2. Kapitel

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Weiß. Alles war weiß. Die kahlen Wände, die Betten, die Stühle, selbst die Gesichter der Menschen um mich herum umfasste dieses nichtssagende weiß. Normalerweise steht diese Farbe für Unschuld, für Frieden, doch nicht für mich. Nichts, was in diesem Gebäude passierte, war annähernd friedlich.
Ich tippte ungeduldig auf den frisch geputzten Boden und kratzte den noch übrigen roten Nagellack von meinen Nägeln ab, um mich zumindest halbwegs ablenken zu können. Doch der intensive Geruch von Desinfektionsmittel holte mich wieder ein und mein Herz zog sich zusammen. Ich hob meinen Blick und suchte die kahlen weißen Wände nach einer Uhr ab, doch vergebens. Nach dem Anruf bin ich auch direkt aufgesprungen und habe mich auf den Weg ins Krankenhaus gemacht, wobei ich wohl vergessen habe mein Handy mitzunehmen. Neben mir saß ein älterer Herr und wartete wohl ebenfalls auf einen Arzt, der ihm Auskunft geben konnte. Unsicher darüber, ob ich ihn nach der Uhrzeit fragen sollte, beobachtete ich den Mann. Seine Haare waren schwarz, doch man konnte ein paar weiße Härchen am Ansatz erkennen, was ihn deutlich älter wirken ließ, denn ansonsten wirkte er auf mich ziemlich jung und fit, was vielleicht an seinem Outfit lag. Er trug blaue Shorts und ein weites Tommi Hilfiger T-shirt, wobei ich mich mit meinem zu großem Pullover, dessen Ärmel sogar meine Hände bedeckten, und einer engen Jogginghose wesentlich älter vorkam. Vielleicht lag das auch daran, dass ich in diesem Alter Dinge durchmachte, die man erst später oder besser noch gar nicht erleben sollte.
Ich räusperte mich und schluckte zweimal, bevor ich anfing zu sprechen.
"Entschuldigung, können Sie mir sagen, wieviel Uhr wir haben?"
Der Mann drehte sich zu mir und fixierte einen Moment lang meine Augen und nickte daraufhin.
"Einen Moment bitte", bekam ich zuhören, bevor er auf sein Handgelenk blickte, um die Uhrzeit ablesen zu können.
"Viertel vor 3, Madame."
Ich nickte und bedankte mich mit einem leichten Lächeln bei ihm und wandte mich wieder meinen Nägeln zu. Schon seit zwei Stunden sitze ich hier und warte auf eine Auskunft über ihn, doch nichts geschieht. Am liebsten würde ich aufstehen und einfach in sein Zimmer stürmen, doch dieses Szenario gab es schon bereits und der betreuende Arzt war sichtlich nicht begeistert von meiner Aktion. Also blieb mir nichts anderes übrig als hier sitzen zu bleiben und darauf zu warten, dass jemand mich von dieser Ungewissheit erlöst. Die Reste von meinem Nagellack, den ich schon fast komplett abgekratzt hatte, machte sich auf dem weißen Boden unter mir bemerkbar und frustrierte mich noch mehr. Er hasste rot. Wie vom Blitz getroffen stand ich auf und räusperte mich, bevor ich zum Tisch lief, auf dem verschiedene Teesorten geordnet zu sehen waren. Ohne sie mir wirklich intensiv anzusehen, pickte ich einen raus und ohne mir anzuschauen, welche Sorte es war, bereitete ich ihn mir mit dem da nebenstehendem Wasserkocher zu, indem zum Glück schon Wasser enthalten war. Mit dem heißen Plastikbecher in der Hand lief ich dann wieder auf meinen Platz zu und beobachtete wie sich das Wasser in ein tiefes Grün färbte. Ich mochte Tee noch nie so wirklich, doch für einen Kaffee müsste ich runter in Cafeteria und mir eins kaufen, weswegen ich dann doch ab und zu danach griff. Ich wartete bis er etwas kühler wurde und nippte ein zweimal daran und verzog auf Anhieb das Gesicht. Ein bitterer Geschmack machte sich in meinem Mund breit und als ich mir de Sorte anschaute, verstand ich warum: Grüner Tee.
Um nicht unhöflich gegenüber den anderen Wartenden zu sein, stellte ich den Tee auf die Ablage neben mir und schaute ihn mir an; immer bereit danach zu greifen und ihn zu trinken. Während ich eigentlich innerlich darauf hoffte, dass jemand mich von diesem Elend erlösen würde. Und als wurden meine Gebete erhört, stampfte eine junge Krankenschwester erschöpft ins Wartezimmer und machte mich mit ihrer zärtlichen Stimme auf sie aufmerksam: "Miss Sparks, Sie können jetzt zu ihm."

Die Sonnenstrahlen machten sich langsam bemerkbar, als ich das Krankenhaus verließ. Ich hatte die Zeit aus den Augen verloren und wusste nicht, ob es sich lohnen würde noch einmal nach Hause zu gehen, um meine Schulsachen zu holen oder ich somit zu spät sein würde und ich es deswegen lassen sollte. Ich entschied mich für die zweite Variante. Jemand würde mir schon einen Stift und ein Blatt Papier ausleihen können. Da ich nicht wusste, wieviel Uhr es genau war machte ich schnelle Schritte in Richtung Schule, während ich meinen Dutt, der halb offen war, wieder richtete. Um ehrlich zu sein, konnte man ihn keinen wirklichen Dutt nennen, denn dafür war er viel zu chaotisch. Doch lange hatte ich nicht Zeit, denn ich kam meinem Ziel näher und sah wie selbst die Raucher sich auf den Weg nach drinnen machten und dies hatte nichts Gutes zu bedeuten. Somit sprintete ich die letzten Meter und merkte, wie mein Dutt sich wieder langsam löste, doch das war mir egal. Inzwischen wusste ich meinen Stundenplan auswendig und ohne an mein Spind zu gehen, hastete ich zum Saal. Jemand war kurz davor ihn zu schließen, doch ich kam in der letzten Sekunde angerast und drückte dagegen, sodass er stoppte. Er hob seinen Blick vom Boden und schaute mich durch den offenen Spalt an und ich erkannte smaragdgründe Augen, die mich musterten. Doch ich ließ mich nicht beirren und drückte nun stärker gegen die Tür, woraufhin er nun rückwärts gehen musste. Ohne ihn mir noch einmal anzuschauen, lief ich ganz schnell auf meinen Platz zu, der sich ganz hinten befand und setzte mich hin, bevor der Lehrer den Unterrichtet begann. Neben mir saß Maik, der in der ersten Minute schon abgeschaltet hatte und sein Buch als Kissen benutzte. Ich schmunzelte. Typisch Maik. Doch leider Gottes musste ich ihn heute stören, da ich keine Zeit hatte nach Hause zu laufen, geschweige denn an mein Spint zu gehen, also rüttelte ich ihn zweimal. Doch mehr als ein "Hmpf" war nichts zu hören und er schlief friedlich weiter, was mich jedoch nicht aufhalten ließ. Nach dem vierten "Hmpf" und einem "Lass mich in Ruhe" versuchte ich es auf einem nonverbalen Weg und zog ihm das Buch weg, sodass sein Kopf auf dem Tisch landete, was sich ziemlich schmerzhaft anhörte. Doch ich hatte mein Ziel erreicht und Maiks böse Blicke, die er mir seitlich zuwarf, ignorierte ich gekonnt. "Tut mir leid Maiki, doch heute musstest du dran glauben." flüsterte ich, während ich mir die angegebene Seite durch las. Mehr als ein "Hm" bekam ich nicht als Antwortet, doch damit war ich sichtlich zufrieden. Maik und ich waren keine wirklichen Freunde, doch wir waren beide Einzelgänger, was uns in jeder Gruppenarbeit und Sitzordnung zusammenbrachte. Leider hatten wir nicht immer die gleichen Kurse zusammen, weswegen ich mich manchmal mit Menschen zusammentun musste, deren Namen ich nicht einmal kannte. Um mich dafür und um das ganze Theater hier zu interessieren, hatte ich einfach zu viel zutun. Mein Ziel war mein Abschluss und nicht mit dem heißesten Jungen rumzumachen oder die fettesten Partys zu schmeißen. Ich musste grinsen. Vor ein paar Jahren sah das alles ganz anders aus. "Miss Sparks, können Sie mir die Antwort darauf geben?" Ich blickte auf und und sah die ganzen Augenpaare, die mich intensiv musterten, doch versuchte mich nicht beirren zu lassen. An der Tafel stand nichts, was mir verraten konnte, wovon gerade die Rede war, also musste ich es anders versuchen. "Entschuldigung, was war die Frage nochmal?" Mr. Pedinkski säufste hörbar, doch wiederholte seine Frage netter weiße noch einmal. "Warum die industrielle Revolution in England früher stattgefunden hatte, als in Deutschland", wiederholte er seine Frage. Im Text hatte ich nichts dazu gelesen, also musste ich improvisieren. "Äh, weil Deutschland noch nicht so weit war wie England?" gab ich unsicher zurück und das Gesicht meines Lehrers erhellte sich. Mir zustimmend und meine Antwort fortführend machte er weiter und ich war froh darüber, dass er nicht weiter nachgehackt hatte. Somit konzentrierte ich mich wieder auf mein karriertes Blatt vor mir, den ich von Maik hatte und nur mit ein paar Kritzeleien verziert war. Doch irgendetwas störte mich und ich schaute wieder nach oben, nur um von zwei grünen Augen empfangen zu werden.
Er saß nicht gerade auf seinem Stuhl, sondern schräg, sodass seine Beine an der Seite des Stuhles raushingen und er somit einen besseren Blick zu mir nach hinten hatte. Dass er auf der rechten Seite des Saales saß und ich auf der linken, machte das ganze nicht wirklich besser, denn somit hatte er einen noch besseres Blick auf mich, ohne auffällig zu sein. Doch ich hatte es bemerkt und starrte ihn ebenfalls mit einer hochgezogenen Augenbraue an, doch das störte ihn keinesfalls. Anstatt peinlich berührt zu sein und weg zuschauen, fing er schamlos an zu grinsen, was seine Grübchen zum Vorschein brachte. Da ich ihn nun wirklich nicht verstand, zeigte ich ihm den Vogel und verdrehte dabei die Augen, was jedoch sein Grinsen verstärkte. Und als wäre es normal jemand so penetrant anzustarren, zuckte er bloß mit der Schulter und drehte sich wieder um, weil er diesmal vom Lehrer aufgerufen wurde. Die erste Minute beobachtete ich seinen Hinterkopf noch, der mit braunen Locken übersäht war, doch schob danach diese schräge Situation beiseite und konzertierte mich weiterhin auf den Unterricht, ohne ihn noch einmal anzublicken.

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