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Prolog

1998

Harrys Schwester Gemma hat genau vier Barbies. Eine mit langen blonden Haaren, die sogar dank ihren beweglichen Knien auf einem Pferd reiten könnte (wenn Gemma denn eins hätte), dann noch eine, die haselnussbraune Haare hat, die etwas ins rötliche übergehen und dann noch zwei Kens.

Also zwei männliche, eher gesagt.

Das eine ist eine wirkliche, originale Ken-Puppe.

Die andere hat keinen Namen.

Wenn Gemma unten im Gemeinschaftsraum mit ihren Freundinnen spielt, schleicht sich Harry in ihr Zimmer. Er sucht sich die Puppen heraus und setzt sich auf den Boden vor Gemmas Bett. Er ist erst fünf und denkt nicht daran, dass Gemma vielleicht gleich wieder kommt und ihn anmeckern wird, er solle die Finger von ihrem Spielzeug lassen.

Harry setzt jetzt sich auf den Boden und betrachtet die Puppen alle einzeln. Die zwei weiblichen legt er kurz zur Seite. Summend zieht er der männlichen Puppe (die, die keinen Namen hat), die Klamotten aus. Es ist eh nur ein langweiliges weißes Shirt und eine schwarze Hose mit langweiligen schwarzen Schuhen. Ein Schuh ist schon fast kaputt.

Harry seufzt, schüttelt den Kopf und nimmt sich die Barbie mit braunen Haaren, welche ein hübsches Kleid trägt. Vergnügt macht er sich daran der namenlosen männlichen Puppe das Kleid anzuziehen.

Er kichert erfreut, wobei sich seine kleinen niedlichen Grübchen zeigen. „Jetzt bist du hübsch." Er verzieht den Mund und starrt an die Decke. „Du brauchst noch einen Namen. Du kannst schließlich nicht auch Ken heißen..."

Vielleicht ist es nur ein Windstoß, vielleicht nur eine Einbildung, ein Streich von Harrys kindlicher Fantasie.

Aber irgendetwas flüstert ihm einen Namen zu.

Louis.

Harry schnappt nach Luft und schaut wieder herunter auf die Puppe, die ihn mit dem gleichen plastischen Lächeln angrinst wie noch vor einer Minute. „Louis heißt du also. Wieso hast du das nicht gleich gesagt?"

Harry dreht die Puppe hin und her und dann nimmt er sich Ken, der einen Anzug trägt.

„Ihr heiratet jetzt", sagt Harry ernst und es bilden sich Fältchen in seiner Stirn, als er überlegt wie die Hochzeit ablaufen soll.

Um das Ganze zu beginnen, summt er eine Melodie, die der „Hier kommt die Braut"-Melodie ähnlich ist.

Er stellt Ken an eine kleine Kiste (den Altar) und dann lässt er Louis mit kleinen Schritten zum Altar gehen.

Harry nimmt sich Ken in die Hand und schüttelt die Puppe leicht, als er spricht: „Du siehst hübsch aus, mein Liebling."

„Danke, Ken", lässt Harry über Louis' Lippen kommen und kichert.

Er legt sich auf den Bauch und brabbelt irgendetwas herunter. Die nackte Barbie ist der Pfarrer und die Reiter-Barbie ist Kens blöde Cousine, die eigentlich gar nicht eingeladen war.

Harry hat Spaß, das ist schon einmal sicher.

Jedenfalls hat er das, bis Gemma in ihr Zimmer kommt. „Harry!", quietscht sie und reißt ihrem drei Jahre jüngeren Bruder die Puppen aus der Hand. „Das sind meine Puppen! Du darfst dir die nicht einfach nehmen."

Schmollend setzt sich Harry auf und verschränkt die Arme. „Du warst sowieso unten."

„Trotzdem nicht." Gemma streckt ihm ihre Zunge heraus und mustert danach die Puppen.

Sie rümpft die Nase. „Wieso trägt George ein Kleid? Jungs tragen keine Kleider."

„George?" Harry legt den Kopf zur Seite. „Er heißt Louis."

doll | larry ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt