Kapitel 26

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Sein Wecker piepte. Sylvester stöhnte und wälzte sich aus dem Bett. Der Kampf gegen Akira saß ihm immer noch im Nacken. Irgendwann fallen alle Fassaden, und der Mensch zeigt sich als das, was er wirklich ist. Ein Tier. Durch die Assassin GmbH bin ich zu einem Tier geworden.

Er schaltete das nervende Geräusch des Weckers ab und warf wie jeden Morgen einen Blick in diesen wunderschönen, alten Spiegel. Zu seinem Erstaunen sah er heute nicht so müde aus wie sonst. Die Stoppeln an Kinn und Wangen verrieten zwar, dass er sich mal wieder rasieren sollte, und auch die Augenringe waren noch da, aber insgesamt merkte man ihm den Schlafmangel nicht mehr an.

Von den vielen Trainingseinheiten hatte er Muskeln an beiden Oberarmen entwickelt und in der Magengegend bemerkte er leichte Ansätze eines Sixpacks. Um die Schultern herum war er breiter geworden und die Hüften waren jetzt schmäler. Ich muss ja früher ausgesehen haben wie ein Häufchen Elend. Das ewige Drillen hat mein Äußeres komplett verändert. Aber vielleicht auch mein Inneres.

Sylvester konnte sich nicht mehr anschauen. Er schämte sich.

Was ich Akira gestern angetan habe, war inakzeptabel. Hoffentlich geht es ihr gut und sie kann mir verzeihen. Der Mann ging zur Kommode und holte frische Kleidung heraus. Dann setzte er sich auf sein Bett und zog sich um. Für einen Moment erwischte er sich dabei, wie er auf sein Beistelltischchen sah, und außer dem Wecker, nur auf Holz blickte.

Mein Armband ist immer noch nicht aufgetaucht und weder in der Trainingshalle noch in der Baracke habe ich es gefunden. Habe ich es vielleicht schon vor meiner Ankunft verloren? Das bezweifelte er. Er verwarf den Gedanken wieder und konzentrierte sich auf das bevorstehende Ereignis. Heute bekomme ich endlich meinen neuen Namen. Ich hoffe, er klingt cool. Über die Zeremonie hatte er einiges erfahren. Jeder wird davor schon mit seiner Identität bekanntgemacht, damit es währenddessen nicht zu Komplikationen oder Verwechslungen führt. Das wäre sonst echt blöd. Außerdem erklärten ihn Alec und Ava, dass man danach eine Woche frei bekam, um sich an Umstände wie Name oder Vergangenheit zu gewöhnen. Auf das freute er sich besonders.

Als er mit dem Umziehen fertig war, rutschte er weiter nach hinten und lehnte sich an die Wand an. Das wird mein letzter Tag als Sylvester sein. Endlich habe ich diesen grässlichen Namen los. Das Geräusch einer aufmachenden Tür schlich sich in sein Trommelfell. Er drehte sich nach rechts und erblickte Riley, die ihn zum ersten Mal stolz ansah.

„Hab von dem Kampf gehört. Meinen Glückwunsch, Kürbiskopf."

Die Worte stachen in sein Herz. Akira. Traurig senkte er den Kopf. Seine Mentorin wusste sofort, was er dachte.

„Hör auf, so schockiert zu sein. Du hast es getan, also steh gefälligst auch dazu." Sie wurde wieder kalt.

„Na los, auf mit dir. Sonst ist der Tag schon um, ehe du die Trainingshalle betreten hast." Mühsam robbte er sich zur Bettkante vor. Dann fiel ihm wieder ein, dass er heute seine Aufnahmezeremonie hatte und er fragte sie danach.

„Nein, die fällt dieses Jahr aus. Außerdem kann man nicht mehr sagen, dass sie jährlich stattfindet, wegen des Mangels an Mitarbeitern. Da brauchen wir schon öfters Neulinge als nur alle 365 Tage. Wie soll ich sagen...wir stehen etwas knapp bei Kasse, und können uns nicht einmal mehr die Sperrholzbühne leisten. Ist traurig, aber wahr." Sylvester war entsetzt. „Also war das hier alles umsonst? Tagtäglich habe ich mich abgerackert und mir ausgemalt, wie es wäre, endlich fertig mit der Ausbildung zu sein. Und dann kommst du mir mit ‚Wir haben zu wenig Geld'?"

„Ja, so könnte man es formulieren." Das ist doch wohl ein Witz!

„Ich hätte aber gerne eine Feier gehabt. Und meinen Namen will ich auch."

„Meine Güte, du bist ja schlimmer als ein Kleinkind in der Süßwarenabteilung." Riley überlegte kurz.

„Komm mit, Kürbiskopf." Sie bedeutete ihm mit einer Handbewegung, ihr zu folgen. Also verließen sie Sylvesters Zimmer. Da es sich im Keller befand, mussten sie drei Stockwerke hinaufgehen. Die Holztreppe knarzte leicht, und war wie viele andere Dinge hier, schon eine Antiquität. Bei den Zuständen hätte ich mir früher denken müssen, dass sie pleite sind. Oben angekommen huschte Riley den Gang entlang und verschwand rechts hinter der letzten Tür. Sylvester folgte ihr und trat in den Raum. Es war Rileys Zimmer.

Der Mann hatte diese vier Wände davor noch nie zu Gesicht bekommen. Eigentlich sah es aus wie seines, mit dem Unterschied, dass es hier keinen viktorianischen Spiegel gab, und der leere Platz stattdessen mit Regalen an alkoholischen Getränken aufgefüllt war. Typisch Riley. Als hätte er es erraten, ging sie zu den Flaschen und nahm sich zwei von ihnen. Einen Jack Daniel's Whiskey und einen Captain Morgan Rum. Beide drückte sie Sylvester in die Hand. „Hier. Das dürfte genügen, damit du deine kleine Feier hast. Viel Spaß damit." Verdutzt blickte er auf sein Geschenk.

„Wie jetzt? Ich soll mich betrinken?" „Entschuldige, aber war das nicht dein Ziel?", informierte sie sich.

„Nein! Ich.. ich wollte eine richtige Feier. Mit Applaus und Komplimenten. Und einer guten Stimmung."

„Na ja, also wenn du mich fragst, bekommst du mit denen eine ganz schön gute Stimmung zusammen, und den Applaus kannst du dir ja in deiner Fantasie dazu malen." Das reichte ihm nicht als Antwort.

„Und was ist überhaupt mit meinem Namen? Wann bekomme ich den? Oder soll ich ihn mir auch ausdenken?" Sie überlegte erneut, diesmal etwas länger.

„Stimmt, daran habe ich nicht gedacht."

„Soll das heißen, du hast noch nicht einmal einen in Betracht gezogen?" Sie schüttelte mit dem Kopf. Fieberhaft suchte sie nach Möglichkeiten für Sylvesters neue Identität. Dabei starrte sie immer wieder auf die Flaschen, die der Mann in den Händen hielt.

„Ah, ich habs. Ab heute heißt du Daniel Morgan. Hurra, jetzt hast du endlich deinen neuen Namen. Glückwunsch, du bist ein freier Mann", sagte sie mit einem sarkastischen Unterton. „Deine Mappe bekommst du übrigens erst später, die muss ich noch bearbeiten, also wirst du erst in ein paar Tagen offiziell so heißen." Sylvester war abermals schockiert.

Hat sie meinen Namen gerade mit der Vermischung zweier Getränkemarken gebildet? Das kann doch nicht ihr Ernst sein.

„Was ist? Unzufrieden?", fragte Riley.

„Ja!", rief er.

„Dann find dich damit ab. Jetzt hast du immerhin einen Grund, dich zu betrinken." Anscheinend interessierte sich die Braunhaarige nicht mehr für seine Antwort, denn sie wandte ihm den Rücken zu und ging an ihren Schreibtisch. Sylvester wollte protestieren, doch er wusste, er würde gegen eine Wand reden. Also stürmte aus dem Zimmer und schmiss er die Tür zu.

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