Kapitel 10

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Die sportliche Frau war kaum außer Atem, als sie das riesige Gebäude erreichte. Die ehemalige Fabrik war nicht sehr ansehnlich von ihrem Erscheinungsbild. Graffiti, diverse Sprüche und Kritzeleien waren an den Wänden vor dem Eingang verewigt worden. Die alten, roten Ziegelsteine blitzten schon aus dem weißen Putz hervor und meterlange, haargroße Risse erstreckten sich vom Boden bis zur Decke.

Riley war schon oft hier gewesen. Nicht nur wegen der Einführungstage, wie sie sie nannten. Auch der Stille wegen. An keinem anderen Ort konnte sie sich so sicher sein, allein zu sein, wie hier. An Tagen der Wut kam sie her, um sich abzureagieren. Zumindest war das früher so. Bis sich alles verändert hat. In Gedanken vertieft, streifte sich die Frau in der schwarzen Lederjacke ihre Handschuhe über. Auch diese hatte sie seit sehr langer Zeit und waren schon so etwas wie ein Markenzeichen geworden. Ebenfalls die goldene Uhr. Diese Dinge gehörten zu ihrer täglichen Routine, eine Art Ritual. Riley atmete noch einmal tief ein und aus.

Sie darf nicht glauben, ich hätte mich gehetzt. Die Schüler sollen wissen, dass sie mir nicht wichtig sind. Sie ging ins Gebäude. Die zylinderförmigen Säulen, die in gleichen Abständen zueinander standen, boten der Halle noch einigermaßen Stabilität. Es würde sicher nicht mehr lange stehen. Mit einer gelassenen Haltung schritt sie durch den riesigen Raum bis sie kurz vor dem Ende einmal links abbog und in einen kleinen Gang kam. Dort war bald ein Stiegenhaus zu erkennen. Da sie von ihrer Taschenuhr wusste, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb, huschte sie schnell die Stiegen hoch. Es waren insgesamt fünf Stockwerke, die sie erklimmen musste.

Um besser voranzukommen nahm sie gleich mehrere Stufen auf einmal und zog sich an dem rostigen Metallgeländer weiter hoch, um den nötigen Schwung zu erhalten. Die Eisenstangen wackelten zwar jedes Mal bei einer Berührung, weil sie nicht mehr fest im Zement eingebaut waren, doch im Moment war das Riley egal. Im vorletzten Geschoss blieb sie beim Treppenansatz abrupt stehen.

Vor ihr klaffte ein 3 Meter großes Loch. Es bröckelten ein paar Betonstücke nach unten. Okay, letztes Mal war das hier definitiv noch nicht da. Die Frau sah sich um. Sie betastete die Wand zu ihrer rechten und prüfte das instabile Geländer zu ihrer linken. Sie musste sich schnell etwas überlegen, denn Zeit, um zurückzugehen, gab es keine.

Aus eigener Kraft würde sie den Sprung nicht schaffen, dazu war nicht genügend Anlauffläche vorhanden. Entweder könnte sie über das dünne Eisen balancieren oder sie würde sich durch Unebenheiten an der Wand nach vorne hanteln müssen.

Beides gefiel ihr nicht wirklich. Plötzlich hatte sie einen Plan. Einige Zentimeter vor der Leere hielt sie sich am Geländer fest und verlagerte ihr Gewicht nach hinten. Mit vollem Körpereinsatz zog sie das Metall zu ihr.

Bitte, lass es klappen. Nach wenigen Augenblicken ging ihre Idee auf. Die Brüstung verbog sich. Jetzt stieg Riley noch einmal mit aller Wucht darauf, dann berührte das Eisen den Boden. Nun konnte sie diesen Teil ganz elegant als Leiter benutzen. Nach allen Komplikationen war sie dennoch innerhalb von fünf Minuten oben gewesen.

Vor der dunkelgrünen Tür, die ins Freie führte, hielt erneut inne. Sie entspannte sich, regelte ihren Herzschlag und sah nochmals auf ihre wunderschöne, goldene Uhr.

13:11. Geschafft. 5, 4, 3, 2, 1, Showtime.

Mit einem kräftigen Tritt schlug sie die Tür auf. Sofort waren alle Augen auf die Frau in Schwarz gerichtet.


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