Ich grinste in den Telefonhörer.
"Ja, Lucas. Ich muss jetzt aber wirklich los zur Arbeit, sonst komme ich noch zu spät und verliere meinen Job. Willst du das etwa?"
"Nein, natürlich nicht.", erklang Lucas warme Stimme vom anderen Ende der Leitung. "Ich will aber auch nicht aufhören, deine Stimme und dein Lachen zu hören."
"Du bist kitschig. Wir sehen uns ja morgen in der Schule."
"Ja. Bis morgen. Ich liebe dich."
"Ich liebe dich auch."
Ich lauschte auf das leise Klicken, das zeigte, dass die Verbindung getrennt war und legte dann auch auf. Wie jeden Nachmittag, wenn wir uns in der Schule nicht sahen, hatten Lucas und ich telefoniert. Eineinhalb Stunden lang. Mom würde mich umbringen, wenn sie die Telefonrechnung sah.

Homecoming war jetzt fast sechs Wochen her und es waren die schönsten sechs Wochen meines Lebens gewesen. Alle hatten mich immer gewarnt, dass ich mich ganz schön verzetteln könnte mit meiner Schwärmerei für Lucas und er sich möglicherweise als ganz anders herausstellen würde, als ich dachte, doch dem war nicht so. Er war immer noch genau so, wie er war, als ich ihn nur aus der Ferne gekannt hatte. Er war zuverlässig, lieb, konnte ein Clown sein und mich immer zum Lachen bringen, aber ebenso oft war er auch ernst und nachdenklich. Wir konnten über Gott und die Welt reden und auch ernsthaft diskutieren, ohne uns zu streiten und wir hatten ein paar wundervolle Dates gehabt.

Einmal hatte er mitten in der Nacht vor meinem Fenster gestanden und Steinchen an die Scheibe geworfen, bis ich aufwachte. Als ich den Kopf hinausstreckte, um zu fragen, was das sollte, hatte er mich nur zu sich hinuntergewunken. Also hatte ich mich schnell umgezogen, war auf Zehenspitzen die Treppe hinuntergeschlichen und hatte mich zu ihm ins Auto gesetzt. Auf meine Frage, wohin wir denn fuhren, schüttelte Lucas nur den Kopf und lächelte geheimnisvoll. Nach etwa zwanzig Minuten hielt er dann auf einem Hügel etwas außerhalb unseres Städtchens und breitete eine Decke im Gras aus.
„Die Nacht ist perfekt zum Sternengucken", sagte er und wir legten uns Seite an Seite auf die Decke und schauten in den Himmel. Die Sterne leuchteten hell und strahlend, wie kleine Lämpchen an einer tiefblau bemalten Zimmerdecke und Lucas zeigte mir in dieser Nacht unendlich viele Sternbilder, zu denen er mir mit sanfter Stimme Geschichten erzählte.

Irgendwann, die Sterne begannen schon zu verblassen, sah er mich von der Seite an.
„Stacey", sagte er mit ernster Stimme, „du weißt, dass ich dich liebe, oder?"
Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen und ich nickte. „Ich liebe dich auch, Lucas", flüsterte ich und er beugte sich vor und küsste mich sanft.

Seitdem schlich sich jeden Abend, bevor ich einschlief, diese Nacht in meine Gedanken, in der wir einander zum ersten Mal sagten, dass wir uns liebten.

Die Stimme meiner Mutter riss mich aus meinen Gedanken. „Stace, Schatz, du weißt, dass du nur noch zehn Minuten hast, bis du im Café sein musst, oder?"
Ich sah auf die Uhr. Verdammt, Mom hatte Recht. Ich war letzte Woche schon mal zu spät gekommen, wäre ich haute wieder unpünktlich, würde Arthur mir den Kopf abreißen.
Ich stürmte die Treppe hinunter, schlüpfte in meine Schuhe, schnappte mir den Autoschlüssel und meine Handtasche und saß keine dreißig Sekunden später in Moms altem grasgrünen Ford.
Zum Glück war mein Weg nicht weit, wenn ich schnell fuhr und mich nicht allzu sehr von Ampeln beeindrucken ließ, schaffte ich es in fünf Minuten.

Um Punkt siebzehn Uhr dreißig betrat ich meinen Arbeitsplatz, das Old Ivy Café. Warum genau es diesen Namen trug, wusste niemand, nicht einmal Arthur selbst. Er hatte es vor fünfundzwanzig Jahren eröffnet, kurz nachdem er festgestellt hatte, dass die Juristerei doch nichts für ihn war und er lieber kochte und buk und Menschen seine Lebensgeschichte erzählte, denn niemand, der an die Bar ging und sich etwas bestellte, blieb davon verschont.
Das Old Ivy sah von außen dermaßen abgerissen aus, dass sich in keiner anderen Stadt jemand hineingetraut hätte, doch bei uns war es das einzige Lokal, dass Schüler und Studenten sich leisten konnten und kein Fastfood-Restaurant war. War man jedoch erst mal durch die Tür getreten, befand man sich in einem heimeligen, kleinen Raum. Mit einer Bar an einer der kurzen Seiten, sechs oder sieben Tischen aus dunklem Holz und dazu passenden Stühlen sowie einer bunten Sammlung alter, abgewetzter Sessel und Sofas und Couchtischen vor einer kleinen Bühne, auf der abends manchmal örtliche Bands und Sänger auftraten oder auch Poetryslams veranstaltet wurden, war das Old Ivy ein Ort zum Wohlfühlen.

Ich betrat durch die Tür neben der Bar das kleine Hinterzimmer, zog mir meine „Arbeitskleidung" an (dunkle Jeans und ein grünes Shirt) und steckte meinen Kopf kurz in die Küche, um Arthur zu begrüßen.
„Das hast du ja gerade noch rechtzeitig geschafft", grinste er und zwinkerte mir zu. Ich nickte erleichtert, denn ich liebte meinen Job hier. Klassenkameraden hatten mich schon oft gefragt, warum ich kellnerte, obwohl ich das Geld gar nicht brauchte, doch ich liebte diesen Ort einfach. Und außerdem sparte ich auf meinen großen Traum, einmal eine Weltreise zu machen.
Wie immer war es ruhig in meinem heißgeliebten Old Ivy Café, nur ein Junge saß an einem Tisch und schrieb etwas in ein Notizbuch und ein junges Pärchen unterhielt sich leise auf der rostroten Couch; es wurde immer erst gegen halb sieben voller, dann kam auch Alina als zweite Kellnerin. Ich hatte also die Ruhe, mich hinter die Bar zu stellen und gemütlich die benutzten Gläser abzuspülen und zu trocknen. In jedem normalen Café hätte man für so etwas eine Spülmaschine, doch Arthur hielt von so viel „technischem Schnickschnack" nichts, sodass das Old Ivy auch eine Handy- und Computerfreie Zone war. Wenn er jemanden mit einem dieser beiden Geräte erwischte, konnte der sonst so gemütliche und freundliche Arthur genauso fuchsig werden, wie wenn ich zu spät kam.

Es war inzwischen zehn vor neun und das Café war voll von lärmenden, lachenden Jugendlichen, die alle bedient werden wollten. Die meisten Tische waren schon versorgt und ich war gerade auf dem Weg in die Küche, um für den Ecktisch, an dem wie jeden Donnerstagabend das Footballteam unserer Schule saß, eine neue Schale von Arthurs scharfem Nacho-Dip zu holen, als ich diese junge Frau etwas verloren mitten im Raum stehen sah. Sie war vielleicht sechs oder sieben Jahre älter als ich, ein Stückchen kleiner und hatte wilde dunkle Locken, die ihr offen über die Schultern fielen.
„Entschuldigung, kann ich Ihnen helfen?", fragte ich sie. Einen Moment lang sah sie mich etwas verwirrt an, dann lächelte sie dankbar.
„Könntest du mir vielleicht sagen, wo ich den Besitzer einen...", sie blickte auf einen Zettel in ihrer Hand, „... einen Arthur Cullers finden kann?"
Ich nickte, bat sie, kurz zu warten und flitzte in die Küche.
„Arthur, ich brauch noch eine Schüssel von dem scharfen Dip und da draußen möchte jemand mit dir sprechen. Die mit den Locken, die alleine rumsteht."
Und damit schnappte ich mir das Schüsselchen, das Arthur mir wortlos hingehalten hatte und eilte zurück zum Football-Tisch, wie er für eigentlich alle inzwischen inoffiziell hieß.
Während ich Tisch um Tisch abklapperte, Bestellungen aufnahm und vorbeibrachte und kassierte, beobachtete ich aus dem Augenwinkel, wie das Mädchen und Arthur sich kurz unterhielten und sie dann lächelnd seine Hand schüttelte und verschwand.

Um Punkt neun Uhr kam meine Ablösung, eine Physikstudentin namens Lily, hinter der Bar hervorgeeilt, sodass ich mich etwas erschöpft zurückziehen konnte.
In der Küche stand auf einem Teller schon meine obligatorische Feierabendpizza bereit, zu Anfang hatte ich immer danach gefragt, nach ein paar Wochen hatte Arthur sie mir kommentarlos hingestellt. Ich lehnte mich an den inzwischen ausgeschalteten Ofen und fragte zwischen zwei Bissen: „Wer war das eigentlich?"
„Ach, nur eine Sängerin, die gefragt hat, ob sie am Samstag hier singen darf.", antwortete mein Chef schulterzuckend. „Darf sie natürlich."
Ich nickte und verputzte schweigend den Rest meiner geliebten Thunfischpizza.

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