"Kommst du endlich?!" ruft man mir zu.
Ich schüttle meinen Kopf kurz, um mich von diesem Gedankengang zu lösen und schreite voran. Wir laufen aus dem viel zu alten und schäbigen Waisenhaus eine lange Straße entlang und dann in den Wald. Dort sehen wir das ein oder andere Tier, neben den großen schlanken Bäumen, die wie riesige Säulen in die Höhe ragen. Birken, Buchen und auch ein paar Fichten prägen den Wald und so auch die Tiere, die hier ihr Leben verbringen. Es leben hier aber keine Rehe, oder wie man diese Viecher nannte, hier leben nur Wölfe und Wildschweine. Auch ein paar Truthähne soll es hier schon gegeben haben.
Ich selbst bin jedoch noch keinem der witzig gurgelnden Kreaturen begegnet.
Die Gruppe vor mir besteht aus ungefähr vierzehn Kindern und drei Erziehern. Die Kinder sind alle jünger als ich, da die älteren Waisen sich dafür entschieden haben, ihr Glück alleine zu versuchen. Die Älteren folgen der Gruppe von Kindern und mir, aber mit einem kleinen Abstand. Sie wollten dieses Mal "nicht die gejagten, sondern die Jäger sein", wie einer von ihnen sagte. Ich verstehe nicht, warum sie das tun.
Warum rennen sie einfach so ins scharfe Messer?
Mich fragten sie auch, doch ich lehnte direkt ab, da ich mein Leben zwar nicht wirklich mag, aber ich kann sagen, dass ich es besser finde hier etwas länger zu überleben, als mit 15 schon zu sterben.
Wir kommen an einem alten Holzhaus an. Von außen erkennt man es kaum als ein solches, doch das hier war mal ein altes Haus eines reichen Privatlehrers, welcher die Natur und deren Werte vermitteln wollte. Jedoch ist das Haus mit Ranken überzogen und das Holz ist schon modrig, so dass es jedes Mal ein Abenteuer ist, das alte Haus zu betreten. Ich bleibe kurz draußen stehen und laufe, nur zur Sicherheit mit ein paar anderen Kindern, etwa in meinem Alter, um das Haus.
"Nichts!" Ruft James, mein bester Freund. Naja nicht wirklich bester Freund, eher sowas wie ein bester Bekannter. Aber ihm vertraue ich am meisten von diesem Haufen hier. Er kommt mir entgegen und auf meinen Lippen macht sich ein Lächeln breit.
James ist nicht zur gleichen Zeit wie ich in diese Irrenanstalt gekommen. Ich war ja schließlich schon seit Beginn meines Lebens in dieser wundervollen Hölle, genannt Waisenhaus, gefangen. Er ist gerade mal sieben gewesen, als sie ihn von den Straßen von Chruston, der so genannten Hauptstadt dieses Staates, aufgabelten. Eigentlich hätte er dort in ein Heim kommen sollen, aber sie wollten ihn fernab von seiner Clique lagern. Ja, sie haben den Begriff 'lagern' verwendet, als James zu uns kam.
Ich weiß noch, wie er vor ein paar Jahren, als wir noch zu den kleinsten gehört haben und er neu dabei war, sich nicht von mir trennen wollte. Er weinte und schrie. Natürlich machten die Erzieherinnen da nicht mit und James kassierte ein paar Schläge, aber das ist offiziell natürlich nie passiert. Sie sagten damals, sie hätten ihm das Überleben gesichert. Damals wusste ich noch nicht, was sie damit meinten, doch nach ein paar Jahren und haufenweisen Berichten über die Säuberung ist mir klar, was sie damit gemeint hatten und auch, dass sie Recht hatten.
Wir wurden oft geschlagen, werden es teilweise immer noch, aber nicht mehr so oft. Anscheinend ist die Regierung irgendwie dahinter gekommen und seitdem kreuzen alle paar Wochen Männer auf, manchmal auch Frauen, aber eher selten. Viel öfter sind dieselben zwei Männer im Waisenheim aufgetaucht. Wir wurden nicht mehr geschlagen, aber die freundlichen Phasen verschwanden nun auch. Mehr als für unser aller Überleben zu sorgen, machten die Erzieher von da an nicht mehr; also fast alle, dazu später aber noch mehr.
Viel wichtiger ist mein bester Bekannter, James. Seine dunkle Haut lässt ihn nachts kaum auffallen, weshalb er sich dieses Jahr, wie und auch schon die letzten paar Jahre immer wieder dazu entschließt, sein Glück außerhalb dieses alten, aber doch so sicheren Hauses, zu versuchen. Er versuchte mich jedes Jahr aufs Neue zu überreden, doch ich bin ganz sicher nicht so blöd, um da einfach so rumzurennen, ohne Waffen, ohne Schutz.
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Die Säuberung
Teen Fiction"Die Säuberung", wie die Regierung diesen Ausnahmezustand nennt, ist nichts weiteres als ein Tag, an dem man einfach alles machen kann, was man will. Ursprünglich war sie als "Reinigung" der Stadt von schwachen, kranken und allei...