Gespräch zwischen L und Light

5.4K 135 39
                                    

Seit Tagen schon lag Light auf seiner harten Liege in der kleinen Zelle und hatte nichts mehr gesagt. Die meiste Zeit hatte er die Augen geschlossen und bewegte sich kaum, so als würde er schlafen. Aber ab und zu blinzelte er und starrte an die kahle Decke, wobei er oft tief durchatmete oder die Augenbrauen zusammenzog. In ihm schien eine Spannung zu sein, die er versuchte, zu überspielen. Doch in der engen kalten Zelle war er seinen Gedanken schutzlos ausgeliefert.
L saß auf dem Schreibtischstuhl vor den vielen Bildschirmen, die Beine an die Brust gezogen, und starrte auf den reglosen Körper. In der Hand hatte er eine Tasse Kaffee, die er immer wieder gedankenversunken an den Mund führte, um an dem heißen Getränk zu nippen. Mal wieder hatte er es vollkommen mit Zuckerwürfeln gefüllt, die ihm die nötige Energie für seine Arbeit gaben. Es war mitten in der Nacht und er war ganz alleine in dem großen Raum; seine Kollegen waren nach Hause gefahren, um zu schlafen. L schlief fast nie, höchstens drei Stunden am Tag, welche er heute schon hinter sich gebracht hatte.
Ein wenig gelangweilt ließ er seinen Blick zwischen den Bildschirmen, die Light und Misa zeigten, hin- und herschweifen, ohne eine interessante Entdeckung zu machen. Misa hatte sich wie Light regungslos in ihrem Sitz zurückgelehnt und atmete gleichmäßig ein und aus. Ihre Augen waren immer noch verbunden und sie war an die kalte Metallplatte gefesselt worden. So, wie sie dort lag, hilflos und einsam, tat sie L fast leid. Aber wenn er daran dachte, was sie alles als Kira 2 getan hatte, wechselte sein Mitgefühl zu Kühlheit. Misa hatte zwar selbst immer wieder behauptet, dass sie nichts mit diesem Kira zu tun habe, aber L war sich ziemlich sicher, dass das gelogen war. Ihre Verbindung zu Light war einfach zu verdächtig, um vollkommener Zufall zu sein. Außerdem sah es so jemandem wie Light nicht ähnlich, sich auf so jemanden wie Misa einzulassen. Da musste mehr dahinter stecken.
L wurde durch ein Stöhnen aus seinen Gedanken gerissen. Er hob den Blick und richtete ihn auf einen Bildschirm, der Light auf seiner Liege zeigte. Dieser bewegte sich schwerfällig und drehte sich stöhnend auf die Seite, sodass sein Gesicht direkt in die Kamera zeigte. Er öffnete die Augen und sah L an, auch wenn er L natürlich nicht wirklich sehen konnte, aber es kam dem Detektiven so vor, als würde er ihm direkt in die Augen sehen. Light räusperte sich leicht und öffnete den Mund, anscheinend, um etwas zu sagen. Leise erhob er die Stimme. ,,Ryusaki?", fragte er und schien eine Antwort abzuwarten.
Nach kurzem Zögern streckte L seine Hand aus und drückte mit dem Zeigefinger auf einen Knopf. Dann lehnte er sich vor und hielt sein Mund an ein Mikrofon, welches aus der Schaltfläche vor ihm ragte. ,,Ja?", antwortete er leise und starrte weiter den Bildschirm an. Als Light die Stimme des Detektiven hörte, entspannten sich seine Gesichtszüge ein wenig, nur um sich kurz darauf wieder zu erhärten. ,,Hat es seit meiner Festnahme weitere Morde gegeben?", fragte er nun und L bemerkte, wie seine Augen leicht zitterten. L dachte einen Moment nach. Ja, es hatte weitere Morde gegeben, was dafür sprach, dass Light nicht Kira und Misa nicht Kira 2 war, Dem konnten sie sich aber nicht sicher sein, da sie wussten, dass Kira die Todesursache bestimmen konnte, was bedeutete, dass Light die Morde vor seiner Festnahme schon geplant haben könnte. Wie die letzten Tage zuvor antwortete L Light also wieder mit einem ,,Nein". Light ließ die Schultern fallen und seufzte gequält, während er den Blick von der Kamera abwandte. L ließ ihn weiterhin nicht aus den Augen. Waren seine Reaktionen nur gespielt oder war Light wirklich so verzweifelt? L konnte es nicht sagen.
Einige Minuten herrschte absolute Stille und keiner sagte oder tat irgendetwas. Dann sog Light hörbar die Luft ein und drehte sein Gesicht wieder zur Kamera. ,,Ryusaki? Kannst du mir sagen, wie es Misa geht? Hat sie schon zugegeben, Kira 2 zu sein?" L hatte so eine Frage erwartet. Entweder sorgte Light sich wirklich um sie, was nur naheliegend war, da sie ja behauptete, Lights Freundin zu sein, oder Light wollte herausfinden, ob Misa nach seinen Regeln spielte. L erhob die Stimme. ,,Nein, Misa hat noch nicht zugegeben, Kira 2 zu sein. Sie fragt nur ständig nach dir."
L hatte gedacht, dass Light diese Antwort freuen würde, aber er verzog keine Miene. Dann fielen beide wieder ins Schweigen, welches schließlich von L gebrochen wurde. ,,Du, Light. Ich will dich etwas Persönliches fragen."
Dieser runzelte die Stirn und wartete neugierig ab. ,,Deine Beziehung zu Misa.", L zögerte und trank einen weiteren Schluck aus seiner Tasse. ,,Liebst du sie?"
Diese Frage zauberte ein leichtes Lächeln auf Lights Lippen. ,,Sie ist etwas gewöhnungsbedürftig, aber alles in allem ist sie eine liebenswürdige Person."
Oder sie ist Kira 2 und du nutzt sie nur aus, fügte L in Gedanken hinzu. Das war aber gar nicht das gewesen, was er von Light hatte wissen wollen. ,,Also liebst du sie.", erwiderte er leise und senkte den Blick auf seine rechte Hand, die fest die Kaffeetasse umklammert hielt. ,,Ich wollte nur wissen...", setzte er einige Augenblicke später an, zögerte aber dann erneut. ,,Wie fühlt es sich für dich an, bei ihr zu sein?", sprach er schließlich seine Gedanken aus und Light hob verwundert über so eine Frage den Kopf. ,,Nun ja.", sagte er und setzte sich ganz auf. ,,Es ist nicht gerade so, dass ich nervös werde und meine Knie anfangen würden zu zittern, wie es sonst so oft beschrieben wird. Aber wenn sie bei mir ist, habe ich immer..." Light brach kurz ab und senkte den Blick. ,,Da habe ich immer so einen Beschützerinstinkt. So als wäre sie etwas, was ich unbedingt vor jeglichem Schaden und Leid fernhalten müsste." L nickte, obwohl er wusste, dass Light ihn nicht sehen konnte. Er wollte etwas sagen, doch musste sich vorher räuspern, da seine Stimme versagte. ,,Weißt du, Light, ich hatte noch nie eine Freundin. Noch nicht mal körperliche Nähe zu einem Mädchen."
Light sah wieder auf und wenn L sich nicht täuschte, hatte er tatsächlich einen mitleidigen Gesichtsausdruck. ,,Mach dir nichts draus, Ryusaki. Das kommt noch.", wollte er ihn aufmuntern, doch der Versuch schlug fehl. L erwiderte nichts mehr und stellte die Kaffeetasse auf der Fläche vor ihm ab, um seine Arme um seine Beine zu legen. Er positionierte das Kinn auf seinen Knien und starrte auf den Boden. Nach einigen Minuten bemerkte Light, dass Ryusaki nicht mehr antworten würde, und legte sich wieder hin. Er schloss wie zuvor die Augen und machte keinerlei Anstalten mehr, irgendein Lebenszeichen von sich zu geben. Nach kurzem Zögern streckte L wieder die Hand nach dem Knopf aus, der ihn mit Lights Zelle verband, und drückte ihn. ,,Danke, Light.", flüsterte er in das Mikrofon, bevor er sich zurücklehnte und schließlich in einen leichten Schlaf fiel, der bis zum Morgen dauerte.

Oneshots zu Death NoteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt