Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf dem Boden einer alten Fabrikhalle. Es roch ein wenig nach Lack und Farbe. Wahrscheinlich eine stillgelegte Farbfabrik. Nun gut, das half mir aber kein Bisschen weiter. Weder wusste ich, wo die Fabrik sich befand, noch wusste ich, wie ich entkommen konnte und ich wusste auch nicht, wer noch alles hier war.
Wenigstens war ich nicht gefesselt, sodass ich aufstehen konnte, mich umdrehen konnte und den Schock meines Lebens bekommen konnte, als Masha einfach hinter mir stand und "Buh!" sagte. Als ich mich etwas erholt hatte, schaute ich sie verwirrt an. "Was tust du hier, und was tue ich hier?" Zwei eigentlich einfache Fragen. Doch sie schien es nicht darauf abgesehen zu haben, mit mir noch ein Wort zu wechseln. Stattdessen stieß sie einen lauten Pfiff über ihre Finger aus und animierte einige mittelbreite - in zweierlei Hinsicht - Jungen dazu, mich zu packen und in eine Nebenhalle zu bugsieren.
Hier hatten sich einige Menschen versammelt. Mädchen, oder junge Frauen, die mehr Löcher als Stoff in ihren Strumpfhosen hatten, mit groben Stiefeln auf Holzbrettern rumsprangen und mich gar nicht wirklich beachteten. Männer, größtenteils weiße, aber auch einige schwarze, mit Irokesen-Schnitt und bunten Haaren, Buttons an abgeranzten Lederjacken. Klobige Sneaker aus den Neunzigern. Ich hatte das unangenehme Gefühl, in einer Parallelwelt zu sein, in die ich absolut nicht reinpasste. Das Gewummer aus dem Ghettoblaster klang wie das monotone Arbeiten einer Maschine.
Als meine Sinne sich an die Reizüberflutung, noch gestützt durch den Einsatz von Stroboskop-Lichtern, gewöhnt hatten, sah ich nach hinten zu Masha. Dem Grund für meine Anwesenheit. "Tut mir Leid, aber ich wollte nicht, dass du die Secret-Party verpasst." Noch immer verwirrt sah ich sie an. "Ihr trefft euch also regelmäßig an einem geheimen Ort und feiert eine Party?" fragte ich, nur um sicherzugehen, dass Secret-Party nicht irgendein merkwürdiger Name für eine Single-Börse oder das Anheuern von Prostituierten war.
"Ja, ungefähr so sieht's aus." Sie zuckte die Schultern, schob mich zu ein paar Paletten, auf die sie sich stellte und mich zu ihr hochzog. Es gefiel mir nicht, dass sie bestimmte, was ich tat, aber da mein Schädel immer noch dröhnte, machte ich kein großes Drama daraus. "Hört mal zu Leute, das ist Ariel, ein Bekannter von mir. Bitte nehmt ihn lieb auf, er ist noch ein wenig schüchtern."
Wie ein trotziges Kind verschränkte ich bei diesen Worten meine Arme vor dem Körper und schob meine Unterlippe leicht nach vorne zu einem Schmollmund. Ich fühlte mich nicht wohl zwischen diesen Punks und Alternativen. Ich war verglichen mit ihnen ein Spießer, trug heile Klamotten, hatte die Haare nur ein bisschen hochgegelt und sie waren langweilig dunkelbraun, wie immer. Ich passte einfach nicht hier rein.
Einer der Typen, die mich hier rein bugsiert hatten, stellte sich als Dennis vor, bot mir einen Schnaps an und weil ich nicht ganz so spießig sein wollte und Masha noch vor unserem ersten Zweierdate abweisen wollte, trank ich mit ihm. Ein Pinnchen folgte dem nächsten, bis wir zu viert eine ganze Flasche Wodka geleert hatten. Auf meiner Armbanduhr drehten sich die Zeiger schon ein wenig im Kreis, als wir die Flasche wegstellten und eine Brandschutzleiter an der Fassade des Gebäudes hochstiegen, um von oben den Sternenhimmel zu sehen und ein wenig frische Luft zu schnappen. Dass es lange her war, dass ich so viel getrunken hatte, machte sich langsam bemerkbar, denn von Minute zu Minute wurde mir immer übler zumute, wurde ich gleichzeitig aber auch schrecklich müde. Ich hoffte, dass die Müdigkeit stärker war als der Brechreiz. Dann hatte ich zwar morgen früh einen Brummschädel, aber damit ließ es sich besser leben, als mit vollgekotzten Sachen, ganz abgesehen davon, wie peinlich es mir wäre, bei Mashas und meinem ersten Treffen direkt zu kotzen.
Dennis hatte glücklicherweise eine Flasche Wasser mit. Schön kühles stilles Wasser. Langsam trank ich und beides wurde besser. Die Übelkeit ging zurück und das kühle Wasser in meinem Organismus machte meinen Körper wieder munterer. Nach einer halben Stunde etwa ging ich wieder nach unten, blieb vorerst bei Wasser und sah noch so grade, wie Masha mit einem Typen in Richtung der ehemaligen Mitarbeiter-Toiletten verschwand.
Ab diesem Zeitpunkt war mir dann alles egal. Ich trank mehr und immer mehr und irgendwann wurde alles schwarz.
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Der Morgen danach war die Hölle. Hatte ich mir nachts noch gewünscht, nicht zu brechen, wünschte ich mir jetzt einfach nur Erlösung. Ich fühlte mich hundeelend. So elend, dass ich erst nicht merkte, dass die Badewanne, in der ich aufgewacht war, nicht zu dem Bad meines Hotelzimmers gehörte, sondern ich viel mehr schon wieder in komplett fremder Umgebung aufgewacht war.
Nachdem ich mir kaltes Wasser ins Gesicht gespritzt hatte, begab ich mich auf die Suche nach meiner Kleidung. Hier im Bad war sie schonmal nicht. Ich verließ den Raum mit kalten Füßen und schlich über den Flur in das gegenüberliegende Zimmer, dessen Tür einen Spalt breit geöffnet war. Da lagen meine Hose, mein Hemd, meine Boxershorts, meine Schuhe standen weiter weg, sie sahen aus, als hätte ich sie heute Nacht einfach nur weggeschleudert. In dem Bett, das in der Ecke des Raumes stand, sah ich nur blaue Haare und einen schwarzen Notenschlüssel im Nacken der Person.
So leise wie nur irgend möglich, zog ich mich an. Doch natürlich hatte ich kein Glück. Das Mädchen erhob sich und sie war splitterfasernackt. Genauso verwirrt und verkatert wie ich und bedachte mich, nachdem sie eins und eins zusammengezählt hatte, mit einem Blick, der genau das aussagte, was ich fühlte. Ich dachte, du wärst anders. Ich hatte es sowasvon verkackt. Ich machte mir nicht einmal die Mühe mich zu entschuldigen, denn es half ja doch nichts. So schnell ich konnte, verließ ich die Wohnung, die offenbar Maras Eltern gehörte und versuchte mich draußen wieder zu orientieren. Bitte einmal rückgängig machen. Die ganze Nacht. Einfach Apfeltaste Z drücken, Gott, wenn es dich irgendwo gibt.
Mein Walk of Shame dauerte länger als erhofft. Mein Handy hatte heute Nacht den Geist aufgegeben, oder aber der Akku war leer, sodass ich keine Ahnung hatte, wie ich nach Hause kommen sollte, doch mit viel höflichem Fragen, kam ich wieder sicher im Hotel an, wo ich erstmal ausgiebig duschte, mir dann beim Bäcker was zum Frühstücken holte und meinen Kater mit einer Aspirintablette und Wasser bekämpfte. Nachdem mein Handy an der Ladestation war, vibrierte es mehrmals. Sieben verpasste Anrufe, drei von Mama und Papa, drei von Basti und einen von einer unbekannten Nummer. Heute Morgen, um 6:14 Uhr. Unzählige Nachrichten kamen noch dazu. Zuerst versicherte ich meinen Eltern, dass alles gut war, dass ich nur meinen Akku hatte ausgehen lassen, dass ich mir gute Chancen auf die Wohnung ausrechnete.
Die Wohnung... Masha und ich hatten uns noch nicht geeinigt. Allein schon als Entschuldigung für heute Nacht überlegte ich doch stark, ob ich sie ihr einfach überlassen sollte. Das konnte ich ja noch entscheiden, wenn ich bei den anderen Besichtigungen gewesen war. Die waren etwas zentrumsnäher, eine Jungs-WG, die einen Nachmieter suchte. Wenn sie nicht unbedingt rechts waren oder totale Chaoten, konnte ich mir das durchaus vorstellen. Und sie waren mir wahrscheinlich auch nicht böse, wenn ich verkatert auftauchen würde. Vielleicht würde das meine Chancen ja sogar steigern. Wobei sich wahrscheinlich viele nach dem Zimmer die Finger leckten, da es erschwinglich war in einer guten Lage.
Die zweite war eine gemischte WG, fünf Leute, zwischen 20 und 30, die aber nur jemanden zur Zwischenmiete suchten, bis zum Ende des Wintersemesters.
Die Jungs-WG war also derzeit mein Favorit. Und so lernte ich Johannes und Till kennen. Meine heutige Wohngemeinschaft.
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Ich werde wohl im nächsten Kapitel mal eine Liste mit allen Tracks machen, auf denen die Kapitelüberschriften basieren!
Bis dann, ich hoffe es gefällt!
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Skyline #wattys2016
RomanceEs war so, es ist so und es wird auch immer so bleiben. Das gilt für viele Dinge im Leben, aber im Leben von Ariel Schwarzkopf gilt es für eine Sache besonders. Die Skylines großer Städte haben ihn schon immer fasziniert. Seit er ein kleines Kind wa...