5.- LeMarshall

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L U C E

"Sie hat was getan?" Liz kreischt mir ins Ohr und ich widerstehe dem Drang nach ihr zu schlagen. Dieses Mädchen mag zwar nur 1,55 m groß sein, aber ihre Stimme ist lauter als jede andere. Allerdings war ihre Reaktion verständlich, denn die Geschichte, die ich ihr soeben erzählt hatte, war wirklich zum Schreien komisch.

"Sie hat sich praktisch selbst bei uns eingeladen! Devons Gesicht, das hättest du sehen müssen, absolut unbezahlbar!" Mein Lachen ähnelt eher einem Röcheln, weil mein Bauch von den vorherigen Lachanfällen so verdammt weh tut. Wenn uns nun jemand sehen würde, müsste er wohl denken wir wären aus der Klapse ausgebrochen.

"Oh Gott, ich schwöre: Ich würde meine Lieblingsschuhe dafür geben, das gesehen zu haben und du weißt wie sehr ich meine Babys liebe.", bringt Liz heraus und bedeutet mir mit einer Handbewegung meine Erzählung fortzusetzen.

"Das glaube ich dir. Jedenfalls habe ich die Show einfach genossen. Mom war das Ganze richtig peinlich und sie hat Devon beim Essen durchgehend mit Blicken erdolcht, während Dad sein Bestes versucht hat um die Situation irgendwie zu kippen. Naja, die nackte Fremde, pardon, Maya, hat dann eiskalt Devons Freundin gespielt." Bei der Erinnerung an die skurile Szene von gestern muss ich mich zusammenreißen nicht wieder in Gelächter zu verfallen und beiße mir daher auf die Zunge. Ihre Aktion war wirklich unfassbar dreist und vielleicht auch einen Tick respektlos, aber für mich war es einfach nur amüsant gewesen. Für meinen Bruder wohl eher weniger, aber das hatte er sich ja schließlich selbst zuzuschreiben.

"Geht sie auf unsere Schule?", fragt Liz neugierig und rutscht auf ihrem Platz auf der Treppe herum. Wie sonst auch immer, wenn wir in der Pause nicht auf den Hof gehen wollen, haben wir es uns auf der Treppe im hinteren Ostflügel bequem gemacht und fürchten das Klingeln zum Unterrichtsbeginn.

"Glaub nicht", nuschle ich, während ich mir ein Stück von meinem Müsliriegel in den Mund schiebe, "Sie meinte sie kommt aus Toronto, wurde aber hier geboren."

"Toronto? Was um alles in der Welt macht sie denn dann wieder in Sudbury?" Liz entsetzte Stimme lässt mich beinahe zusammenzucken, allerdings hat sie mit ihrer Aussage schon irgendwie recht. Wenn ich in Toronto wohnen würde, würde mich auch nichts mehr in unsere Kleinstadt bekommen. Sie mochte ja wunderschön und, wie mein Vater zu betonen mochte, für unsere Art seit Jahren ein sicherer Hafen sein, aber für Teenager wie uns klang die große weite Welt natürlich um einiges verlockender als eine gut Achttausend-Einwohnerstadt. Ich nehme mir also vor Maya bei ihrem nächsten Besuch genauer nach ihren Beweggründen und ihrer Herkunft auszufragen.

"Egal.", fährt die Blondine neben mir ungerührt weiter, "Es ist einfach zu schade, dass ich gestern nicht dabei war. Ich habe ja gehofft, dass Luke mich noch anruft, aber er war beim Training und-"

Liz Stimme wird in meinem Kopf immer leiser und leiser, bis ich sie fast gar nicht mehr wahrnehmen kann. Es ist mir unmöglich mich auf sie zu konzentrieren, zu abgelenkt sind meine Sinne von einem plötzlichen unbekannten Geruch, der mit einem Mal die Schulflure und mein ganzes Sein erfüllt. Ich kann nicht genau sagen was es war, ein unbestimmbarer erdiger und zugleich frischer Geruch, der es schaffte mich so sehr aus dem Konzept zubringen, dass ich nicht einmal das penetrante Klingeln der Schulglocke bemerkte. Ein unerklärliches Kribbeln durchfährt mich und ich habe das dringende Bedürfnis die Quelle dieses Duftes, der auf einmal das ganze Gebäude zu erfüllen scheint, zu finden. Woher kommt er? Und die wichtigere Frage, zu wem gehört er? Mein Blick fährt hektisch den Flur entlang, doch ich kann niemanden ausmachen. Ohne darüber nachzudenken stehe ich auf, schmeiße dabei meine Tasche um, und will den Ursprung des Geruches finden, als Liz mich am Arm packt und daran zieht.

"Luce! Hey, Luce, hey. Was ist denn los?", fragt sie mit einem besorgten Unterton in der Stimme und reißt mich damit aus meinen Gedanken in die Realität zurück. Verwirrt runzele ich die Stirn, blicke mich um und versuche zu verstehen was gerade passiert ist.
"Ist alles in Ordnung? Du wirkst irgendwie komisch." Mit großen Augen blickt meine beste Freundin mich an und wartet auf eine Antwort, von der ich nicht fähig bin sie ihr zu geben. Meine Gedanken kreisen so schnell, dass ich selbst nicht hinterher komme.

"Was? Ja, ja klar. Ich bin komplett in Ordnung.", antworte ich schnell und der Blick, den Liz mir zuwirft, lässt keinen Zweifel daran, dass sie mir kein Stück glaubt. Keine Überraschung, schließlich würde ich selbst keinem der Worte, die aus meinem Mund kommen, Glauben schenken.

"Ich will an dieser Stelle festhalten, dass ich nur nicht weiter nachfrage, weil ich wirklich keine Lust habe zu Mr. Johnsons Unterricht zu spät zukommen und mir noch mehr Stress mit ihm einzuhandeln. Also komm, es hat schon geklingelt. Aber wir reden nachher nochmal darüber, das steht fest."

Widerstandslos lasse ich mir von Liz meine Tasche in die Hand drücken und mich die Treppe hoch zum Klassenzimmer schleifen. Währenddessen versuche ich meine Gedanken zu beruhigen. Der Geruch kam von einem Wolf, zweifelsohne, denn der Geruch eines Menschens würde es niemals schaffen meine Sinne unterbewusst zu wecken. Zudem hat kein Mensch einen solch berauschenden Eigengeruch, dass er einen Rudelwolf komplett ausknocken und handlungsunfähig machen könnte. Also nicht nur irgendein Wolf, sondern auch noch einer in einer hohen Position. Doch was hat ranghoher Wolf aus einem fremden Rudel in unserer Kleinstadt zu suchen? Sollte ich Alarm schlagen und meiner Mutter von dem Fremden erzählen? Doch wenn er nur auf der Durchreise war, was auf Grund von Sudburys Lage am Hudson Bay durchaus anzunehmen war, würde ich nur unnötig Unruhe verbreiten. Doch wenn dem nicht so war, könnte es gefährlich für uns werden.

Wie aus dem Nichts war er wieder da, der berauschende Geruch. Er kommt überraschend, doch dieses Mal wirft er mich nicht komplett um und ich habe genug Kontrolle über meinen Körper um den Kopf hoch zu reißen. Nur um in tief schwarze Augen zu blicken, die unverwandt zurückstarren. Für einen kurzen Augenblick ist es als würde die Zeit still stehen, als würde alles um uns herum verblassen und nur noch wir zwei existieren. Meine Augen nehmen gierig alles auf, was es zu sehen gibt. Von seinem einfachen, aber offensichtlich hochwertigen, Hemd über seine zerreißenden Jeans, bis hin zu den dunklen, gekonnt verwuschelten, Haaren. Auf einmal komme ich mir klein vor, wie er dort vorn steht und mir noch immer starr in die Augen blickt.

Die monotone Stimme meines Mathelehrers unterbricht meinen kleinen Filmmoment. "Klasse, darf ich vorstellen: Simon LeMarshall. Er wird ab heute auf unsere Schule gehen und für eine Weile bleiben. Wie lange genau sagten Sie?" Mr. Johnson wirft dem Jungen zu seiner Linken einen minder interessierten Blick zu.

Dessen bisher ausdrucksloses Gesicht verzieht sich zu einem Grinsen, das beinahe einem Zähnefletschen ähnelt, und beschert mir somit eine Gänsehaut.

"Länger als ich bisher angenommen hatte."
1147 Wörter

Es hat tatsächlich eine Weile gedauert, aber ich habe es geschafft mich aufzuraffen und an dieser Geschichte weiter zu arbeiten (: Ich werde mein Bestes geben um die Updates wieder regelmäßiger zu gestalten, aber ich kann natürlich nichts versprechen. Ich hoffe trotzdem, dass ihr euch über das verspätete Weihnachtsgeschenk freut!

Eure (jetzt) Nighttimewritings

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