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Meine Mutter konnte keine Minute stillstehen an diesem Morgen. Bei jedem noch so kleinen Geräusch zuckte sie zusammen und schaute zur Tür, als könne sie den Imperiden bereits sehen, der bald an unsere Tür klopfen würde. Sie ging hin und her, fuhr sich selbst mit den Fingern durch die Haare und kam dann wieder zu mir, um einzelne Haarsträhnen zurecht zu streichen. So hübsch wie heute hatte ich mich noch selten zurechtgemacht: Ich trug einen ärmellosen, schwarzen Einteiler, hatte meine Haare zu einem lockeren Dutt zusammengefasst und meine Wimpern etwas getuscht, was ich ansonsten nur an einem Feiertag tat. Mutter hatte darauf bestanden und ich hatte mich nicht dagegen gewehrt. Schließlich wollte vorbereitet sein und mich an die Vorschriften halten, sodass ich nicht in irgendeiner Weise auffallen würde.

Gepäck hatte ich keines vorbereitet. Es war nicht gestattet, Eigentum mit in den Innenring zu bringen. Ich räumte den Tisch ab, nachdem wir zu Mittag gegessen hatten. Mein Vater war heute ruhiger als sonst, so zeigte sich die Anspannung bei ihm. Wir im Außenring erfuhren nie wirklich, was genau die Vertiden nach der Initiation erwartete. Die große Ungewissheit verunsicherte uns alle, sowohl die Eltern als auch die Mädchen. Um nicht untätig herumzusitzen, spülte ich das Geschirr und trocknete es ab. Meine Hände zitterten dabei leicht, obwohl ich mir meine Aufregung nicht anmerken lassen wollte.

Als es an der Tür klopfte, blieb mein Herz für eine Sekunde stehen. Ich hatte gewusst, dass wieder Moment kommen würde, und doch erschreckte er mich zutiefst. Die Spannung, die in der Luft lag, war beinahe greifbar, und die Stille unerträglich. Ich schloss die Augen, während ich meine nassen Hände an einem Tuch trocknete, und atmete tief ein und aus. Nun war es so weit. Ich drehte mich um, ging an meiner Mutter vorbei zur Tür und streifte im Vorbeigehen ihre Schulter zur Beruhigung. Ich zögerte nicht, als ich nun zum Türgriff fasste und daran zog.

„Cecily Dilea, wir dürfen Sie herzlich im Kreis der Vertiden begrüßen. Sie haben kurz Zeit, sich von ihrer Familie zu verabschieden und werden sich dann mit uns zum Innenring begeben." Die Worte zogen an mir vorbei, während ich den Imperiden musterte, der vor mir stand. Er war groß, machte einen ernsten, aber keinesfalls unfreundlichen Eindruck. Er konnte nicht allzu alt sein, also war das hier vielleicht ebenso neu für ihn wie für mich. Ich spielte meine Rolle gut, indem ich nun große Augen machte und mir die Hand vor den Mund schlug, als hätte ich nicht schon gewusst, dass es zu diesem Besuch kommen würde. Hinter mir hörte ich, wie mein Vater seinen Stuhl zurückschob und aufstand. Ich wich ein paar Schritte vor dem Imperiden zurück und schaute mich zu meinen Eltern um. Meine Mutter kämpfte mit den Tränen, also trat ich zu ihr und umarmte sie. Der Anblick brach mir fast das Herz. „Mama, es wird alles gut. Mir wird es gut gehen, Papa wird auf dich aufpassen." „Mein Mädchen!", war alles, war sie über die Lippen brachte, bevor ihre Stimme brach. Ich trat einen Schritt zurück und wischte ihr eine Träne von der Wange. Dann wandte ich mich meinem Papa zu. So oft ich diese Situation auch in Gedanken durchgespielt hatte, war es nun doch schwer, das Geplante durchzuführen. Ich hatte einen Kloß im Hals, als mein Vater mich in die Arme nahm. „Mein großes Mädchen! Du wirst das schaffen. Ich wünsche dir nur das Beste und hoffe, dass wir von dir hören werden. Mach dir um uns keine Sorgen." Widerwillig wand ich mich aus seiner Umarmung und schaute ihm dankbar in die Augen. Natürlich war mein Plan, bald hierher zurückzukehren, wenn ich die Imperiden erfolgreich überlisten konnte. Aber sollte dies nicht funktionieren, würden mir die Worte meines Vaters im Gedächtnis bleiben. Ich nickte ihm zu, kehrte meinen Eltern dann aber entschlossen den Rücken zu und trat zum Imperiden. „Ich bin bereit."

„Wir werden bald den Innenkreis erreichen, Cecily. Die Initiationsgebäude befinden sich direkt an der Grenze, sodass wir bald dort ankommen werden. Du wirst zuerst alleine in einen kleinen Raum gebracht, in dem du deine Kleidung wechseln kannst. Anschließend verlässt du den Raum durch die Tür an der gegenüberliegenden Seite. Dort befindet sich gleich der Prüfungsraum. Du bist eine der ersten und wirst es somit bald hinter dir haben", erklärte mir der Imperide und schenkte mir die Andeutung eines Lächelns, wahrscheinlich um mich zu beruhigen. Dass ich zum ersten Mal in meinem Leben in einer Kutsche saß, die auf den steinigen Wegen des Außenrings kräftig gerüttelt wurde, dabei einem Imperiden so nahe war, dass ich ihn hätte berühren konnte, und auf dem Weg in den Innenring war, den ich noch nie zuvor gesehen hatte, trug nicht gerade zu meiner Entspannung bei. Nervös spielte ich an meinem Armband, allerdings schaffte er es tatsächlich, mir mit seinen Erklärungen etwas von der Anspannung zu nehmen, die die Ungewissheit mit sich brachte. „Die Prüfung wird zwar anstrengend für dich, aber dir kann nichts passieren und du kannst nichts falsch machen. Es gibt also keinen Grund zur Angst. Du wirst durch einen Imperiden, der mit seiner Gabe deinen Geist kontrollieren kann, in verschiedene Situationen gebracht. Dabei wird er dein Verhalten beobachten. Es findet hierbei alles in deinem Kopf statt. Nur dein Geist wird vom Imperiden beeinflusst und gelenkt, dessen solltest du dir bewusst sein. Somit bist du, oder zumindest dein Körper, in völliger Sicherheit. Allerdings musst du bereit sein, dich deinem Prüfer komplett zu öffnen." Er schaute mir nun direkt in die Augen und verlieh so seinen Worten Nachdruck. „Wirst du nicht kooperieren und dich wehren, ist es dem Imperiden erlaubt, dich zu ... überzeugen, mitzuspielen." Er bedachte mich mit einem Blick, der mir riet, diese Situation zu umgehen. Genau das könnte das Problem an meinem Plan werden. Wie konnte ich mich öffnen und doch meine Flamme unter Kontrolle halten? Das Unterfangen schien schwerer zu werden als vermutet. „Normalerweise dauert die Prüfung ungefähr eine Stunde, aber es wird dir nicht so lange vorkommen. Danach wirst du auf dein Zimmer gebracht, bis deine erste Trainingsstunde ansteht, und anschließend gibt es ein Abendessen, bei dem du zum ersten Mal auf die anderen Vertiden treffen wirst. Allerdings werdet ihr dieses Jahr nicht so viel Zeit haben, euch kennenzulernen. Der König hat die Initiationszeit verkürzt, sodass ihr nur zwei Tage anstelle von zwei Wochen im Trainingszentrum sein werdet. Das restliche Training wird in den Häusern der Partner stattfinden."

„Wieso die ganzen Ausnahmen in diesem Jahr?", brach ich mein Schweigen, da ich wirklich neugierig war und mich so von meiner Aufregung ablenken konnte. Allerdings zuckte der Imperide nur mit den Schultern. „Der König gibt nicht viel über seine Pläne preis. Allerdings ist es bekannt, dass Sinistra immer mehr an Stärke gewinnt und sich die Überfälle auf andere Städte häufen. Deshalb ist es wichtig, so viele Partnerschaften wie möglich zu schließen und dies schnellstmöglich, damit Lapis bei einem eventuellen Angriff durch Sinistra gewappnet ist." Ich nickte. So etwas in der Art hatte sich im Außenring herumgesprochen. Allerdings schienen mir zwei Tage zur Vorbereitung auf das neue Leben doch wenig. Hoffentlich würde es für mich gar nicht erst soweit kommen.

„Wir sind da", sagte der Imperide knapp und öffnete die Tür. Ich stieg aus, kniff die Augen gegen die Sonne zusammen und hielt mich an der Kutsche fest. Wir hatten im Außenring weder Kutschen noch große Gebäude wie dieses, welches vor mir stand. Stumm folgte ich dem Imperiden zur Tür, die er einladend für mich aufhielt. „Ich wünsche dir einen angenehmen Aufenthalt und eine schöne Zeit, Cecily", verabschiedete sich der Imperide von mir. Ich hob zum Abschied kurz die Hand und trat dann an ihm vorbei in den Raum.


Die Flamme - Magie des Feuers (Leseprobe)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt