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Die kalte Luft strömte bei jeder Person, die die Bibliothek betrat, in mein Gesicht frieren. Es war alleine schon eine Qual hier zu stehen, mit Kopfschmerzen und zitternd vor der eisigen Kälte, die mich umgab. Hoffentlich nahm es bald ein Ende und ich war befreit von diesem Buch. Es fühlte sich irgendwie so an, als ob ein Fluch auf mir liegen würde, denn nur ich konnte dieses Buch nicht anfassen, geschweige denn in seine Nähe kommen. Was war nur los mit mir? Ich war wahnsinnig geworden, so wie es aussah.

"Ich möchte gerne das Buch hier zurück geben.", erklang eine helle Stimme, die mir bekannt vor kam. Als ich aufsah blickte ich in zwei unschuldige, grüne Augen, die mich freudig anstrahlten. Louis?

"Guten morgen. Mein Sohn hat das Buch gestern hier ausgeborgt, war aber natürlich am selben Tag wieder fertig. Könnten wir uns ein neues ausborgen?", seine Mutter lächelte mich schüchtern an, die Ereignisse vom vorherigen Tag schienen sie immer noch zu belasten.

"Natürlich. Kommst du mit mir mit, dann suchen wir etwas Neues für dich aus.", mein Magen rebellierte alleine bei dem Gedanken, meinen Platz hinter dem Verkaufstresen zu verlassen. Zudem liegt das Abteil für Kinder und Jugendbücher ganz hinten. Das würde heftig für mich werden. Gemeinsam mit Louis wagte ich mich von dem Tresen hervor und lief neben ihm den Hauptgang entlang.

"Es tut dir weh, oder?", sagte der kleine Junge, mit seinen großen Augen musterte er mein blasses Gesicht. Ich versuchte ruhig zu bleiben, atmete tief durch, konzentrierte mich auf den Weg.

"Wovon sprichst du?", presste ich mühselig hervor, als wir den letzten Gang erreicht hatten. Der Schmerz wurde immer schlimmer, ich verzog mein Gesicht und musste mich kurz abstützen.

"Das Buch. Es tut dir weh, wie meiner Tante. Sie musste auch warten, bis sie zu ihm konnte.", antwortete Louis, lief zielstrebig auf das Regal mit den Kinderbüchern zu und zog einfach eins heraus.

"Komm, lass uns gehen, bevor dein Schmerz noch schlimmer wird.", lächelte der Kleine und nahm meine Hand. Woher wusste er Bescheid? Wer war seine Tante? Hatte sie dasselbe wie ich?

"Ich erzähle dir alles von meiner Tante heute Nacht, ja?"

"Wie willst du das anstellen? Ich fahre gleich nachhause.", ich holte erleichtert Luft, als ich wieder hinter dem Verkaufstresen stand und der Schmerz allmählich nachließ.

"Na, ich komm dich in deinem Traum besuchen, wo sonst?", er lächelte verschmitzt, als ich ihm das Buch, nachdem ich alles eingetippt hatte, wieder reichte. Geschockt starrte ich Louis und seiner Mutter hinterher, die Gänsehaut breitete sich auf meinen ganzen Körper aus. Dieser kleine Junge wusste mehr als ich. Und genau das beunruhigte mich.

******

Das Rascheln der Blätter erfüllte den gesamten Wald, die warme Brise fur durch mein zersaustes Haar. Die Bäume waren geschmückt mit allerlei Früchten, über die sich die hungrigen Vögel hermacht. Ein paar kleine Eichhörnchen versuchten auch ihr Glück, um etwas essbares zu finden, hatten aber kaum eine Chance. Das einzige, graue Eichhörnchen in der Truppe musterte mich argwöhnisch und starrte mich mit seinen kleinen Knopfaugen an.

"Was ist den, Kleiner?", murmelte ich und streckte meine Hand aus, um dem Tier ein paar Nüsse zu geben. Gierig flitzte es von dem Ast herunter und blieb vor mir sitzen. Es legte seinen kleinen Kopf schief, als seine schwarzen Augen plötzlich gold wurden.

"Ernsthaft? Nüsse? Wie ich diese Dinger hasse! Gib mir lieber einen Burger oder ein Steak.", beschwerte sich mein plötzlich aufgetauchtes Zweites Ich. Argwöhnisch musterte sich mich vob oben bis unten, verschränkte ihre zarten Arme vor ihrer...nackten Brust? Oh gott. Schnell kniff ich die Augen zusammen, sie musste sich dringen was anziehen.

"Bist du wahnsinnig?! Ein pinkes Kleid? Wenn du das nicht sofort umtauschst gegen etwas Schwarzes dann sorge ich höchstpersönlich dafür, das du dieses quietschige Etwas auf isst.",kreischte Maya hysterisch und verschreckte damit so ziemlich alle Tiere in der Umgebung.

"Schon gut, tut mir leid.",murmelte ich und öffnete meine Augen, vor mir stand mein perfektes,zweites Ich. Mayas langen,silbernen Haare umspielten ihre Schultern und reichten ihr bis zur Taille. Die goldenen Augen strahlten so hell wie die Sonne und ihr schwarzes Kleid saß wie eine zweite Haut. Sie war wunderschön.

"Hör auf zu gaffen und erzähl' mir lieber warum du dieses verdammte Buch nicht einfach in Ruhe lässt.", schnaubte sie verärgert und setzte sich neben mich in die Wiese. Ich war immer noch ein wenig irritiert, dass Maya so plötzlich vor mir stand. Meine Traumwelt sponn in letzter Zeit herum, nichts lief mehr wie geplant.

"Ich weiß es nicht.", flüsterte ich und zupfte an den Grashalmen herum. Was geschieht nur mit mir? Warum hatte ich in letzter Zeit nicht einmal meine Ruhe wenn ich schlief? In meinem eigenen Traum konnte ich normalerweise meine Seele baumeln lassen, und jetzt?

"Ach, Vivie. Du tust dir nur selbst damit weh. Warte einfach ab.", aufmunternd legte sie mir den Arm um meine Schultern,"Ich würde dir gerne helfen, aber ich weiß selbst nichts über das Buch."

Niemand schien das, außer Louis und seine geheimnisvolle Tante. Wer war diese Frau?
Zwischen Maya und mir wurde es Still, ich sah mich um und versuchte die herrliche Aussicht zu genießen. Wälder waren einfach so unbeschreiblich geheimnisvoll und mysteriös.
Während ich meinen Blick von einem Baum zum anderen gleiten ließ, beschlich mich das komische Gefühl, beobachtet zu werden. Ich fühlte, wie zwei Augenpaare auf mich ruhten, aber es war niemand zu sehen.

"Was war das?", Maya riss erschrocken ihre Augen auf, als ein lautes Rascheln die Stille unterbrach.

"Hallo, Träumerin.", erklang eine helle, klare Stimme. Das konnte nicht sein. So etwas konnte nie im Leben funktionieren. Oder?

Das Mädchen, das durch die Träume wandelte.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt