Donnerstag, der 2. 6. 2013
Lieber Bruder,
Weisst du noch, als du gesagt hast, dass das Leben immer da Schluchten aufreisst, wenn man es am wenigsten erwartet?
Heute haben sie deinen Körper gefunden. Eine der Schwestern hat mich zur Leichenhalle gebracht, damit ich bestätigen konnte, dass du es warst. Sie hat vor der Türe gewartet, weil sie sich deinen Anblick ersparen wollte.
Ich trat durch die Türe in die Kälte des Raumes. Auf einem Metalltisch lagst du. Deine Haut war aufgequollen und unnatürlich weiss. Deine Augen waren geschlossen, deine Lippen zusammengepresst und deine Arme lagen neben deinem Körper. Wenn ich es nicht genauer gewusst hätte und deine Haut in irgendeiner Weise normal ausgesehen hätte, hätte ich gedacht du schläfst, was du ja genau genommen auch tust. Du schläfst und wirst nie wieder aufwachen.
Ich bin zu dir hingegangen und habe deine Hand gehalten. Sie war kalt aber ich konnte dich nicht loslassen, denn das Gefühl dich komplett zu verlieren war einfach... unbeschreiblich.
Als ich das nächste Mal auf die weisse Uhr an der Wand schräg über dem Tisch schaute, waren bereits zwei Stunden vergangen, zwei Stunden, in denen ich deine Hand hielt und einfach nur da stand. Der Gerichtsmediziner hatte eine Hand auf meine Schulter gelegt und wartete auf eine Bestätigung. Als ich zu ihm hoch sah, schaute ich in mitleidige Augen. Ich will nicht bemitleidet werden, die wissen alle nicht wie sich das anfühlt, von allem verlassen zu werden, was man liebt!
Ich konnte deine Hand nicht loslassen, ich wollte dich nicht alleine lassen.
Als ich dem Blick des Mediziners nochmal begegnete, hielt ich es nicht mehr aus. Tränen der Trauer und der Wut liefen mir die Wangen herunter, ich drehte mich um und ging zur Türe. Als ich mich noch einmal umdrehte und dich sah nickte ich, zur Bestätigung und verliess mit von Tränen verschleiertem Blick diesen Raum, indem du nun das letzte Mal ruhig schlafen konntest.
Im Waisenhaus war die Stimmung bedrückt. Alle wussten, dass du nicht mehr Heim kehren wirst, aber niemand wusste genau warum. Jetzt sitze ich in meinem Zimmer und starre die Tür, die mein Zimmer mit deinem verbindet an, in der Hoffnung, es wäre alles nur ein Albtraum und du würdest die Türe öffnen und dich zu mir aufs Bett fallen lassen.
Ich würde dir von meinem Traum erzählen und du würdest lachen über diese Vorstellung.
Ich liebe dich
xx
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Short Storydas Leben reisst immer da Schluchten auf, wenn man sie am wenigsten erwartet