*6 Wächter

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Ich zog Will von der Glasfront weg, damit wir aus dem Blickfeld der anderen verschwanden. Dass dieses Treffen nicht gut verlaufen würde hatte ich irgendwie schon erwartet. Aber trotzdem verfluchte ich mich, weil ich meinen Wolf so weit durchschimmern hatte lassen. Glühend rote Augen waren nun wirklich nicht so leicht zu erklären, schon gar nicht, wenn man von vorneherein gesagt hatte, dass man ein Geheimnis hat. Hm, wirklich gut durchdacht. "Flo?", fragte Will. Aber mein Mund war zu, ich konnte ihn nicht bewegen. Und selbst wenn, wären keine Worte rausgekommen. Stumm und leicht zitternd zog ich mein Shirt aus und offenbarte meine Brust, die mit der Kette und einer römischen 5 tätowiert war. Will ließ seinen Blick einmal über meinen Oberkörper gleiten und blieb dann bei den Tattoos hängen. Schlagartig schnellte sein Blick wieder zu meinen Augen. "Du..." Ohne ihn ausreden zu lassen gewann mein innerer Wolf die Kontrolle und riss mich in meine andere Gestalt. Ich schüttelte nur wenige Sekunden später mein schwarzes Fell und schaute ernst aber insgeheim eingeschüchtert aus roten Augen wieder zu Will. Dieser kam langsam auf mich zu, kniete sich neben mich und strich ehrfürchtig durch mein Fell. "... Du... bist ein Wächter...", stellte er dazu fest. Langsam fuhr er das Lederband nach und wollte den Kristall berühren, doch sofort glühte dieser rot auf und Will zog mit schmerzverzerrtem Gesicht seine Hand zurück. Erschrocken wurde ich wieder zum Mensch. "Tut mir leid!" Ich umschloss seine Hand mit meinen, in der Hoffnung, dass ich nicht alles verlernt hatte, und leitete etwas von meinen Heilkräften dort hin. Innerhalb von Sekunden waren die Blasen und Verbrennungen weg. Ich sah Will nochmal an. "Tut mir leid!" Mein Gefährte betrachtete seine Hand und stand dann auf, mich zog er mit hoch. "Warum hast du das nicht gesagt?" Ich seufzte und löste mich aus seinem Griff. "Ich bin weggelaufen. Vor zwei Jahren. Ich bin ein Verräter!" Will musterte mich nochmal. "5... Der 5. Wächter... warst nicht du derjenige, der im Alter von 3 Jahren Wächter wurde?" Ich nickte. "Es war zu viel für mich. Ich weiß bis heute nicht, was meine Funktion ist und was ich tun muss. Ich gehöre dort einfach nicht hin! Noah ist mein Leben, und... und du. Aber ich kann es nicht ganz ablegen, sie suchen nach mir. Bevor ich dich kennengelernt habe, konnte ich meinen Wolf erfolgreich unterdrücken, sodass keiner mich findet. Jetzt ist alles anders. Und meine Schwester wäre dafür fast gestorben! Schon wieder! Ich hatte doch gesagt, dass mein Leben kompliziert ist. Jetzt weißt du, wieso." Will zog mich zu sich und kam mit seinem Kopf näher. "Wie heißt du?", fragte er leise kurz vor meinen Lippen. "Five.", flüsterte ich. "Ich liebe dich, Five." Damit verband er unsere Lippen zu einem intensiven Kuss. "Flori?" Ich löste mich von Will und schaute mich nach Noah um, die links neben mir auftauchte. Sie schaute mich überrascht an und fragte dann: "Du hast es ihm erzählt?" Ich nickte langsam. Irgendwie fühlte es sich komisch an, dass nach so langer Zeit wieder jemand mein Geheimnis kannte. Will ging vor Noah in die Hocke und bot ihr seine Hand an. "Hey! Ich bin Will." Noah kicherte und umarmte ihn. "Weiß ich doch!" Überrascht schloss Will seine Arme um den Geist. Hinter seinem Rücken strahlte Noah mich an. Plötzlich aber änderte sich ihr Gesichtsausdruck. "Flori? Was hast du da?" Sie ließ sich durch Will durchrutschen. "Noah, das ist unhöflich!", sagte ich halb lachend über Will's Gesichtsausdruck. "Was habe ich wo?" Sie deutete auf meine Brust. "Da!" Ich sah an mir herunter und bemerkte rote Verbrennungen rund um den tätowierten Kristall. "Oh! Das muss von dem Schutzschild um euer Haus sein...", dachte ich laut und sah Will an. Er musterte starr meinen Oberkörper und ich schnappte schnell mein Shirt und zog es an. "Lasst uns wieder rein gehen.", sagte ich fast schon hastig und drückte mich an Will vorbei um wieder rein zu kommen. Kaum hatte ich einen Fuß in das Haus gesetzt begann mein Brustkorb wieder zu brennen. Ich ignorierte es strikt und setzte mich auf die Couch. Luke hatte Amelia auf dem Schoß, Kyle unterhielt sich angeregt mit Jay. Noah und Will folgten mir, kurz darauf tauchte Noah wie aus dem Nichts auf meinem Schoß auf. Aufgeregt musterte sie die anderen. Ich musste feststellen, dass es ihr gut tat, wieder andere Leute um sich zu haben, die sie sehen konnten. Gedankenverloren setzte Will sich neben mich und tastete nach meiner Hand. Als er sie gefunden hatte drückte er sie einmal und plötzlich hörte ich seine Stimme in meinem Kopf:

Ich sage ihnen nicht, dass du Five bist. Aber mal unter uns: Egal was du gemacht hast, du bist kein Verräter wenn es dir leid tut! Du bist ein faszinierender Mensch und toller Bruder, Five! Und mein Gefährte. Ich liebe dich.

Endlich hatte ich die Chance, sein Liebesgeständnis zu erwidern.

Ich liebe dich und bin dir sehr dankbar für alles, aber wenn sie mich finden würden, dann wärt ihr nicht mehr sicher. Sie haben damals meine ganze Familie ausgelöscht und Noah umgebracht. Dem könnte ich nur entgegenwirken, wenn ich wieder ein Wächter werde. Aber das schaffe ich nicht.

Wächter wird man nicht, das ist man. Ein Leben lang. Ich helfe dir, aber nimm Hilfe an!

Noah lehnte sich an mich und ich merkte, wie sie einschlief. Ich seufzte. Unser Haus war angegriffen worden, es war dort nicht mehr sicher. Und wie sollte ich Noah im Wald genug beschützen können? Oder Will? "Ähm, Will, könnten Noah und ich hier schlafen?", fragte ich. Will nickte mir zu und schmunzelte: "Du gehörst sowieso zu mir und nicht ans andere Ende der Stadt!" Die anderen grinsten. Sie wussten wohl so gut wie ich, dass Noah und ich nie mehr ausziehen würden.

Five (Werwolf boyxboy) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt