war nicht mehr zu leugnen. Von der restlichen Stunde bekam er nicht viel mit, seine Gedanken wanderten zur Silvesternacht. In den letzten Tagen war sie ihm so unwirklich vorgekommen, wie ein Traum, an den man sich nur schemenhaft erinnern konnte. Doch nun bekam er eine erschreckende Realität und Tim wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. Immer wieder drehte er sich unauffällig um, doch Stegi war ganz damit beschäftigt Frau Darbus zu folgen und sich fleißig Notizen zu machen und schaute nicht auf. Die Klingel erlöste ihn schließlich und er stürzte aus dem Raum, um Stegi davor zu erwarten. Sein Kumpel Rafael kaute ihm ein Ohr ab, weil er ebenfalls Nachsitzen kassiert hatte, doch Tim interessierte sich dafür gerade herzlich wenig. Schließlich kam Stegi aus dem Klassenzimmer und er stellte sich ihm in den Weg.
„Hi!", begrüßte er ihn.
„Hallo.", entgegnete Stegi und eine unangenehme Stille entstand, die sein Gegenüber mit einem nervösen Lachen zu überspielen versuchte.
„Dein Lachen klingt ja wie ein Delfin!", stellte Tim plump fest und ärgerte sich über seine Unfähigkeit, ein vernünftiges Gespräch hinzubekommen.
„Jaa, das hab ich schon öfters gehört!" Stegi schien ihm das komische Gespräch nicht krum zu nehmen und machte sich auf den Weg durch die Gänge. Tim folgte ihm etwas überrumpelt.
„Was machst du hier?", stellte er schließlich die Frage, die ihm schon seit 45 Minuten auf der Zunge brannte.
„Meine Mutter wurde hierher versetzt."
„Zufälle gibt es..."
„Ja unglaublich. Ich dachte eigentlich, ich würde dich noch im Hotel sehen...?"
„Wir sind Neujahr direkt ganz früh gefahren", senkte Tim seine Stimme und Stegi schaute ihn verwirrt an.
„Warum flüsterst du?"
„Naja, ich habe meinen Freunden zwar von meinen Snowboardferien erzählt, aber die, naja Karaoke, ausgelassen."
„Ach, das passt nicht in das Image des krassen Basketballers, oder wie?", zog Stegi ihn auf und irgendwie war die Vertrautheit vom Silvesterabend sofort wieder da, auch wenn sie nun in einer vollkommen anderen, ja so alltäglichen, Situation waren. Sie gingen durch die Korridore, Stegi mit seinem Plan immer voran, obwohl Tim ihn doch eigentlich überall hinführen konnte. Sie kamen zur der Liste, wo man sich für die Rollen des Musicals einschreiben konnte und kamen zum Stehen.
„Na? Du willst dich doch bestimmt eintragen?", meinte Tim und wusste selber gar nicht so genau, ob er es ironisch oder ernst meinte.
„Nein. Ich habe nicht vor, mich irgendwie zu engagieren, ich möchte mich erst einmal an alles gewöhnen." Bevor Tim antworten konnte, wurden sie unterbrochen und von einer Mitschülerin über das Musical zugetextet. Das Neuzugänge immer gern gesehen wären und es viele Nebenrollen zu vergeben gäbe. Aber dass die Hauptrollen sowieso jedes Jahr von ihr und Julian gespielt wurden. Tim schaltete auf Durchzug, er kannte diese Litanei von der viel zu zickigen und viel zu von sich selbst überzeugten Bibi. Umso mehr Respekt hatte er vor Stegi, der versuchte interessiert zuzuhören.
„Ne sorry, ich trage mich erst mal für gar nichts ein.", wiegelte er höflich ab und ehe Tim sich versah, hatte er sich verabschiedet und war hinter der nächsten Ecke verschwunden. Er wollte es ihm gleich tun, doch Bibi hielt ihn auf.
„Und du zeigst dem Neuen die Schule?", versuchte sie gezwungen ein Gespräch aufrecht zu erhalten, bekam jedoch nur ein „Hmm" zurück.
„Willst du dich nicht doch eintragen?" – „Nein"
„Aber du kommst doch zur Aufführung, ja?" – „Bestimmt."
Tim konnte nicht fassen, wie man so schwer von Begriff sein konnte und sie es einfach nicht zu kapieren schien, dass er absolut nichts mit ihr anfangen konnte. Schließlich schaffte er es, mit der Ausrede zum Unterricht zu müssen, sich aus ihren Fängen zu befreien.
Den Schultag hatte Tim hinter sich gebracht, Stegi war ihm jedoch kein einziges Mal mehr über den Weg gelaufen. Was ihn nicht davon abgehalten hatte, ständig an ihn zu denken. Es war, als würde das Schicksal ihm ihn auf dem Silbertablett servieren, anders konnte er sich diesen unglaublichen Zufall nicht erklären. Von all den Städten, von all den Schulen, hatte es ausgerechnet seine Stadt und seine Schule getroffen. Immer wieder spielte sein Kopf die Karaoke Szene im Replay ab und dieses Gefühl der Unbesiegbarkeit dort auf dieser Bühne, durchströmte wieder seinen Körper. Es war ein anderes Gefühl, als wenn er ein Spiel gewann. Dann war er voller Adrenalin und Übermut und hatte das Gefühl die ganze Welt auseinander zu nehmen. Doch in diesen paar Minuten war es vollkommen still in ihm gewesen und er hatte einfach nur neben Stegi gestanden, seine Hand gehalten und gesungen. Während sonst immer das Gefühl der Unbesiegbarkeit von der Außenwelt kam, von dem Punktestand, von dem Publikum, von der Anerkennung seines Vaters, war es dieses Mal allein aus sich selbst heraus entstanden. Doch so gerne er auch in den Erinnerungen an den Jahresanfang schwelgte, er musste sich nun aufs Training konzentrieren. Er schüttelte den Kopf frei und rief seine Mannschaft zusammen. Als Mannschaftskapitän hatte er die Aufgabe sein Team zu motivieren und ihnen immer ein gutes Vorbild zu sein und das schaffte er nicht, wenn er mit den Gedanken wo anders war.
Ein paar Spielzüge und Körbe gelang ihm die Konzentration, doch seine Gedanken machten sie dann doch wieder selbstständig. Was, wenn er sich doch einfach bei diesem dummen Musical anmeldete? Was, wenn das alles ein Zeichen war und seine eigentliche Bestimmung war, zu singen? Schnaubend schüttelte er den Kopf, seine Bestimmung war Basketball und darauf musste er sich jetzt konzentrieren und auf nichts anderes.
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Connected By A Feeling [Stexpert]
Hayran KurguWas wäre, wenn Disney ein großer Fehler unterlaufen ist und High School Musical eigentlich gar nicht die Geschichte von Gabriella und Troy, sondern die von Stegi und Tim erzählt? [Stegi x Tim #Stexpert]