Der virtuelle Himmel

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Jakobskrautbären. Ein ganzer Haufen von Jakobskrautbären. Eine Armee von Jakobskrautbären marschierte über das meterhohe Jakobs-Greiskraut und fras der Pflanze das Blattgrün ab, bis nur noch die Blattskelette übrig blieben.

Die Raupen absorbierten das Gift aus den verzerten Pflanzenteilen und lagerten es in ihre schwarz-gelb gestreiften Leiber ein, weswegen ihre Fressfeinde sie besser in Ruhe lassen sollten.

Eine schwarze Katze schlich heran und sprang auf die angrenzende Mauer in den Schatten der Hecke. Neugierig schaute sie sich die pulsierenden Körper der Jakobskrautbären an, während sie nervös mit dem Schwanz zuckte.

Gene lag im Gras und beobachtete sie dabei, als sie plötzlich aufschrak und in der dichten Hecke verschwand.

Irgendjemand hat sich in meinen Garten eingeloggt, dachte er, als er auch schon die Stimme von Perry Ivanhoe vernahm.

»Verkriechst Du Dich mal wieder in deiner Simulation einer grünen Hölle?«, sprach dieser und versuchte eine auf erhöhte Neugier programmierte Hummel zu vertreiben. Immer wieder versuchte er aufs Neue das virtuelle Insekt mit wedelnden Armen zu verscheuchen. »Ich will hoffen, dass mich das Mistvieh nicht sticht!« fluchte Perry.

»Hummeln stechen nur ganz selten und nur im äußersten Notfall, wenn ihr Leben oder ihr Nest bedroht wird. Du müsstest Dich dafür schon deutlich mehr anstrengen.« murmelte Gene und erhöhte in Gedanken die Neugier der Hummel-KI um zehn Prozent.

Alles hier war virtuell, die ganze Umgebung war es, jeder Grashalm, ja jedes Staubkorn, der blaue Himmel mit der Sonne, den Wolken war ein reines Hirngespinst, auch der Regen, alles war nur eine aus Bits und Bytes bestehende Simulation, einzig existent im Kopf von Gene Marone, der nun Besuch von seinem Vorgesetzten Perry Ivanhoe erhielt, ein sogenanntes Kopfmeeting.

Gene starrte in den blauen Himmel und dachte, dass irgendwas nicht stimmen würde. Er beschloss Perrys Anwesenheit erst einmal bis auf weiteres zu ignorieren.

Dieser hatte es mittlerweile aufgegeben die vorwitzige Hummel zu vertreiben und versuchte sie mit derselben Ignoranz loszuwerden, mit der Gene ihn selber strafte. Aber das Ganze war für beide Seiten keine gute Idee, da weder Perry noch die Hummel verschwinden wollten.

Also hob Gene seinen Oberkörper, stützte sich auf seine Ellenbogen ab und sah dem Störenfried direkt ins Gesicht, als wollte er Was? sagen.

»Die anderen haben gesagt, dass Du Dich zurückziehen würdest.«

Gene verdrehte die Augen: »Du weisst seit fast hundert Jahren, dass ich eher zurückgezogen lebe. Was ist also der wirkliche Grund für deinen Besuch?«

Perry legte den Kopf schief, so wie er es immer tat, wenn er etwas nicht verstand.

Gene seufzte und liess sich wieder auf seinen Rücken fallen, um wieder in den Himmel zu starren. Irgendetwas fehlte da doch! Seit Jahren bastelte er an dieser Umgebung herum und seit Jahren wurde sie aufgrund einer weiteren Unvollkommenheit nicht fertig. Es machte ihn innerlich kirre, aber er liess sich nichts anmerken. Andernfalls würde Perry noch auf dumme Gedanken kommen und meinen, dass seine Anwesenheit ihn nerven würde.

Nein, sie nervte ihn nicht, er hatte geahnt, dass es früher oder später dazu kommen müsste. Eigentlich hatte er sogar früher damit gerechnet, schließlich waren sie bereits an die drei Wochen unterwegs. Hätte ihm jemand vor 60 Jahren gesagt, dass er in 60 Jahren in den Eingeweiden eines Raumschiffs stecken würde, in einem Tank gefüllt mit einem speziellen Fluid schweben und per Bauchnabelstecker an Nährstoffe, Sauerstoff und Datennetze angeschlossen wäre und dabei durch eine virtuelle Umgebung wandeln würde, die für den Laien nicht vom körperlichen Dasein zu unterscheiden wäre - vom komischen Himmel einmal abgesehen - so hätte er sich vermutlich auf diesen Zeitpunkt gefreut.

Die Cydonia KatakombenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt