Man sagt ein guter Mann trinkt nicht...

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Ich trink' schon wieder allein. Die Platte dreht und dreht sich auf ihrem Teller. Als ich sie ausschalte ist der Raum gänzlich still. Keine Regung, kein Rascheln von Papier wie sonst immer, wenn ich hier bin. "Sag mal, Kumpel, willst du sie nicht endlich vergessen?" Die Stimme meines Mitbewohners klingt durch den billigen Fusel wie durch eine Wand gesprochen, dumpf und leise.

"Ariel, wir machen uns doch nur Sorgen um dich, versteh das doch." Anne. Da bin ich mir sicher. Wieder reagiere ich nicht.

"Wir wissen doch alle, dass du Masha liebst, aber es hat keinen Zweck ihr weiter hinterher zu weinen."

Ich stehe auf, wende meinen Kopf zur Tür, in der Johannes jetzt steht. "Lässt du mich durch, ich muss pinkeln." entgegne ich ihm nur, schlüpfe unter seinen Armen hindurch und gehe in die Küche, um mir einen Kaffee zu kochen. Während er durch die alte Maschine läuft gehe ich dann wirklich pinkeln.

"Ariel..." Ich kann Annes besorgte Stimme langsam nicht mehr hören. Jetzt will sie mich nicht mehr nur missionieren und zum Christen machen, was ich eigentlich ziemlich witzig finde, da ich einfach an nichts glaube, nein, sie will auch mein gesamtes Leben kontrollieren und mir permanent vorschreiben, was ich zu tun habe.

Ich blende sie alle aus. Die Menschen um mich herum. Das gelingt mir ganz gut, der Wein macht vieles einfacher. Nachdem ich mir meine Tasse Kaffee geholt habe, setze ich mich an den Schreibtisch und schalte mein Notebook an. Die Stimme von Anne direkt in meinem Ohr. "Verschwindet einfach." gebe ich laut und deutlich von mir. Die Stimmen verebben.

Mein Schreibtisch steht direkt vor meinem Fenster, dunkle Wolken ziehen auf, bald regnet es wieder, wie jeden Tag im Dezember bisher. Es ist schier unglaublich, dass ich erst vor gut drei Monaten nach Berlin gekommen bin. Was in dieser Zeit alles passiert ist...

Sigmund Freuds gesammelte Werke liegen in einem violetten Einband neben meinem Notebook. Es ist eines dieser Bücher, die man total interessant findet, die man aber nie lesen wird, weil alleine die Dicke des Buches einen davon abhält. Jetzt dient es als Abstellfläche für meinen Kaffee und eine Schüssel mit Pistazien.

"Ariel, das Buch wird niemals fertig, wenn du dich beim Schreiben betrinkst." Anne. Schon wieder. Nur sie fängt jeden Satz mit meinem Vornamen an. Als ob sie mir den jüdischsten Namen aller jüdischen Namen unter die Nase reiben wollte. Sie hat ja Recht. Es war eine furchtbare Idee beim Schreibprozess zu trinken. Der Wein benebelt meinen Kopf so sehr, dass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen kann.

Und doch schaffe ich es irgendwie. Irgendwie bin ich schon auf der zweihundertsten Seite angelangt. Zugegeben, schreiben tue ich an dem Buch schon sehr lange. In den letzten drei Monaten habe ich dann ungefähr so viel an der Geschichte geschrieben, wie sonst in fünf Jahren.

Blonde Haare, denen die ehemals blaue Farbe kaum mehr anzusehen ist. Dunkle Ringe unter den kristallblauen Augen. Ein kurzer Rock, ein leichtes Shirt. Der Geruch nach Gras und billigem Weißwein. Sehnige, braungebrannte Beine. Lange, etwas zittrige Finger. Schuhe, so durchgelaufen, durchgetanzt, als hätte sie tausendundeine Nacht nur getanzt.

Ihr Aussehen wird mir wohl immer im Gedächtnis bleiben. Es braucht nur ein einziges Wort, fünf Buchstaben, zwei Silben, um mich gänzlich aus der Fassung zu bringen. Masha.

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Hoffe, ihr habt Spaß beim Lesen

Skyline #wattys2016Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt